Sándor Márais Leben in Bildern

Ernö Zeltner begibt sich auf eine aufregende Spurensuche

Von Bettina AlbrechtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bettina Albrecht

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Sándor Márai eine der wichtigsten literarischen Wiederentdeckungen der letzten Jahre ist. Der ungarische Autor schien völlig aus dem literarischen Gedächtnis verschwunden zu sein. Doch seit sein Roman "Die Kerzen brennen ab" 1999 unter dem Titel "Die Glut" im deutschsprachigen Raum zu einem großen Bucherfolg wurde, wird Márai heute wieder als einer der großen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts gelesen. Sein Werk hat inzwischen auch in Deutschland einen großen Bekanntheitsgrad erlangt - er selbst bisher nicht. Daran will der Piper Verlag nun mit "Sándor Márai. Ein Leben in Bildern" etwas ändern.

Im Mittelpunkt der Biographie von Ernö Zeltner soll nicht der Autor, sondern der Mensch Sándor Márai und sein ebenso erfolgreiches wie tragisches Leben stehen. Für Zeltner, der unter anderem Márais "Himmel und Erde", "Die jungen Rebellen" und "Ein Hund mit Charakter" übersetzt hat, erwies sich diese Aufgabe als eine abenteuerliche Spurensuche. Márai habe nicht nur in seinen "Tagebüchern" sondern in seinem gesamten Werk einen wahren Irrgarten angelegt, in dem sich Erinnerungen und Fakten, Fiktion und Biographie, Dichtung und Wahrheit mischten. So stellte auch einer der besten Kenner von Márais Werk, der Literaturhistoriker Mihály Szegedi-Maszák, in seiner 1991 erschienenen Márai-Monographie fest: "Die ungarische Literatur hat keinen, autobiographischer schreibenden Autor als Sándor Márai. Trotzdem weiß man seltsamerweise nicht viel über sein Leben." Sympathisch, dass sich Zeltner durchaus darüber bewusst ist, dass auch er nur wenig mehr Licht ins Dunkel des langen Schriftstellerlebens bringen kann, als es der verschlossene Márai selbst zulassen wollte. Behutsam ergänzt und korrigiert Zeltner das Bild, das Márai in seinem Werk von dem eigenen Leben zeichnete. Er nimmt dabei die umfangreiche Korrespondenz des Autors, Erinnerungen von Verwandten und anderen Zeitgenossen, Interviews und Aufzeichnungen von Besuchern zu Hilfe. So gelingt es Zeltner, das bewegte und bewegende Schicksal des Autors detailreich nachzuzeichnen. Ein Schicksal, das die Zeitgeschichte eines ganzen Jahrhunderts widerspiegelt.

Sándor Károly Henrik Grosschmid wurde am 14. April 1900 in Kassa (deutsch Kaschau, heute das slowakische Košice) als Sohn eines angesehenen Anwalts geboren. Obwohl auch ihm eine juristische Karriere zugedacht war, gab er schon früh seiner großen Leidenschaft für die Literatur nach: 1918 erschien sein erstes Gedichtbändchen. Nachdem sich der junge stud. iur. im Revolutionsjahr dem Journalismus zuwandte, verließ er nach der Abdankung der Räterepublik das Land. Er begann ein Studium der Zeitungskunde in Leipzig, doch für Seminare und Vorlesungen nahm er sich nur wenig Zeit. Bald erschienen seine Artikel in angesehenen deutschen Blättern, im "Simplicissimus" und in der "Frankfurter Zeitung". Nach kurzen Gastspielen in Frankfurt und Berlin und schließlich dem endgültigen Abbruch seines Studiums übersiedelte er mit seiner Frau, der ungarischen Jüdin Ilona (Lola) Matzner, nach Paris. Márai schickte seine "Korrespondenz aus Paris" in mehreren Sprachen in verschiedene Länder. 1928 kehrte er mit seiner Frau nach Budapest zurück. Die nächsten 15 Jahre waren die ertrag- und erfolgreichsten seines langen Schriftstellerlebens: Er veröffentlichte über 20 Romane und unzählige Feuilletons. Márai war bereits in der ersten Hälfte der 1940er Jahre vor dem Faschismus in eine Art innere Emigration gegangen; doch im Ungarn der Nachkriegszeit musste er erkennen, dass in seiner Heimat endgültig kein Platz mehr für ihn, den bürgerlichen, liberal-konservativen Schriftsteller, war. Der bis dahin noch angesehenste Publizist und renommierteste Schriftsteller im Land wurde plötzlich in den offiziellen Organen in Grund und Boden kritisiert.

Die Emigration brachte Márai in die Schweiz und nach Italien; ab 1952 lebte er in New York. Fünf Jahre später wurde er US-Bürger, doch er blieb dort immer ein Fremder: "Die Einkommensteuererklärung ist hier eine Art Diplom, ähnlich wie in Europa der Adelsbrief." 1967 kehrten Márais nach Europa zurück und lebten in Salerno. Im südkalifornischen San Diego fanden sie 12 Jahre später schließlich ihren letzten Ruhesitz. 1986 starb Lola, im darauffolgenden Jahr János, der gemeinsame Adoptivsohn. Márai war zu alt und zu krank, um in die geliebte ungarische Heimat zurückzukehren, als sich endlich der Regimewechsel ankündigte. Am 15. Januar der letzte Tagebucheintrag: "Ich warte auf den Stellungsbefehl, bin nicht ungeduldig, will aber auch nichts hinauszögern. Es ist Zeit." Am 22. Februar 1989 erschoss er sich. Seine Asche wurde ins Meer gestreut.

Zeltners Buch bietet zahlreiche bisher unveröffentlichte Photographien und Dokumente. Einem literaturwissenschaftlichen Anspruch kann es allerdings nur bedingt genügen: Zum Beispiel vezichtet Zeltner - gemäß seinem Vorhaben, nicht den Autor Márai in den Vordergrund zu stellen - auf ein Verzeichnis der Werke Márais. Ansonsten bleiben wenig Wünsche offen: So wird Márais ergreifende Lebensgeschichte durch nützliche Übersichten zum geschichtlichen Hintergrund ergänzt. "Ein Leben in Bildern" ist für Liebhaber Márais also ein Muss - wie übrigens auch für Freunde schön gestalteter Bücher.

"Ein Leben in Bildern" stellt eine angemessene biographische Würdigung des Publizisten, Schriftstellers und insbesondere des Menschen Sándor Márai dar.

Titelbild

Sándor Márai / Erno Zeltner: Ein Leben in Bildern.
Piper Verlag, München 2001.
228 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-10: 349204350X

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