Auf den Spuren eines Grenzgängers

Heinz und Victoria Lunzer sowie Elisabeth Tworeks Horváth-Monographie

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ödön von Horváth wurde vor hundert Jahren, am 9. Dezember 1901, geboren. Aus diesem Anlass haben sich Heinz und Victoria Lunzer sowie Elisabeth Tworek auf Spurensuche gemacht. Die vorliegende Monographie bietet nun in einer Collage aus Photos, Zeitungsartikeln, Werkausschnitten, faksimilierten Dokumenten und kurzen Kommentaren das Lebensbild eines Schriftstellers, der in vielerlei Hinsicht ein Grenzgänger war, häufiger jedenfalls, als man bislang annahm.

Horváths Mutter stammte aus Siebenbürgen. Der Vater war ungarischer Diplomat und wurde 1909 geadelt. Ödön kam in Fiume, heute Rijeka, zur Welt. Bis 1908 lebte die Familie in Belgrad, danach in München. Im Elternhaus wurde Deutsch gesprochen. Weil er in der Schule, dem heutigen Oskar von Miller Gymnasium in Schwabing, kläglich versagte, wurde Ödön zuerst nach Pressburg und dann nach Budapest geschickt. Seine Matura erlangte er schließlich 1919 in Wien. Bis 1922 belegte er in München die Fächer Theaterwissenschaften und Germanistik, ohne jedoch das Studium abzuschließen. In diese Zeit fallen erste Dramenentwürfe und die berühmten "Sportmärchen", die in Berliner Zeitschriften, u.a. dem "Querschnitt", veröffentlicht werden. Von 1924 an lebte Horvath überwiegend in Murnau im Landhaus seiner Eltern, die ihn, bis auf eine kurze Zeit am Ende der Weimarer Republik, finanziell unterstützten. Den Einbürgerungsantrag, den Horváth unter seinem deutschen Vornamen Edmund stellt, lehnen die Behörden ab. Seinem bohemienhaften Lebensstil stand die oberbayrische Bevölkerung mit gemischten Gefühlen gegenüber. Sie diente ihm allerdings als Vorlage für seine neue Konzeption von Volksstücken, etwa "Die Bergbahn", in denen Politik und die Arbeitswelt der kleinen Leute eine entscheidende Rolle spielten. Veröffentlicht und aufgeführt wurden Horváths Stücke jedoch nicht in Bayern, sondern in Berlin und Leipzig. Ein gewisses Einkommen sichert ihm ein Vertrag mit dem Berliner Ullstein-Verlag. 1930 erscheint dort sein Roman "Der ewige Spießer", in dem er den Mittelstand karikiert, wie er ihn vor allem in München kennen gelernt hatte. Zum Bruch mit den Murnauer Mitbürgern kam es schließlich, als Horváth 1931 in einem Saalschlachtprozeß gegen die Nationalsozialisten als Zeuge aussagte. Im selben Jahr bekam er auf Vorschlag von Carl Zuckmayer den renommierten Kleist-Preis zuerkannt. Weil er in "Glaube Liebe Hoffnung. Komödie" eine Verzweiflungstat grotesk übersteigerte, wurde die Aufführung von den Nationalsozialisten verhindert. Im Frühjahr 1933 übersiedelte Horváth nach Wien. Hier und vor allem auch in Prag werden seine Stücke aufgeführt. 1934 zieht es Horváth wieder nach Berlin. Er arbeitet für den Film, u. a. "Das Einmaleins der Liebe" und wird in den "Reichsverband Deutscher Schriftsteller" aufgenommen, nachdem er sich als Nicht-Gegner des Staates ausgewiesen hat: "[E]s wäre für mich mehr als ein sehr schmerzliches Erlebnis, wenn man es mir untersagen würde, am Wiederaufbau Deutschlands mitzuarbeiten"

Horváth widerruft die in Aussicht gestellte Mitarbeit an der Exilzeitschrift "Die Sammlung" und zieht auch seine Unterschrift unter ein Protesttelegramm von antifaschistischen Autoren an den PEN-Kongress in Ragusa zurück. Trotzdem war Horváth wegen seiner tragikomischen Weltsicht in den Augen der Nazis ein unerwünschter Schriftsteller, weshalb sie ihn polizeilich aufforderten, das Land zu verlassen. Er nahm Quartier in Henndorf bei Salzburg, wo sich auch andere regimekritische Künstler, u.a. die Zuckmayers, niedergelassen hatten. Hier besuchten ihn Erich Kästner, Walter Trier und Walter Mehring. Weil er von den Tantiemen seiner Theaterstücke nicht mehr leben konnte, wandte er sich wieder der Prosa zu. Im Amsterdamer Exilverlag Verlag Allert de Lange erschien Ende Oktober 1937 sein Roman "Jugend ohne Gott", in dem auch Anklänge an das erste "Hochlandlager" der Hitler-Jugend 1934 in der oberbayrischen Staffelsee-Gegend verarbeitet werden. Allerdings zeigt sich hier auch eine erste Hinwendung zu christlichen Wertsetzungen, die dann ihren Ausdruck im religiösen Kleinbürgerdrama "Der jüngste Tag", uraufgeführt in Mährisch-Ostrau, finden. Am 13. März 1938, einen Tag nach der Besetzung Österreichs durch die deutschen Truppen, flieht Horváth aus Wien. Über Budapest, Mailand, Zürich und Brüssel reist er nach Amsterdam, um mit den Mitarbeitern der deutschsprachigen Abteilung des Allert de Lange-Verlags das Erscheinen seines Romans "Ein Kind seiner Zeit" zu besprechen. Von dort fährt er nach Paris. Am 1. Juni trifft er den Hollywood-Regisseur und Emigranten Robert Siodmak, der ihm die Verfilmung von "Jugend ohne Gott" in Aussicht stellt. Nach der Begegnung fällt auf dem Champs Elysees ein vom Sturm gelöster Ast auf den Kopf des Autors und tötet ihn sofort.

Hier endet auch das Lebensbild. Die Rezeption Horváths in Deutschland beginnt jedoch erst Anfang der siebziger Jahre mit der Herausgabe der Gesammelten Werke in vier Bänden durch Traugott und Susanna Krischke, der 1983 dann eine Kommentierte Werkausgabe in 15 Einzelbänden folgt. Eine jetzt veränderte Publikumshaltung nimmt die Schriftsteller des Exils auf und erkennt in den heimatsuchenden Weltbürgern einen wichtigen Teil der literarischen Tradition.

Titelbild

Heinz Lunzer / Victoria Lunzer-Talos / Elisabeth Tworek (Hg.): Horváth. Einem Schriftsteller auf der Spur.
Residenz Verlag, Salzburg 2001.
160 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3701712778

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