Das Dilemma des Porträtisten

Jürgen Hogrefe porträtiert Gerhard Schröder

Von Thomas KrummRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Krumm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Herrscherporträts sind häufig Auftragsarbeiten gwesen, die den Künstler nicht selten vor ein Dilemma gestellt haben: wie sehr kann er den Erwartungen des Auftraggebers entgegen kommen, ihm "schmeicheln", ohne dabei die Realität zu verfälschen oder den eigenen Stil zu verleugnen? Bereits die Umschlaggestaltung lässt nichts Gutes erahnen: ein für die Kamera posierender Schröder im Brioni-Anzug mit ungetönten Haaren und Cohiba-Zigarre am Ohr.

Das Porträt als Ort der Selbstdarstellung? Anders als für eine primär chronologisch gestaltete Biografie bietet ein Porträt mehr Freiräume zur thematischen und stilistischen Gestaltung des Werkes. Hogrefe macht davon reichlich Gebrauch, indem er sein Porträt in Kapitel gliedert wie "Lernen", "Lachen", "Fußball", "Privat" oder "Redner". Dabei bemüht sich Hogrefe immer wieder, den "Menschen Schröder" sichtbar zu machen. In dieses Bild passt dann z. B. kein eigenes Kapitel über "Frauen", vermutlich weil es dem intendierten Image nicht bekömmlich wäre. Wie wichtig dagegen das kleine, nur vier Seite lange Kapitel über Schröders Fußballervergangenheit ist, erschließt sich nicht zuletzt vor dem Hintergrund der politischen (Be-)Deutung der WM 2002. Richtig politisch wird es dagegen erst in den letzten Kapiteln zur Wirtschafts- und Außenpolitik. Das Intro-Kapitel "Macht" beschreibt eher impressionistisch den Schröderschen Willen zur Macht. Sein unverblümtes Streben nach Macht wird als Authentizität dargestellt. Und Wirtschaftspolitik wird mehr und mehr zur Schlüsselkompetenz. Immer wieder siegen Pragmatismus und Machtinstinkt über Einwände aus der "Abteilung Wolkenschieberei" (Theorie). Im Hintergrund solcher Charakterisierungen zeichnet sich die Frage ab, welchen politischen Stil Gerhard Schröder der Politik aufprägt, welchen Einfluss Persönlichkeit überhaupt noch auf Politik hat. Während in der Politikwissenschaft die Frage diskutiert wird "do parties matter?", widmet sich Hogrefe der Frage "does personality matter?".

Dabei gelingt es ihm immer wieder, Brücken zwischen dem Persönlichen (nicht zuletzt der persönlichen Vergangenheit) und dem Politischen zu schlagen. Das liest sich instruktiv. Hier gelingt es dem von Hogrefe beschriebenen "System Schröder" auch, Konturen zu gewinnen. Immer wieder sieht man das Persönliche durch das Politische durchschimmern. Die Frage, ob dieses Persönliche noch authentisch ist oder bereits ein Produkt der Imagepflege, vielleicht sogar eine Gefälligkeit des Porträtisten, lässt sich auch nach der Lektüre nicht eindeutig beantworten. Ein Image könne man nicht konstruieren, wird Schröders Berater zitiert, es müsse schon etwas da sein, das man betonen könne. Ansonsten würden die Risiken unwägbar, wie das Beispiel von Scharpings Poolfotos auf Mallorca zeige.

Schröder ist wie sein Außenminister ein exzellenter "Biografievermarkter". Hogrefe spielt dieses Spiel mehr mit als er es offen legt. Das wirkt menschlich, aber auch unrealistisch. Gerne hätte man mehr über das "System Schröder" erfahren. Geboten wird aber nur eine impressionistische, distanzlose Überstilisierung ("System Schröder" als "lernfähiges System", "Schröders Berliner Räte-Republik" usw.), die vermutlich aus der engen Symbiose von Politiker und Journalist, von Maler und Modell resultiert. Der Journalist spielt das Spiel des Politikers mit, während sich der Politiker auf die Regeln des Journalisten einlässt. Das Ergebnis kann man als symbolische Politik beschreiben, als Schnittstelle zwischen Politik und Medien.

Wenn Hogrefe bereits nach drei Jahren Kanzlerschaft Schröder einen kaum mehr überbietbaren Bogen spannt zwischen Formhoch und Fiasko, wie würde er dann erst eine 16-jährige Kanzlerschaft wie im Falle Kohl umreißen? Da die gut drei Jahre Kanzlerschaft sowie die vorhergehenden Jahre als Ministerpräsident nicht genügend Material zu liefern scheinen, kommt es immer wieder zu Redundanzen in der Stilisierung des Medienkanzlers, des Konsenskanzlers und seines Machtstrebens. Als Platitude erscheint der Hinweis, dass die Kanzlerschaft den Menschen Schröder mehr verändert habe als jeder andere Lebensabschnitt zuvor.

Um die eingangs erwähnte Unterscheidung von Biografie und Porträt wieder aufzugreifen: Porträts sind nicht selten Auftragsarbeiten, bei denen der Porträtist es dann nicht wagt, seinem "Modell" nicht zu schmeicheln. Erst recht, wenn er damit den Zugang zum inneren Zirkel seines Modells riskieren würde. Aber das Entscheidende eines Porträts ist ja auch nicht die spiegelbildliche Abbildung, sondern die Wiedererkennbarkeit. Und dafür reicht es allemal.

Titelbild

Jürgen Hogrefe: Gerhard Schröder. Ein Porträt.
Siedler Verlag, Berlin 2002.
222 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-10: 3886807576

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