Vom Wissen und Wollen

Peter Bieri findet die Freiheit im Spiel der Möglichkeiten

Von Sabine KlomfaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Klomfaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Peter Bieri will keine Denkkünsteleien, keine Deduktionen und keine Dogmatik. Sein Buch "Das Handwerk der Freiheit" könnte man vielleicht am ehesten als Phänomenologie des Willens begreifen, und es zeichnet sich durch seine begriffliche Schärfe und literarische Eleganz aus. Ein ausführlich kommentiertes Literaturverzeichnis macht es möglich, dass Bieri komplett auf Fußnoten verzichten kann. So wird die Lust am Lesen beträchtlich gesteigert, ohne dass der Autor befürchten muss, in die sogenannte "populär-wissenschaftliche" Liga abzusteigen.

Der Berliner Philosoph schält Zwiebeln - Schicht um Schicht wird abgeblättert, um den eigentlichen Gehalt aus den Phänomenen Denken, Freiheit und Bedingtheit herauszuholen und "die Verwandlung von verborgenem in ausdrückliches Wissen" geschehen zu lassen. Bieri geht davon aus, dass der Schlüssel zum Verständnis dieser philosophischen Probleme im ernsthaften, tiefen und vor allem intuitiven Nachdenken des Einzelnen besteht. Um Klarheit zu gewinnen, braucht man daher weder große Wörter noch zahllose Verweise in die heiligen Himmel der toten Philosophen. Sondern man "zeigt, dass man über ein Thema auf bestimmte Weise nicht denken kann - dass man darüber auf andere Weise denken muss. Das "nicht können" und "müssen" handelt dabei von begrifflicher oder gedanklicher Stimmigkeit, nicht von der psychologischen Möglichkeit oder Unmöglichkeit, bestimmte Gedanken - oder was man dafür hält - zu unterhalten. Und entsprechend sieht hier ein Disput aus: Es wird darüber gestritten, ob es stimmt, dass die fraglichen Begriffe so und nicht anders zusammenhängen, und ob ein bestimmter Gedanke aus einem anderen folgt. Das ist gemeint, wenn man sagt: Das Medium der Philosophie ist das Argument."

Diese Zusammenhänge zwischen den Begriffen erläutert Bieri systematisch anhand von Beispielen, in denen fiktive Personen sich durch die fraglichen Phänomene bestimmen: Wie emanzipiert sich z. B. eine Frau, die gewohnt war, sich dem Willen ihres Mannes zu unterwerfen? "Es würde darum gehen, sich nie mehr in den Bann einer fremden Zeit schlagen zu lassen." Warum langweilt sich der gedankliche Mitläufer? "Da er immer dasselbe denkt und sagt, und stets auf die gleiche Weise. [...] Das ist so, weil er etwas nie erlebt: Überraschung als etwas, das das Gewohnte durchbrechen und die Dinge in einem anderen Licht erscheinen lassen könnte." Und warum ist der Fatalist so vergesslich? Weil er tut, "als säßen wir am Ufer des reißenden Lebensstroms und müssten resigniert und ergeben zusehen, was er anrichtet. Aber so ist es nicht: Als Wollende, Entscheidende und Handelnde sind wir im Strom, oder: Wir sind der Strom, und sein Fließen ist oftmals - wenngleich nicht immer - die Ausübung unserer Freiheit der Entscheidung."

Bieri bestimmt das Handeln des Menschen als Ausdruck seines Willens. Das Wollen erweist sich als innere Kraft und ist determiniert durch die jeweilige Vorgeschichte des Menschen. Zu einem gegebenen Zeitpunkt fragt der Mensch sich nun, welche Möglichkeiten zum Handeln denkbar sind und welche er davon ergreifen könnte. Während der Mensch also nachdenkt und mögliche Konsequenzen abwiegt, ergreift der Wille von einer dieser Möglichkeiten Besitz. Wenn diese so verstandene Kraft mit dem übereinstimmt, was dem Menschen durch sein Urteilsvermögen wünschenswert erscheint, so wird die Person den Willen als zu sich gehörig empfinden: Es ist ihr bestimmter Wille. Ebenso wird der Wille als eigener akzeptiert, wenn durch das Überlegen Einfluss auf ihn genommen und dieser so verändert werden kann. Daher stellt Bieri fest: "Die Offenheit der Zukunft, die wir für die Freiheitserfahrung brauchen, liegt im Spiel der Einbildungskraft. Und nur in diesem Spiel. [...] Als vorgestellte Möglichkeiten üben sie echten und tatsächlichen Einfluss auf den Willen aus, der durch diesen Einfluss zu einem freien Willen wird." Hier findet der Philosoph einen Spielraum der Freiheit, d. h. ein Feld des "Noch-nicht-Entschiedenen" und Änderbaren, das nur existieren kann, weil es sich auf Bedingtheiten bezieht. Und das ist laut Bieri deshalb so, "weil jede Welt eine bestimmte Welt ist, die in ihrer Bestimmtheit Grenzen setzt und tausend Dinge ausschließt. Und wir brauchen diese Bestimmtheit und diese Grenzen, damit auch unser Wille jeweils ein bestimmter Wille sein kann." Erfahren wir einen Willen, der stärker als unsere Vernunft zu sein scheint oder unseren Wünschen und Zielen widerspricht, fühlen wir uns ohnmächtig, so wie z. B. der zwanghafte Spieler, der immer wieder seiner Sucht unterliegt.

Bieri zieht mit seinem Konzept des Willens und des Urteilens gegen den Determinismus und einer daraus folgenden Resignation zu Felde. Gebetsmühlenartig legt er dar, dass der Wille "von innen" nur in pathologischen Fällen (wie beim zwanghaften Handeln des Spielers) oder "von außen" erpresst (wie beim Zwang zwischen zwei Übeln zu wählen) wirklich unfrei sei. Im Normalfall aber kommt der zukünftige Wille, so Bieri, "nicht auf dich zu wie eine Lawine. Du führst ihn herbei, du erarbeitest ihn dir, indem du von freier Entscheidung zu freier Entscheidung fortschreitest, bis du bei ihm angekommen bist." Dabei betont der Philosoph insbesondere die Funktion des Denkvermögens: "In dem Maße, in dem die Aneignung des Willens auf Artikulation und Verstehen beruht, handelt es sich um einen Erkenntnisprozess. Wachsende Erkenntnis bedeutet wachsende Freiheit. So gesehen ist Selbsterkenntnis ein Maß für Willensfreiheit." Denn erst das Wissen um die Möglichkeiten, die man haben könnte, und dann das Durchdenken und Bewerten dieser Möglichkeiten, formen einen Willen, der wirklich als eigener und verantwortbarer erkannt werden kann.

Titelbild

Peter Bieri: Das Handwerk der Freiheit. Über die Entdeckung des eigenen Willens.
Carl Hanser Verlag, München 2001.
448 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3446200703

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