Lenas Welt

Wie Aristoteles als Sexist enttarnt wird

Von Johannes SpringerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Springer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es muss wohl gleich eine ernüchternde, den potentiellen Leserkreis des neuen Werkes von Robert Fischer "Sex Kills" betreffende Bemerkung angestellt werden. Wem nicht viel daran gelegen ist, über den Status Quo der Gender Studies ins Bilde gesetzt zu werden und nicht an einer im akademischen Referatsstil vollzogenen Abhandlung aller für die Geschlechterforschung relevanten Namen in Romankokon interessiert ist, für den wird dieses Werk, halb Prosa halb Theoriebastard, nur bedingt empfehlenswerter Lesestoff sein. Sie werden schon nach wenigen Seiten ihre Hoffnungen auf eine stringente, konventionelle Liebes- und Leidensgeschichte, die der Buchrücken durchaus zu wecken imstande ist, zerstoben und vom Winde verweht sehen und das Buch nach den ersten, vom Autor vorgesetzten, Theoriefetzen beiseite legen. Diejenigen indes, für die Geschlechterforschung keine Bildungslücke darstellt und die zu ihrem geistigen Mobiliar Kenntnisse über die zentralen Figuren dieser Disziplin von Butler über Paglia bis Kristeva zählen, werden sich womöglich an dem Darstellungsmodus stoßen. Warum diese erzählerische Camouflage, wenn doch eigentliches Kernstück des Buches der theoretische, akademische Part ist? Als unterhaltsames, plastisches Kompendium kopflastiger Inhalte ist es anscheinend erstellt, so dass sich Protagonistin Lena stellvertretend der Eruierung dieser Gebiete widmet. Als Philosophiestudentin mit entsprechendem Schwerpunkt, psychoanalysierendem Vater, leicht male-chauvinistischem, brünftigem Schwarm sowie Casanovaprofessor ausgestattet ist sie dazu auch regelgerecht prädestiniert. Da die Philosophie aber immer bei der Antike beginnt, bleibt auch die griechische Mythologie nicht ausgespart. Lena, die als Ich-Erzählerin sowohl in ihre Gedankenwelt als auch in ihre Vita einführt, berichtet von ihrem Philosophieprojekt die "jahrtausendealte Unterdrückung weiblicher Stimmen" untersuchen zu wollen, beginnend mit Potone, der Schwester Platons. Einige inoffizielle Lektionen ihres Professors Tomas führen zuerst in Cafés zur Weiterentwicklung ihrer Arbeit, der Genealogie des weiblichen Ideenanteils an der Ideengeschichte, dann in seinem mit Altbauchic bestechenden Apartment zu einem folgenschweren Intimerlebnis. Anna wird gezeugt. Anna ist schon fast erwachsen und der mütterlichen Obhut enteilt, da tritt Ramon, ein postmoderne Utopien und Gewissheiten ablehnender Musiker, wieder ins Leben ihrer Mutter. Ramon wird als eine Lenas Herz und Kopf nie entwichene Schulkumpelliebe dargestellt. Mit ihm erlebt sie nun nach vielen Jahren unterbliebenen Kontaktes eine der glücklichsten Phasen ihres Lebens. Ein Urlaub auf Kreta lässt Lenas lang gehegte Sehnsüchte in Erfüllung gehen. Eine amour fou, wie sich später allerdings erweist. Es stellt sich aber auch heraus, dass sich Kretareisende wie Lena intensiv mit griechischer Mythologie und aristotelischen Gedanken zur Unterlegenheit der Frau auseinandersetzen, was dem Leser scheinbar ungekürzt mitgeteilt wird. Da Lenas Vater, durch seine Schulung als Psychoanalytiker, Lena praktischen Lebens- und Liebesrat gibt und sich dabei von Freud und Lacan sekundieren lässt, werden viele instruktive Reden z. B. zum "Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion" geschwungen. So bleiben auch die Geheimnisse dieser Wissenschaft nicht im Verborgenen.

Falls die Exemplifizierung von Gendertheorien durch ihre Anwendung auf einen weiblichen Lebenslauf, von der Beziehung zum Vater, über die ersten Erfahrungen mit Körperlichkeit und Liebe bis zur Konfrontation mit Mutterschaft und maskuliner Verantwortungs- und Lieblosigkeit eine Intention dieses Buches sein soll, ist zumindest im Resultat kritisch zu beurteilen. Nicht allzu häufig gelingt dem Autor die schwierige Amalgamisierung des Handlungsverlaufs mit den in Gedanken der Heldin herbeizitierten Aussagen der Autoritäten ihrer Wissenschaft. In einem der sechs an Sokrates gemahnenden, die "Hebammenkunst" der Mäeutik verwendenden Kapitelprologe entstehen Fragen, die sich Robert Fischer womöglich auch bei der Konzeptionierung dieses Buches gestellt haben wird: " Müssen wir immer das eine für das andere aufgeben? Die Kindheit für das Erwachsenensein, die Unschuld für die Verantwortung, die Freiheit für die Liebe, das Leben für den Tod? [...] Gewinnen wir dabei mehr als wir verlieren?" Muss man sich entscheiden zwischen dem konventionellen Roman und einer expliziten Konfrontation des Lesers mit faktenorientierten Akkumulierungen kopflastiger Theorien? Natürlich kann man keine allgemeingültige Antwort darauf formulieren. Nicht zuletzt "Tomboy" von Thomas Meinecke, der in vergleichbarer Art und Weise mit der Spiegelung gendertheoretischen Materials in seinen Romanfiguren arbeitet und dabei reüssiert, ist ein positives Beispiel für einen Versuch der Vermengung dieser Stoffe. Robert Fischer allerdings strauchelt bei der Präsentation eines solchen Entwurfes.

Während der Besprechung des Buches im Rahmen des Bachmannpreises wurde dem Autor vorgeworfen, die Sache ( griechische Mythologie, Gendertheorie) sei in dem Buch nicht anverwandelt worden, das heißt nicht zu etwas eigenem, dem Buch nachvollziehbar Zugehörigem gemacht worden. Die Sache werde ihres von je her angestammten Kontextes selten enthoben, was eine Atmosphäre der Bemühtheit entstehen lasse, ähnelnd den Anstrengungen eines Lehrers in einer bestimmten Zeit eine zu vermittelnde Stoffmenge unterzubringen. Vielleicht sind hier die didaktischen Hilfsmittel nicht überzeugend gewesen.

Titelbild

Robert Fischer: Sex kills. Roman.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
158 Seiten, 7,60 EUR.
ISBN-10: 3518397680

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