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Henning Mankells Band "Wallanders erster Fall"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich hatte der schwedische Erfolgsautor Henning Mankell seinen Protagonisten Kurt Wallander nach dem letzten Roman "Brandmauer" in den literarischen Ruhestand geschickt. Doch plötzlich ist er doch wieder da - verjüngt, unerfahren und noch voller Ideale; Wallander zu Beginn seiner Polizeilaufbahn.

Gleich im Vorwort des fünf kleinere Fälle umfassenden Bandes liefert Henning Mankell die Erklärung, wie es zum verspäteten erzählerischen Prolog gekommen ist. Viele Leser hätten ihn dazu animiert, eine Wallander-Jugendgeschichte nachzureichen, also die Zeit vor dem ersten Roman "Mörder ohne Gesicht" (1990) mit kriminalistischem Leben zu füllen.

Zweifellos gibt es noch ein anderes, nicht ganz so ehrbar klingendes Motiv. Und das dürfte kommerzieller Natur sein, denn das neue Buch rangiert auf fast allen Bestsellerlisten schon wieder auf Platz eins.

Dem Leser wird in den neuen Geschichten viel abverlangt. Eigentlich müsste er alles, was er aus den acht Wallander-Romanen kennt, aus dem Hinterkopf verbannen. Das kann aber nicht funktionieren, und es ist nur noch eine halbe Lesefreude zu erfahren, wie Wallander einst mit seiner späteren Ehefrau Mona anbandelte, denn wir wissen schließlich von der späteren Trennung.

Doch wir begegnen auch einem aufklärenden Handlungsdetail. Im ersten Fall des neuen Bandes werden wir Zeuge eines Messerattentates auf Wallander, von dem der kauzige Ermittler in den späteren Büchern häufig in vagen Andeutungen berichtete.

Der erzählerische Bogen beginnt im Jahr 1969. Wallander, gerade Anfang 20, ist Streifenpolizist in Mallmö, hat es mit kleinen Drogendelikten und den Studentenprotesten gegen den Vietnamkrieg zu tun, als er von seinem Vorgesetzten Hemberg mit der Aufklärung eines "kleinen ekelhaften Scheißmord[es]" betraut wird. Er findet seinen Wohnungsnachbarn Halen erschossen auf dem Fußboden.

Schon der junge Wallander offenbart ein Höchstmaß an kriminalistischer Intuition, eine Eigenschaft, die sich normalerweise erst als Resultat langjähriger Berufserfahrung entwickelt. Mankells Zeichnung des jungen Polizisten kann nicht überzeugen, denn alle Marotten, die wir aus den Romanen um den reifen Wallander kennen, sind wie mit einer Schablone auch dem fast noch jugendlichen Protagonisten übergestülpt worden: die Neigung zum Missmut, die unkonventionellen, eigenbrötlerischen Ermittlungsmethoden, gesundheitliche Probleme (hier ist es der Magen) und die Nöte mit seinem bisweilen verschrobenen Vater.

Am Ende des längsten, Ende der 80er Jahre angesiedelten Textes "Die Pyramide", in dem es um den Absturz eines Sportflugzeugs und um den Tod von zwei betagten Damen geht, wird Wallander zu einem neuen Fall gerufen - zum Mord an einem Bauernehepaar. Da schließt sich dann der Kreis, und wir sind (zeitlich) beim ersten echten Wallander-Roman "Mörder ohne Gesicht" angelangt.

Der erzählerische Ausflug in die Vergangenheit, der nachgeschobene Prolog, der eigentlich ein Epilog ist, konnte nicht überzeugen. Der Versuch, eine bis ins kleinste Detail bekannte Figur rückwärts zu entwickeln, ist künstlerisch gescheitert. Das nun gelieferte Wallander-Portrait wirkt im Vergleich zu den Romanen wie eine Bleistiftzeichnung neben einem farbenprächtigen Ölbild.

Die stetig wachsende Mankell-Fangemeinde wird's nicht stören, denn unterhaltsam zu lesen sind die Geschichtchen trotzdem, und wegen des geringen Umfangs lassen sie sich auch häppchenweise zwischendurch konsumieren.

Titelbild

Henning Mankell: Wallanders erster Fall und andere Erzählungen.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2002.
480 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3552051872

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