Egalitäre Differenz

Ein Sammelband zum Kampf um Anerkennung und Gerechtigkeit

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Mai 2001 veranstaltete der Feministische Theoriebereich am Institut für Erziehungswissenschaften gemeinsam mit der Interfakultären Koordinationsstelle für feministische Forschung und Lehre der Universität Innsbruck eine Tagung, die sich mit "Ansätze[n], Einsätze[n] und Auseinandersetzungen im Kampf um Anerkennung und Gerechtigkeit" befasste. Die Vorträge sind nun in einem von Michaela Ralser herausgegebenen Sammelband mit dem Titel "Egalitäre Differenz" dokumentiert. Wie verschieden die theoretischen Hintergründe der Referentinnen und ihre Praxisfelder auch sind, so ist ihnen nicht nur, wie die Herausgeberinnen betonen, das Geschlecht gemeinsam - es handelt sich ausnahmslos um Frauen - sondern wichtiger noch, auch ihre "feministische Haltung" und die "langjährige Auseinandersetzung" mit Fragen der Geschlechterdifferenz.

In einem einführenden Text tritt die Herausgeberin an, Begriffe und Kategorien "aus feministisch kritischer Perspektive" zu bestimmen und einer "neuen Unübersichtlichkeit" entgegenzuwirken, verliert sich jedoch gelegentlich in Unschärfen und Polemiken. So spricht sie etwa von der "Wertschätzung der Differenz", wenn offenbar die Wertschätzung der Möglichkeit von Differenz gemeint ist. Das möchte man zumindest annehmen, denn Wertschätzung von Differenz um ihrer selbst willen würde schließlich auch eine misogyne Subkultur wertschätzen, sofern sie nur von der Norm abweicht. An anderer Stelle unterstellt Ralser dem "DeKonstruktivismus" eine Methodologie, die sich "in der Aussage erschöpft, Geschichte sei machbar" (als sei es überhaupt möglich, dass eine Methodologie sich in einer solchen Aussage erschöpft), raunt vom "zwingenden Charakter von Herrschaftsverhältnissen" und polemisiert gegen die "'Kritik'-Variante des DeKonstruktivismus". Auch wird sich das Verdikt, "der bis auf die Zähne bewaffnete Denkraum" der abendländischen Philosophie habe "einen lediglich hierarchischen Begriff der Differenz ausgebildet", in dieser Pauschalität schwerlich aufrechterhalten lassen. Für die differentia secundum numerum des Thomas von Aquin oder den Differenzbegriff, der Leibnizens bekannter Unterscheidung der Blätter eines Baumes zugrunde liegt, dürfte die ubiquitär unterstellte Hierarchisierung beispielsweise nur schwer nachweisbar sein.

Solchen argumentativen Schwächen stehen Erkenntnisse zum Verhältnis der Kategorien Geschlecht, Klasse und Ethnizität gegenüber, deren Relevanz nicht genug betont werden kann. Die "Anordnung gleichrangiger Differenzachsen" (etwa der Trias 'Rasse', Klasse und Geschlecht), so bemerkt Ralser zu Recht, legt die Gleichsetzung der sie begründenden Herrschaftsverhältnisse nahe und verdeckt somit, dass sie "nach Genese, Entwicklung und Transformation" verschieden sind. Tatsächlich differieren jedoch nicht nur die "historischen Strukturzusammenhänge" dieser und anderer Differenzachsen, sondern auch ihre "gegenwärtigen strukturellen Verankerungen" sowie die "kollektiven und individuellen Aneignungsformen" und so schließlich auch "die Perspektiven der Überwindung der ihnen zugrunde oder in ihnen liegenden Unrechtsverhältnisse".

Unter den Referentinnen, die sich etwa mit der "Neuinterpretation der sozialen Frage im globalen Kapitalismus" (Erna Appelt), "Frauenmenschenrechtspolitik im Horizont von Geschlechtergerechtigkeit" (Regina-Maria Dackweiler) und Migrantinnen in Österreich (Luzenir Caixeta und Rubia Salgado) befassen, glänzt Iris Marion Young mit einer besonders gründlichen und überzeugenden Argumentation. Ihr Artikel befasst sich mit der Frage, ob und wie "gruppenbewussten Praktiken", also solche, die sich etwa auf Geschlecht, Ethnie, Kaste oder Alter beziehen, zur "Einschätzung von Ungleichheit" gerechtfertigt sind. Dabei wendet sie sich gegen die Auffassung, dass alleine schon das Sammeln von Daten nach Kategorien wie Ethnie oder Geschlecht zwangsläufig zu "böswilliger Diskriminierung" führe und daher "gruppenbewusste Ungleichheitsmessungen" von vorneherein zu verwerfen seien. Denn allein der Vergleich der Situation einzelner Personen, argumentiert die Autorin, könne allenfalls eine "schwache Basis" für die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit bereitstellen, erst die Untersuchung von Ungleichheit gesellschaftlicher Gruppen könne die Behauptung begründen, dass "einige Ungleichheiten" ungerecht sind. Denn ein "gruppenbewusster" Vergleich trage dazu bei, "wichtige Aspekte institutioneller Beziehungen und Prozesse aufzudecken". Der Vergleich von sozialen Gruppen sei also unabdingbar. Nur so könne "strukturelle Ungleichheit" in den Blick geraten.

Titelbild

Michaela Ralser (Hg.): Egalitäre Differenz. Ansätze, Einsätze und Auseinandersetzungen im Kampf um Anerkennung und Gerechtigkeit.
Studia Universitätsbuchhandlung und Verlag, Innsbruck 2001.
181 Seiten, 13,08 EUR.
ISBN-10: 390150236X

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