Die Fälschung der Welt oder unserer Sichtweise auf sie

Andreas Gurskys Bilder

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kaum eine Feuilletonseite über den Fotografen Andreas Gursky kommt ohne den Hinweis darauf aus, dass eines seiner Bilder, ,Untitled V', mit einem Verkaufspreis von umgerechnet über 700.000 Euro die bislang teuerste Fotografie der Kunstszene ist; jetzt wissen es alle. Das Bild zeigt Turnschuhe in einem Regal. In dem umfangreichen Katalog, der anlässlich der Retrospektive des Museum of Modern Art in New York erstellt wurde, ist auch dieses Bild zu sehen. Was ist an einem Bild von Turnschuhen einer, zugegeben, bekannten Marke im Regal eines ebenso weithin geschätzten Designers so reizvoll, dass fulminante Preise damit erzielt werden? Liefert die Werbefotografie nicht tagtäglich Hochglanzabzüge dieses Sujets?

Peter Galassi, Chefkurator des Departement of Photography, der auch die Ausstellung in New York betreute, versucht eine Antwort auf diese Fragen zu geben. In seiner umfangreichen und profunden, wenn auch etwas schwerfälligen Einführung geht Galassi der Faszination, die Gurskys Bilder beim Publikum auslösen, nach. Über einige knappe biographische Ausführungen gelangt er dabei rasch zu den Vorbildern und Einflüssen des 1955 geborenen Fotografen. Zuerst sind dabei sicherlich Bernd und Hilla Becher von der Düsseldorfer Akademie zu nennen, zu deren Schülern Gursky neben anderen inzwischen berühmten Künstlern wie Candida Höfer, Thomas Ruff und Thomas Struth gehört. Galassi arbeitet sorgfältig heraus, inwiefern diese mit ihren ,Typologien' - ein vieldeutiges, eher dem Sozialbereich zugeordnetes Thema wird in Serie in einem möglichst statischen und einheitlichen Bildstil abgelichtet, so dass sich durch die methodische Strenge eine Typologie ergibt - einen Gegenpol bildeten zur Subjektiven Fotografie eines Otto Steinert, und vor allem, wie Gurskys Bilder sich zu diesen Gegensätzen verhalten. Das Serielle tritt bei Gursky in den Hintergrund, Expressivität und Inszenierung sind ihm nicht fremd. Die Bearbeitung der Bilder am Computer erweitert darüber hinaus die Möglichkeiten, die etwa dem Kanadier Jeff Wall, ein für Gursky wohl eminent wichtiger Kollege, mit seinen inszenierten Tableaus zur Verfügung standen. Als zentralen Bezugspunkt macht Galassi allerdings die Variation der Gemälde Gerhard Richters aus. Zwischen Realismus und Abstraktion stetig oszillierend geben diese in ihrer Bandbreite spannende Vergleichsmöglichkeiten. So kann Galassi Bilder wie ,Paris, Montparnasse', das ihn an Richters Farbpaletten-Bilder erinnert, und ,Ohne Titel I', bei dem Gursky den Teppich der Kunsthalle Düsseldorf fokussiert und das Richters Grau-Bilder ins Gedächtnis ruft, über die Tradition der monochromen Abstraktion in einen klar definierten kunstgeschichtlichen Kontext einordnen.

Es ist zu begrüßen, dass Galassi sich in dem konzentrierten, obgleich naheliegenden Vergleich mit Richter, für den die Fotografie eine entscheidende Vorstufe seiner Gemälde bildet, wenn sie nicht gar darin aufgeht, auf diesen einen Bezugspunkt beschränkt. Seine zunächst weitschweifige Reise durch die Geschichte der Fotografie drohte angesichts des noch jungen Werks von Gursky zu viel Bedeutung aufzuhäufen. Freilich lässt sich nur so dessen Wertschätzung erklären. Interessant scheint aber ein Aspekt, der vielleicht noch zu oberflächlich untersucht, ja gerade einmal gestreift wurde: die technische Manipulation an den Bildern, wobei Gurskys Unbekümmertheit im Umgang mit dieser ihn eventuell am deutlichsten von einigen Vorläufern unterscheidet. Man hätte gern noch etwas mehr erfahren über den digital retuschierten, makellosen Horizont des Rheins, die aus mehreren Negativen zusammengesetzten Panoramen oder das nahezu völlig fiktive Regal von ,Ohne Titel V', das Aufnahmen von etwas vereint, das nie existierte. Das sich in den verblassten Farben selbst entlarvende Bild einer Fototapete, ,Yogyakarta', wirkt dagegen wie die seit je vertraute und lockende Fälschung der Welt durch die Medien.

Der üppige Katalog versammelt mehr als nur einen Einblick in Gurskys Schaffen. Die zahlreichen, hervorragenden Abbildungen, die selbstverständlich nicht den imposanten Eindruck der übergroßen Originale erfassen, lassen nachempfinden, was die Kunstkritik das Loblied anstimmen lässt. Allein über die Entstehung und Entwicklung der Bilder wüsste der neugierig und skeptisch Starrende gern noch mehr.

Titelbild

Andreas Gursky: Peter Galassi.
Hatje Cantz Verlag, Ostfilden-Ruit 2001.
195 Seiten, 88,00 EUR.
ISBN-10: 3775710523

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch