Dichtertreffen oder wozu Rauchen gut ist

Egyd Gstätter erzählt von einer Februarreise an den Tejo

Von Britta WaltmansRSS-Newsfeed neuer Artikel von Britta Waltmans

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Es ist in meinem Leben das erste Mal, dass ein Flugzeug rund um mich vom Boden wegkommt und binnen Sekunden, wenn auch bedrohlich wackelnd und schnaubend und ächzend, eine mir nur aus Filmen bekannte Fallhöhe erreicht. In Filmen ist alles angenehmer, reibungsloser, man müsste nur sich selbst auch in die Filme hineinschieben können; das erste Mal, dass ich so absolut ausgeliefert bin und nicht intervenieren und berufen und aussteigen kann. Ich kann nichts tun, aber ich muss mittun. In meinem Leben das aller erste Mal, dass ich persönlich abstürzen und zum Personal einer Flugzeugabsturztragödie gehören könnte. Ich habe nicht unabsichtlich vierunddreißig Jahre auf diese Möglichkeit verzichtet. Tatsächlich kann ich jetzt sagen, dass ein Flugzeugkapitän sein Flugzeug genauso startet wie ein Schriftsteller seinen Text starten muss, wenn er nach oben kommen will. Zugegeben, es sind im Lauf der Geschichte schon mehr Texte als Flugzeuge abgestürzt."

So beginnt die Flugreise des vierunddreißigjährigen Protagonisten nach Lissabon mit Flugangst und seinem Sekretär, "den er von der Steuer absetzen kann". Er ist Autor, Raucher und Nihilist. Sein Reiseziel ist von den notwendigen Recherchen bestimmt, die sein nächstes Werk erfordern. Denn in Lissabon soll das imaginäre Treffen seiner zwei Lieblingsdichter stattfinden, die sich in Wirklichkeit nie getroffen haben und von der Existenz des jeweils anderen nicht einmal ahnten, da beider Ruhm zu Lebzeiten gleich Null war. Am Ziel angekommen, offenbart der Protagonist dem Leser Stück für Stück Einzelheiten über das Leben der beiden Dichter: Italo Svevo, einen Handelsvertreter aus Triest und Englischschüler von James Joyce, und Ferdinando Pessoa, einen kleinen Angestellten der Wiener Unionsbank in Lissabon. Der eine viel gereist, der andere kaum jemals über die Stadtgrenzen von Lissabon hinausgekommen. Seinem Sekretär diktierend oder in Gedanken versunken entsteht das imaginäre Treffen der beiden in der Vorstellung des Protagonisten. Er selbst besichtigt zugleich die Stadt und ihre Touristenattraktionen.

Die einzigen Motive, die den Protagonisten mit seinen beiden Lieblingsdichtern verbinden, sind die Lust am Schreiben und die Sucht des Rauchens. Beides zieht sich wie ein roter Faden durch die Erzählung und beides sind die Hauptthemen der Gedankenwelt des Reisenden, die den Roman weitgehend bestimmen. Hierbei sind seine Gedanken häufig nicht ganz von den Gedanken, die er seinen Dichtern zuschreibt, auseinander zu halten. Und auch die plötzlichen Wechsel von der fiktiven Realität des Protagonisten in seine erfundene Geschichte lassen einige Verwirrung aufkommen. Der Text ist zudem mit häufigen Zitaten aus den Werken der beiden Dichter gespickt, und zahlreiche englischsprachige Abschnitte können bei mangelnder Sprachkenntnis zu Verständnisproblemen führen. Die Dichter verwenden zeitweise in einem Satz zwei verschiedene Sprachen, die Konzentration des Lesenden ist somit ständig gefordert, wenn er alle Sprünge mitvollziehen möchte. Doch trotz aller Aufmerksamkeit überrascht der Protagonist durch Wortwitz und Formulierungen wie "Magenkrankheiten verursachen Depressionen" oder "Soziologie ist etwas für zwischendurch". Es scheint kein Thema zu geben, zu dem er uns nichts mitzuteilen hätte, sei es Fußball, Technik oder den Glauben an die Gesetze der Aerodynamik. Als Raucher fühlt er sich auf seinem Nichtraucherflug von der Gesellschaft ausgeschlossen und beneidet die Ausgeglichenheit seiner nichtrauchenden Mitmenschen, die er nur mit einem "Glimmstengel" zwischen den Lippen zu erreichen im Stande ist. Rauchen ist gut für die Figur und seine Nerven. Und der einzige Grund, warum man einen Kuss beendet ist, um sich eine Zigarette anzuzünden.

Neben diesem Gedankenchaos nimmt der Autor Egyd Gstätter den Leser mit auf eine faszinierende Reise durch Lissabon, beschreibt knapp aber feinfühlig die berühmtesten Attraktionen und lässt uns auf den milden, portugiesischen Winter neidisch werden. Er beobachtet die typischen Faschingszeremonien, die jährlich begangen werden, und deutet auf die Sitten des Lissabonner Alltags hin. Er lässt die "gekachelte" Stadt vor dem inneren Auge des Lesers tanzen und jeder, der sie schon einmal durchwandert hat, wird sie dank der Beschreibungen in seinen Erinnerungen wiederfinden.

"Februarreise an den Tejo" ist nicht das erste Werk Gstätters. Der gebürtige Klagenfurter ist studierter Germanist und Philosoph und veröffentlichte bereits mehrere Romane sowie Kurzgeschichten. Mit dieser Erzählung hat er eine faszinierende Sammlung von Gedanken geschaffen und seine Lieblingsdichter vor den Augen der Leser aufleben lassen. Für Literaturfreunde, die auf die mitreißende Spannung eines Krimis gerne einmal verzichten wollen und sich für die Gedanken eines Alltagsphilosophen begeistern können, ist diese Erzählung mit Sicherheit eine willkommene Abwechslung und Erfrischung.

Titelbild

Egyd Gstättner: Februarreise in den Tejo. Erzählung.
Edition Atelier, Wien 2001.
101 Seiten, 15,30 EUR.
ISBN-10: 3853080642

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