Das philosophische Duett des Helmut Eisendle

Dialogisches Denken: "Gut und Böse sind Vorurteile der Götter"

Von Torsten GellnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Gellner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Obwohl der Bedarf an philosophischer Auseinandersetzung mit jenen grundlegenden Themen und Fragen, mit denen sich auch eine aufgeklärt wähnende Technokratie bisweilen unverhofft zu befassen hat, durchaus existiert, gebärdet sich die akademische Philosophie - von rühmlichen Ausnahmen einmal abgesehen - vorwiegend als Philosophiegeschichte. Das zeitkritische philosophische Gespräch dagegen findet eher im Ausland statt oder, äh, im ZDF. Denn das bietet mit Volker Panzers "Nachtstudio" und dem "Philosophischen Quartett" gleich zwei aktualitätsbezogene "Philotalks". Auch wenn die Tiefen dieser Formate bisweilen schnell ausgelotet sind, besitzen sie doch einen gewissen Unterhaltungswert.

Wer tiefgründigeren philosophischen Gesprächen beiwohnen will, greife zu Helmut Eisendles Buch "Gut und Böse sind Vorurteile der Götter", in dem der Autor zwei Typen, zwei Ärzte aus zwei Jahrhunderten, miteinander disputieren lässt. Der einem Nietzsche-Wort entlehnte Titel markiert den nicht geringen Anspruch Eisendles, sich in einem fiktiven Gespräch den großen zeitlosen Menschheitsfragen zu widmen. Eisendle bleibt sich also treu, denn mit seinen früheren Büchern hat er sich vor allem als großer Raisonneur mit Affinität zu weitschweifigen "Denkorgien" präsentiert.

"Philosophie! Philosophie! Worte enthalten nicht unbedingt Gedanken, d'Azur", sagt der jüngere Edwin Tyson zu seinem ungleich redefreudigeren älteren Kollegen Felix Vicq d'Azur und nimmt damit dem Leser jene Worte aus dem Mund, die sich bei der Lektüre dieser wortreichen Dialoge mitunter formen werden. Es herrscht zwar keineswegs Gedankenarmut in Eisendles philosophischem Duett, jedoch ist - das haben Gespräche nun mal an sich - nicht jeder Gedanke zu Ende gedacht und nicht jeder Gedanke ist es wert, ausgesprochen zu werden. Das Gespräch verlässt gerne die Bahn fundierter Argumentation und schlingert um haltlose Provokationen, die so grell heraus geschrien wirken, dass sie allenfalls ein müdes Stirnrunzeln der Irritation auslösen: "Arbeit ist das einzige Vergnügen, das nichts kostet", faselt Tyson etwa, doch die dialogische Präsentation erlaubt es Eisendle, solchen Behauptungen unmittelbaren Widerspruch entgegen zu stellen: "Tatsächlich? Fragen Sie doch einmal einen aus einem Stahlwerk." Diese Möglichkeit nimmt Eisendle jedoch nicht immer war, über weite Strecken gerinnt das Gespräch daher zu einem vornehmlich von d'Azur geführten Monolog mit dem jungen Tyson als Stichwortgeber.

Allein der Blick in ein beigefügtes Namensverzeichnis offenbart die Bandbreite der in dem schmalen Bändchen abgehandelten, manchmal auch abgefertigt wirkenden Gegenstände: von A wie Adenauer über Hitler und Methusalem bis hin zu Tolstoi und Zarathustra. Eisendles unbestreitbare Stärke liegt in seiner Fähigkeit, elegante und bisweilen wahnwitzige Gedankensprünge jenseits der Lesererwartungen, die man sowieso zu Beginn der Lektüre besser wegpackt, vorzunehmen. Anspielungsreich werden da unterschiedlichste geistige Positionen miteinander in Beziehung gesetzt, oftmals auch in satirischer Absicht und manchmal mit unfreiwilliger Komik. Dass ein solches Gespräch nicht unbedingt 'organisch', sondern recht stilisiert wirkt, versteht sich angesichts des Anspruchs von selbst. Dass aber jeder zitierte Gedanke, nicht nur der exotische, sondern auch ein längst ins Allgemeingut übergegangener, namentlich belegt wird, verleiht dem Dialog doch eine etwas schulmeisterliche Note. Wenn Tyson etwa ein "Handle nur nach der Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie allgemeines Gesetz werde" zum Besten gibt, muss sich sein Kierkegaard und Bakunin zitierender Partner noch mit einem gewagten "Immanuel Kant. Kant, Der kategorische Imperativ" über die gemeinsame Gesprächsgrundlage Sicherheit verschaffen. Diese theorievermittelnden 'Kniffe' kennt man aus dem Schulfernsehen, wo dann ein sandalentragender Greis mit Rauschebart (scil. Aristoteles) seine Dramentheorie vermeintlich geschickt verkaufen darf.

Immer wieder wird man allerdings auf schöne, einfache und wahre Sätze stoßen, die den beiden "Übungspartner[n] des Denkens" entspringen. Dass Eisendle dem niveauvollen Geschwätz seiner Figuren selbst nicht ganz traut, zeigt sich an einer der vielen ironischen Selbstreflexionen des Buchs: "Wir haben zwar das Wort, können aber den Mund nicht halten. Aus Selbstliebe und Überlebenswillen geben wir jeden Furz von uns. Wissen wir tatsächlich, wovon wir reden, d'Azur?"

Titelbild

Helmut Eisendle: Gut und Böse sind Vorurteile der Götter. Ein Gespräch.
Residenz Verlag, Salzburg 2002.
135 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3701712514

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