Ranghohe Hoden

Alfred Bittners gewagte Erzählung "Novotnys Mumie"

Von Thomas HermannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Hermann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lieber Alfred Bittner, ich werde Ihr Buch nicht rezensieren.

Im Folgenden möchte ich versuchen, Ihnen meine Entscheidung zu erklären. Herr Bittner, Sie spielen ein gefährliches Spiel. Ihre Erzählung beginnt mit dem Tod des jüdischen Ehepaares Nachtmann zu einer Zeit, in der Österreich die "Ostmark" war. Nathan Nachtmann war Besitzer eines Chemiebetriebes und gleichzeitig Erfinder eines Giftgases, das seine Opfer zu Mumien macht, das seine Opfer nicht verwesen lässt, sie in starre und steife Puppen verwandelt. Nathan und seine Frau sterben durch dieses, sein eigenes Giftgas!

Alfred, Ihre ironische Schreibe, Ihr Wiener Schmäh, Ihre Hintersinnigkeit und der Fortgang der Erzählung ändern nichts an dieser Tatsache.

Wie geht es fort? Das will ich Ihnen darlegen.

Nanny Nachtmann, die Tochter der Toten, verdingt sich als Hure. Eine Jüdin im Wiener Untergrund als Hure. Eine Jüdin im Widerstand. Sie tut's für Geld mit Nazi-Größen, mit den Aller-Nazi-Größten. Warum? Bester Bittner, ich möchte aus Ihrem Werk zitieren, ich werde Ihre Worte in ihrer ganzen Brisanz für sich sprechen lassen: "Aber auch in puncto Sabotage konnte sie mit dem zufrieden sein, was sie in nicht einmal fünf Jahren als Widerstandskämpferin geleistet hatte. Sie hatte Bäche von faschistischem Sperma zweckentfremdet! Sie hatte es von ihrem Bauch gewischt und mittels Papiertaschentuch in den Abfall befördert oder hatte es auf dem schwarzen Bidet herausgespült und dem übrigen Dreck übergeben. Nicht auszudenken, wie sich die Hitlerbrut vermehrt hätte, wenn Naziweiber mit dem Zeug befruchtet worden wären!"

Dazu muss nichts mehr gesagt werden.

Unerhört ist auch die Figur des Niki, Nannys Freund. Dieser Niki ist ein Deserteur der Wehrmacht. Ein Deserteur und eine Jüdin in Wien im Kampf gegen die neuen Herren, und er sitzt still im Kämmerchen, während sie Samen sammelt und entsorgt.

Doch damit nicht genug. Novotny, der neue Besitzer des arisierten Chemiebetriebes, will das Giftgas seinen Vorgesetzten vorführen. Da er noch ein bisserl Zeit hat schaut er kurz bei der Nanny vorbei. Unglücklicherweise kommt ihm - nachdem er kam - ein Bombenangriff dazwischen. Während er den rechten der blankgewichsten Schaftstiefel anziehen will, durchschlägt ein Schrapnell ein Fenster in Nannys Wohnung, durchschlägt den Gasbehälter und macht den SS-ler zum Titel der Erzählung. Welche Schindluder dann mit der strumpffüßenen Leiche getrieben werden sei aus Gründen der Pietät verschwiegen.

Die Alliierten setzen Spione an, um der Formel des mumifizierenden "Rigorin" habhaft zu werden. Schlicht pervers ist die angestrebte Nutzung der C-Waffe. Sie wollen die deutschen Landser damit bekämpfen. Der tapfere Sohn erstarrt inmitten seiner heroischen Kampfhandlung, verharrt für tausend Jahre im Moment des heldenhaftesten Dienstes am Vaterland, und kann dann daheim im Reich neben dem Volksempfänger aufgestellt werden, als Monument einer Zeit, die die große geworden war. Man muss ihn nur ab und zu abstauben.

Alfred, woher nehmen Sie nur diese Mordsphantasie? Wer gibt Ihnen so etwas ein, wer läßt Sie sich so etwas ausdenken? Können das nur Österreicher? Ihr Land hat Ächtung verdient, seine Literatur sollte international geachtet werden.

Manches ist so traurig und ernst, so unglaublich und unfassbar, dass man sich ihm nur mit einem bitterem Lächeln nähern kann. Um gewisse Tatsachen bewältigen zu können muss man sie skurril und grotesk verpacken (wie einen Schachterlteifi). Nur in dieser Verpackung versteckt verlieren sie ihre Wucht und werden vielleicht verstehbar.

"Novotnys Mumie" ist ein wahnsinniges Panoptikum verschrobener Gestalten, deren Leben taumelnd auf dem Grat zwischen Abgrund und Abgrund tänzeln. Täter und Opfer, Nazis und Widerständler sind jeweils auf ihre Art und Weise "irre", da eine abartige Ausnahmesituation wie der Krieg zwangsläufig zum "Irrsinn" führt, sei es aus Machtgier ohne Rücksicht auf Verluste oder dem Drang, den Verbrechensherrschern irgendwie in die Parade fahren zu müssen, koste es was es wolle.

Die Erzählung marschiert in einem Bereich, der flankiert wird von Heiterkeit und Schrecken. Wer beim Lesen hell und laut in ein "Haha-Lachen" ausbricht hat den schockgefrorenen Humor des Buches aus dem Land der Berge nicht verstanden. Während der Lektüre ist einzig das tiefe, dunkle, durch Kopfschütteln und -nicken begleitete "Hoho-Grunzen" angebracht.

Wenn's nicht so traurig wär', wär's eigentlich ganz schön lustig.

Deswegen, lieber Alfred, werde ich Ihr Buch nicht rezensieren, ich werde es nochmal lesen. Und jetzt nehmen Sie, böser Bittner, die Dämonen an die Hand, steigen vor der Walpurgisnacht hinauf zum Heldenplatz und bekehren mit Ihren Kollegen die Jugend ohne Gott, von irgendwo, denn wie Ihre Kollegen sind Sie - wie es sich für einen morbiden Wiener gehört - schon gestorben. Um mit zwei weiteren und noch atmenden Ihrer Landsmänner zu schließen:

"I hob an Teifi gschossn!" (Josef Hader)

"Es lebe der Zentralfriedhof, und alle seine Toten." (Wolfgang Ambros)

Titelbild

Alfred Bittner: Novotnys Mumie. Erzählung.
Studien Verlag, Innsbruck 2001.
184 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3706622599

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