Hairachen und Sägezahnfisch

Anselm Kiefers Himmelspaläste 1973-2001

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anselm Kiefer galt in der bundesrepublikanischen Kunst lange Zeit als umstritten. Seine Auseinandersetzungen mit zahlreichen Mythen und Phantasmen des Faschismus brachte ihm in Deutschland nicht viel Anerkennung ein. Mittlerweile, vor allem nach der erfolgreichen Retrospektive seines Werks in den USA, scheint sich die Kritik langsam zu mäßigen und eine ernsthaftere Beschäftigung mit Kiefers Sujets einzusetzen. Anhand des Kataloges "die sieben Himmelspaläste", der anlässlich einer Ausstellung in der Fondation Beyeler erschien, lässt sich die konfliktreiche Entwicklung des Künstlers nachvollziehen.

Christoph Ransmayer, bekannt durch Romane wie "Die letzte Welt" oder "Morbus Kitahara" hat Kiefer im südfranzösischen Barjac auf dem 35 Hektar großen Ateliergelände "La Ribaute", einer stillgelegten Seidenfabrik, besucht. Seine Begegnung mit dem Künstler fasst er in einem emphatischen Essay zusammen, zu dem der Fotograph Thomas Flechtner einige Momentaufnahmen der künstlerischen Landschaft beisteuert. Nur vermeidet er es nicht, die Stilisierung des Künstlers ins Groteske zu steigern. Der Autor schildert eindrücklich das von Kiefer bearbeitete Gelände, die mit Skulpturen gefüllten Glashäuser oder die Regalfluchten in den Gewölben unter dem großen Atelier, in denen er Kisten und Zinkschachteln, sorgsam beschriftet, mit den Funden und Materialien Kiefers entdeckt: "Trompetenbaumblüten, braunes Menschenhaar, Wildschweinhufe, Hairachen, Gebrochenes Sägeblatt, Treibholz, Stechnelken, Disteln, Roßhaar, Kolibri, Sägezahnfisch, Falsche Korallenotter" usw. Ramsmayers Ausführungen, etwa die kurzen Anmerkungen zum Mystiker Robert Fludd oder immer wieder eingestreute Hinweise auf die Biographie Kiefers, vorwiegend auf die künstlerische Genese bezogen, liefern zudem erste Ansätze für ein Verständnis des oft überwältigenden Schaffens. Gleichwohl versetzt Ransmayer den Künstler selbst ins Reich der Schamanen, der Mythen der Welt, und verdunkelt so die eigene Interpretation. Wenn Kiefer seine Rottweiler wirklich Kastor und Pollux nennt, mag man sich das noch als verschrobene Ironie erklären, wenn Ransmayer sich und Flechtner dann allen Ernstes als "Gefolge eines Meisters aus Deutschland" bezeichnet - und die Anspielung auf Celans "Todesfuge" ist an dieser Stelle weniger provokativ als albern -, verfällt er über weite Strecken ins Raunen. So wendet sich Kiefer schließlich "dem schwarzen Maul eines Tunnels zu, der aus der Großen Halle ins Erdinnere führt". "Dort hinab, in ein Dunkel, in dem jeder Lichtstrahl, jeder Funke als Offenbarung erscheint, will uns Kiefer nun führen." Die Tyndariden dürfen da nicht fehlen. "Aber noch ehe wir seine Absicht erkennen, erheben sich die Hunde wie auf ein plötzliches, lautloses Kommando. Auch sie kennen das Ziel nicht, wissen nur, dass es nun weiter und auf und davon geht, hinaus in die Nacht oder hinab in die Tiefe, und stürmen ihrem Herrn bellend voran."

Glücklicherweise verfallen die weiteren Texte, die die einzelnen Kapitel einleiten, nicht in diesen vermeintlich raunenden Ton. Markus Brüderlin, Mark Rosenthal und Katharina Schmidt deuten kenntnisreich im Rückblick verschiedene Werkkomplexe. Ausgehend von den "Dachboden-Bildern 1973" und den "Steinernen Hallen 1983", die quasi das Fundament bilden für die aktuelleren Arbeiten zum Thema "Archaische Architekturen 1997", die "Kosmos- und Sternenbilder 1995-2001" hin zu "Sieben Himmelspaläste, Gouachen 2001", das zuletzt von einem Auszug aus der Hekhalot-Literatur, der auch der Titel entlehnt wurde, begleitet wird. Größere Zusammenhänge im Werk werden angedeutet, vor allem aber werden die vielen literarischen, philosophischen, malerischen und architektonischen Zitate und Anspielungen Kiefers nachgewiesen. Vom bereits erwähnten Paul Celan und die für Kiefer ebenso wirkungsmächtige Ingeborg Bachmann - Celans Gedicht "Todesfuge" und Bachmanns "Das Spiel ist aus" finden sich nicht ohne Grund in der Mitte des Kataloges - bis zu Immanuel Kant, Robert Fludd, Wilhelm Kreis und einigen mehr reichen die Verweise. Vor allem Katharina Schmidt hat die Spur "Ingeborg Bachmann" bis zum "Buch Franza" aus dem "Todesarten Projekt" und Eindrücke der Dichterin von der Wüste Ägyptens zurückverfolgt.

Hinsichtlich der Reproduktionen, auch wenn diese die großformatigen, teils über sieben Meter breiten Originale - das Bild der Cheops-Pyramide mit dem Titel "Dein und mein Alter und das Alter der Welt" misst gar neun Meter in der Breite - in ihrer Wucht kaum fassen können, ist der Band sorgfältig ediert. Auch durch den breit angelegten thematischen Rahmen, der Kiefers Schaffen auszugsweise von 1973-2001 umfasst, weiß der Katalog zu überzeugen. Die Distanz sollte aber, angesichts der oft so monumentalen Werke Kiefers, jederzeit gewahrt bleiben.

Titelbild

Anselm Kiefer: Die sieben HimmelsPaläste 1973-2001. Mit einem Essay von Christoph Ransmayer und Beiträgen von Markus Brüderlin u. a.
Hatje Cantz Verlag, Ostfilden-Ruit 2002.
112 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-10: 3775711244

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