Fanatisches Interesse

Michael Frayns "Das verschollene Bild"

Von Julia SchöllRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Schöll

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Philosoph Martin Clay zieht mit Ehefrau Kate und Tochter Tilda vorübergehend in eine Cottage nördlich von London. Er hat sich für ein Jahr beurlauben lassen, um sein Buch über den Einfluss des Nominalismus auf die niederländische Malerei des 15. Jahrhunderts fertigzustellen. Seine Frau arbeitet ebenfalls an einem großen kunsthistorischen Projekt. Am Tag ihrer Ankunft erhalten sie Besuch von ihrem Nachbarn Tony Churt. Er bittet Martin um einen fachmännischen Rat: Er besitzt etliche Gemälde und möchte diese schätzen und gegebenenfalls durch Martin verkaufen lassen. Bei der Besichtigung der Bilder, die wahllos in dem heruntergekommenen Haus verteilt sind, entdeckt Martin ein Bild, das lange Zeit als Kaminabdeckung Verwendung fand. Er weiß sofort, dass es sich bei dem Fund um ein verloren gegangenes Meisterwerk des großen niederländischen Malers Pieter Bruegel handeln muss und Teil eines bisher unvollständigen Zyklus ist. Martin ist sich nicht völlig sicher und beschließt, seine Entdeckung vorerst geheim zu halten. Er beginnt, in Archiven und Bibliotheken fieberhaft nach Beweisen für seine Vermutung zu suchen. Nach einiger Zeit ist er sich sicher. Er weiht seine Frau ein, vor der er seinen Plan ebenfalls geheim gehalten hatte. Um jedoch genaue Details analysieren zu können, muss Martin das Bild erneut betrachten, was sich als schwieriges Vorhaben herausstellt: Es befindet sich im Schlafzimmer der Churts. Tonys Frau Laura lässt Martin ins Haus, als ihr Mann nicht da ist und versucht, ihn im Schlafzimmer zu verführen.

Michael Frayn´s Buch "Das verschollene Bild" bietet drei Romane in einem: Zum einen ist es ein Kriminalroman, zum anderen ein Roman über zwischenmenschliche Beziehungen, und nicht zuletzt liefert es ein Bild des Malers Pieter Bruegel. Im Vordergrund steht die Entdeckung des vermeintlichen Meisterwerkes, gefolgt von der Beziehung zwischen Martin und seiner Frau Kate sowie zwischen ihm und Laura. Kate ist vor kurzem Mutter geworden. Mit ihrem üppigen und schwerfälligen Körper bildet sie einen krassen Gegensatz zu der jungen schlanken Laura, von der sich Martin sogleich angezogen fühlt. Schon zu Beginn wird klar, dass es zwischen beiden zu einer erotischen Begegnung kommen wird. Martin verfällt ihrer Anziehungskraft, und so kommt es, dass er sich nicht zur Wehr setzt, als sie ihn verführen will.

In seiner Maler-Biografie entführt Frayn seine Leserschaft in die ferne Welt des 16. Jahrhunderts. Verpackt in eine spannende Kriminalgeschichte vermittelt der Autor in verkürzter Form das Leben Pieter Bruegels und liefert gleichzeitig einen Überblick über die Geschichte der Niederlande. Der Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart macht das Buch lebendig. Von Anfang an lebt man als Leser mit den Figuren des Romans. Man freut sich mit Martin, als er den sensationellen Fund auf dem Kamin der Churts macht und hofft, dass er reich und berühmt wird durch das Bild. Ebenso leidet man am Schluss mit ihm, als er mit ansehen muss, dass alle seine Mühen umsonst waren und das Bild verbrennt. Andererseits gibt es keine triftigen Gründe, an Martins Erfolg zu glauben, da außer ihm und Tony kein Experte das Bild gesehen hat, und es somit nicht als das verschollene Bild identifiziert werden konnte. Unter Umständen hat er sich getäuscht und niemals einen echten Bruegel in den Händen gehalten.

Freunde des Kriminalromans werden das Buch ebenso schätzen wie eingefleischte Leser von Beziehungsgeschichten. Es dient nicht nur der Unterhaltung, sondern liefert wie nebenbei noch Wissenswertes aus der Kunstgeschichte und den Besonderheiten der niederländischen Malerei.

Frayns Sprache und Wortwitz verleihen dem Roman einen raffinierten und zugleich eleganten Charakter. Obwohl lange Passagen über Meilensteine der Kunstgeschichte eingearbeitet sind, kommt keine Langeweile auf. Dies liegt auch daran, dass vor allem in der Gegenwartshandlung urkomische Situationen zu gewärtigen sind. So fährt Martin mit einem über zwei Meter großen Gemälde, das zudem nach Schafsurin stinkt, durch die überfüllten Straßen Londons.

Witz, Dramatik und Spannung - drei Argumente, die das Buch empfehlenswert machen.

Titelbild

Michael Frayn: Das verschollene Bild. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Matthias Fienbork.
Carl Hanser Verlag, München 1999.
356 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3446197788

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch