Celebration II

Benjamin von Stuckrad-Barre feiert mit "Deutsches Theater" ein fulminantes Comeback

Von Mischa GayringRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mischa Gayring

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man trifft sich, geht aus, meist auf irgendeine Party, von der irgendjemand gehört hat, oder in irgendeinen Club, der gerade angesagt ist, und da trifft man sie dann alle wieder, die, die man eh schon von irgendwoher kennt und die anderen, von denen man zumindest schon einmal gehört hat. Man redet dann über den neuesten Klatsch und Tratsch, und seit Mitte der 90er Jahre smalltalkt man sogar wieder über Bücher: "Haste schon den neuen Stuckrad-Barre gelesen?" - "Nee, den find ich scheiße!" - "Ach so."

"Diese Geschichte wurde oft erzählt" wusste auch schon Rainald Goetz 1999 in seiner Textsammlung "Celebration. Texte und Bilder zur Nacht" zu berichten -und fügte schließlich noch hinzu: "Und es war immer eine andere." So auch vor ein paar Wochen wieder, als ich in München, auf einer Party eingeladen, vor meinem Plattenkoffer stand und die Platten sortierte. In zwei, drei Stunden sollte ich auflegen, und das neue Buch von Stuckrad-Barre sollte ich auch noch rezensieren. Abgabetermin: keine Ahnung. Aber auf jeden Fall: zu früh. Nebenbei schaute ich noch fern. Fußball, um genau zu sein. Und Schalke führte gerade 2 zu 1 gegen Leverkusen. Ich dachte kurz an Hannes, der jetzt bestimmt am Feiern war, und ich suchte in meinem Plattenkoffer nach der Sascha Funke. "2:1 für die Liebe". Die spiel ich ... auf jeden, dachte ich noch, lief dann in die Küche, um mir etwas Neues zum Trinken zu holen, und traf da auf diesen Typen, der lässig und cool an die Tür gelehnt stand, sich mit irgend so einer Gucci-Schnalle unterhielt - und ob man es nun glauben mag oder nicht: er hatte den neuen Stuckrad-Barre dabei.

Was für ein Theater, dachte ich da nur, ging auf die beiden zu und fragte schließlich ihn: "Und wie findest du das Buch?" Er schaute mich einen Moment etwas irritiert an, meinte dann aber schließlich: "Ach so, du meinst den neuen Stuckrad-Barre" - "Ja, schon" - "Ach so ... ja, also, der ... ja, der ist auf jeden Fall "IN". "IN" also. "IN" - also echt, selten so nen blöden Spruch gehört, dachte ich mir da nur. Aber er hatte Recht. Denn als er mir das Buch hinhielt und auf einen kleinen grünen Aufkleber am unteren rechten Rand des Covers zeigte, sah ich, was er meinte. Denn auf dem Aufkleber stand: "IN". Schlicht und einfach: "IN". Und darunter - wie hätte es anders sein können: BILD. Alles klar, dachte ich da nur. Und wollte schon gehen, als er mir das Buch noch einmal hinhielt. Diesmal aber geöffnet. Ich sah ein Foto, auf dem ein Tor zu sehen war. Und auf diesem Tor stand: Johanna ist das Beste. "Johanna ist das Beste" zitierte er. Ich nickte und meinte dann noch: "Ich kenn nur einen Johannes, aber der ist auch ganz nett." - "Nee, nee, das mein ich nicht." - "Was dann?" Er deutete auf die Gucci-Schnalle und stellte sie mir mit den Worten vor: "Und das ist Johanna". Hat die Gucci-Schnalle also auch einen Namen, dachte ich da nur, und gab ihr die Hand. "Nett, dich kennzulernen. Ich bin der ... Ach, ist ja jetzt auch egal ..." Und dann ging ich, ohne mich noch einmal umzudrehen, ins Schlafzimmer zurück. Filmreif, dachte ich da nur, holte mein Notizbuch raus und notierte: 11. 5. / Deutsches Theater / "IN".

