Das Schicksal, die alte Sau

Franzobels "Lusthaus oder die Schule der Gemeinheit"

Von Christian HeuerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Heuer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Dichtung hat für mich viel mit Unerwartetem zu tun, weshalb ihr jede Vorhersehbarkeit (wie etwa die Subsumierung unter einen literaturhistorischen Begriff) per se zuwiderläuft. Obwohl mein Schreiben vielen individuellen Positionen der sogenannten Moderne oder historischen Avantgarde außerordentlich verpflichtet ist, war ich selbst niemals versucht, mich einer etwaigen gegenwärtigen Avantgarde-Garde zuzurechnen." So beantwortet Franzobel die Frage nach der Relevanz der Avantgarde-Bewegungen, speziell der österreichischen, für seine Literatur und artikuliert so sein "Unbehagen gegen die dem Begriff inhärente Verharmlosung, mit welcher der Literaturbetrieb 'Avantgarde' zu einer bloßen Sprachspielerei, zu einem geschnupften Vorsprung verkommen lassen hat". Tatsächlich hat die Literaturkritik in den Werken Franzobels (die Klappentexte geben ein beredtes Beispiel) in erster Linie dieses erkannt: die virtuose Handhabung der poetisch-technischen Verfahren, die treffsichere Verwendung grotesker Verfremdungen und die Fähigkeit, ein Inventar von Metaphern und Bildfeldern für die Charakterisierung von Personen und Situationen bis in die letzte Möglichkeit der Assoziation auszureizen.

Die Besonderheiten seiner Prosa kennzeichnen auch den neuen Roman des recht produktiven Autors: Neben den außerordentlichen sprachlichen Mitteln ist es insbesondere die Fähigkeit, aus Personenbeschreibungen heraus den Plot zu entwickeln und die Protagonisten wie in einem Versuch anzuordnen und aufeinander treffen zu lassen, um zu sehen, was passiert. Und wie bei "Scala Santa" erübrigt sich der Versuch, die Episoden, die Begegnungen, Verwicklungen, Volten, Haken und Ösen nachzuerzählen. So weit, so gut, so wie gehabt: Das Diffuse, Heterogene hat bei Franzobel Methode.

Denn abseits erzählerischer Interessen wie Entwicklung ("The hero tells the story"), Kolorit, Reflexion und ähnlichem ist das Bemerkenswerte an den Romanen, dass sie sich wie eine Zwiebel schälen lassen. Im Falle von "Lusthaus" agiert der Text zum einen im Gewande der Farce; so in den Lektionen der Gemeinheit, die der perfekt amoralische Manker dem von Gewissensbissen geplagten Journalisten und Nekrologverfasser Zsmirgel erteilt. Hier zeigt sich Franzobels Stärke in der Satire und der absurden Komik. Zum zweiten vollzieht er einen (in mancherlei Hinsicht typisch österreichischen) Diskurs um Geschichtsbewusstsein und gegenwärtiges Nazitum, Sexualität und Macht, Moral und Verkommenheit. Drittens aber erzählt der Roman vom Schicksal und der Suche der Figuren nach Orientierung und persönlichem Glück. Leitmotivisch durchziehen Zitate aus der Bibel und der Liturgie den Text, und die Gedanken der Figuren stellen dabei Sinnangebote ohne konkreten Wert dar, Imperative, denen kein Mensch folgt. So bleibt nur übrig, sich an den Anderen zu klammern, Zukunftsperspektiven zu entwickeln oder aber Wünsche, Ziele und Triebe zu unterdrücken. Dass alle dabei unglücklich sind, versteht sich fast von selbst, und es bedarf in dieser Versuchsanordnung der Reaktion aller Elemente, um einen neuen Status ihrer Existenz herbeizuführen.

Nachdem einige Protagonisten und Randfiguren in der Raserei eines wütenden Mobs sterben, andere hingegen ihre Gefühle für einander erkennen, stellt die Erzählerin fest: "Das Schicksal ist ein Schwein, doch manchmal schlägt es eine Volte, findet Trüffel und ist gar nicht so gemein". Man kann als banales Ergebnis festhalten: Alle Menschen suchen das Glück und einige lachen und andere sind tot. In der Konstruktion von Zwangsverwandtschaften, Zufallsbegegnungen, unreflektierter Verfallenheit an Leidenschaften, unwahrscheinlichen Koinzidenzien und Parapsychologischem sondiert Franzobel das Feld zwischen Zufall und Schicksal, zwischen Unvorhergesehenem und Handlungslogik und belastet damit die Tragfähigkeit traditionellen Erzählens (und des Erzählers). In der Gestalt der Erzählerin verdichtet sich diese abstrus erscheinende Melange aus Wirklichkeitsempfindung und Geschichtsbastelei: Die Handlung wird entwickelt von und zusammengehalten durch die Seele der zweijährigen Rosalia Lombardo, die als schlecht präparierte Mumie in den Kapuzinerkatakomben Palermos liegt; ihre Seele fährt dort in den Körper einer Wiener Touristin, um schließlich durch deren Tod an einem Bankomat, ausgelöst durch eine magische Todesvorhersage, erlöst zu werden und ins Jenseits, zum Saturn-Mond Titan, zu entschwinden. Ein Erzählen, das resümiert, wie es dazu kam und warum es bald nichts mehr zu erzählen gibt. Was ist dazwischen? Manches Klares, viel Unwägbares.

Die Wechselhaftigkeit des Lebens und die Nähe des Todes - eine barock zu nennende Wahrnehmung, die, vermittelt durch das Bild des gekreuzigten Jesus, seine letzten Worte, dem Memento mori und der Einsicht "Sic transit gloria mundi", den ganzen Roman durchzieht. Und so endet dieser auch passend mit einem Sonett Paul Flemings, "Bey einer Leichen", gedruckt 1646, in dem sich Aussage und die argute literarische Technik der Bildreihung widerspiegeln:

Ein Dunst in reger Lufft;

Ein geschwindes Wetterleuchten;

Güsse / so den Grund nicht feuchten;

Ein Geschoß / der bald verpufft;

Hall / der durch die Thäler rufft;

Stürme / so uns nichts seyn deuchten;

Pfeile / die den Zweck erreichen;

Eyß in einer warmen Grufft;

Alle diese sind zwar rüchtig /

daß sie flüchtig seyn und nichtig;

Doch wie nichts Sie alle seyn /

So ist doch / O Mensch / dein Leben /

mehr / als Sie / der Flucht ergeben.

Nichts ist alles. Du seyn Schein.


Titelbild

Franzobel: Lusthaus oder Die Schule der Gemeinheit.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2002.
170 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3552051805

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