Verlust ist immer

Jürgen Noltensmeiers Roman "Geburtenstarke Jahrgänge" bleibt auf der Strecke

Von Thomas KraftRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Kraft

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Geburtenstarke Jahrgänge" - der Titel dieses Debütromans könnte für eine literarische Versuchsreihe stehen. Wer seine Jugend in den siebziger Jahren irgendwo zwischen Lüneburger Heide und Starnberger See verbracht hat, fühlt sich offenbar genötigt, seine gesammelten Erinnerungen zu veröffentlichen. Was bei Matthias Politycki und Andreas Neumeister als ironische Sozialstudie und Autodiscographie auch sprachlich noch reüssierte, verblasst bei Jürgen Noltensmeier - aller Retroseligkeit zum Trotz - zum Privatvergnügen, das nur beim Klassentreffen in Westfalen-Lippe auf Interesse stoßen dürfte. Der sich hier mit salopper Sprache, drastischen Bildern und Anekdoten möglichst authentisch gebärdende Gestus muss alle anöden, die das aus eigener Erfahrung kennen - und erst recht diejenigen, die "Smoke on the water" trotz des genialen Intros nicht für den Kristallisationspunkt der Rockmusik halten.

Ob Apfelkorn oder Percy Stuart, Klinkerimitationspappen, Clogs oder Mofas - der miefige Dunst, den diese Seiten atmen, riecht auch nach dreißig Jahren nicht angenehmer. Man darf schon fragen, warum diesem ungebrochenen Realismus immer noch ein Forum eingeräumt wird, so als ob sämtliche ästhetischen Diskurse der letzten Jahrzehnte völlig unbeobachtet vorbeigegangen wären. Dass jemand mit einem Buch "groß rauskommen" will, sei konzediert, aber ohne Substanz und Formbewusstsein funktioniert das nicht. "Verlust ist immer", heißt es hier. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt.

Titelbild

Jürgen Noltensmeier: Geburtenstarke Jahrgänge. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002.
208 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-10: 3462030930

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