Schalke führte inzwischen 4 zu 1 gegen Leverkusen. Der Pokal war ihnen schon mal sicher. Wenigstens etwas. Ich würde also das Set mit Sascha Funke beginnen. Oder doch besser mit der "Jugendfußball EP" von Sikora? Keine Ahnung. Aber ich hatte ja noch ein bisschen Zeit. Ich holte also den neuen Stuckrad-Barre aus meiner Tasche, wobei einige Fotos und Zettel mit Notizen herausfielen. Fotos von Freunden, Zettel, auf denen Telefonnummern standen, eine Eintrittskarte einer Lesung von Judith Hermann im Frankfurter Goethe-Haus, ein paar Flyer. Ich musste an Walser denken, an die Sendung auf 3Sat zu seinem 75. Geburtstag. Da hatte er doch gesagt, jeder Leser mache aus dem Buch des Autors sein eigenes. Ich las die ersten sechs Geschichten, während Schalke den Sieg nach Hause trug. Zuhause, dachte ich nur und blätterte ein paar Seiten weiter, sah mir die Bilder an, dachte an das Interview mit Stuckrad-Barre und Christian Kracht vor ein paar Monaten in der ZEIT. Da hatte doch Stuckrad-Barre auf die Frage, wie er sich die Reaktionen des klassischen Feuilletons im Bezug auf seine Bücher erkläre, wie folgt geantwortet: "Es gibt ja nichts anderes als die Oberfläche. Und die Kritik, die einem das vorwirft, führt das exemplarisch vor, indem sie den Lesern verschweigt, worüber und wie wir eigentlich schreiben, und stattdessen ausschließlich Überlegungen anstellt über unseren Auftritt, die Fotos, die Anzeigen, die Oberfläche also. Die Kritik erdolcht sich damit selbst, ist im Grunde Kritik-Pop." Ja, genau. Kritik-Pop. Großartig! Ganz nach dem Motto: "Denk ich an Deutschland ... dann muss ich kotzen."

In der Zwischenzeit hatte Schalke Leverkusen endgültig mit 4 zu 2 besiegt. Schalke war somit DFB-Pokal-Sieger. Na also, geht doch, dachte ich da nur, und fragte mich sogleich, ob Stuckrad-Barre eigentlich auch etwas über Fußball geschrieben hatte. Ich blätterte zurück zum Inhaltsverzeichnis, suchte nach Titeln, die nach Fußball klangen und fand dann tatsächlich auf Seite 66 das "Länderspiel". Und als ich dann noch ein wenig weiter blätterte und Franz Josef Wagner, den deutschesten aller deutschen Boulevardjournalisten, auf einem der Fotos erkannte, und dann noch das deutsche "Superweib" Hera Lind, war ich wirklich kurz davor, mich zu übergeben, und legte das Buch weg, aber nicht ohne mich zu fragen, in was für einem Land wir eigentlich leben.

Aber noch bevor ich eine Antwort auf diese Frage finden konnte, war ich schon mit Auflegen dran. Ich machte den Fernseher aus, packte das Buch weg, nahm den Plattenkoffer und wollte gerade aus dem Zimmer gehen, als mir die Antwort dann doch noch einfiel: "Deutschland ist Hamlet! Ernst und stumm / In seinen Thoren." Ich schloss die Tür hinter mir zu, und sah vor mir schon die Schlagzeilen der Feuilletons vom Montag: "Celebration II. Benjamin von Stuckrad-Barre feiert mit "Deutsches Theater" ein fulminantes Comeback". Ich ging zum DJ-Pult, setzte den Plattenkoffer ab, stellte mich hinter die beiden Plattenspieler und das Mischpult, legte die Sascha Funke auf, dachte noch einmal kurz an den Typen in der Küche, wie er die BILD zitierte, und fragte mich wie groß wohl das "IN" in der Originalausgabe gedruckt war. Mindestens Schriftgröße 78, dachte ich da nur, und musste lachen. Ich nahm den Kopfhörer, hörte die "2:1 für die Liebe" und wusste: Deutschland ist ein Idiotenland. Dann fiel mir ein, dass ich noch eine Rezension zu schreiben hatte, und gestand mir ein: Deutschland ist vielleicht ein Idiotenland, aber der größte Idiot ist man immer noch selbst. Und dass eine "Inszenierung des öffentlichen Lebens", so Stuckrad-Barre, im Grunde genommen nichts anderes ist als die Wirklichkeit. Eigentlich traurig, dachte ich da nur, und träumte dann von dieser einen Rezension, die nur dieses eine Wort brauchen würde, weil jedes weitere Wort schon zu viel wäre. "IN" sagte ich leise. "IN", und dann begann ich mein Set.

Titelbild

Benjamin von Stuckrad-Barre: Deutsches Theater. Texte und Fotos.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001.
285 Seiten, 12,20 EUR.
ISBN-10: 3462030507

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