Inszenierte Authentizität

In "Die Stimmen der Familie Mann in Originaltönen" erklingt erneut der Mythos Mann

Von Ingo Marten KleinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ingo Marten Klein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Was für eine sonderbare Familie sind wir! Man wird später Bücher über uns - nicht nur über einzelne von uns - schreiben."

Fast 65 Jahre später wirkt Klaus Manns Einschätzung bezüglich der Popularität seiner Familie höchst bescheiden. Längst hat die Beschäftigung mit dieser prominenten deutsche Familie den Printbereich verlassen; einen medienwirksamen Höhepunkt der Auseinandersetzung mit dem Gegenstand 'Familie Mann' stellt sicherlich der zeitig zum hundertjährigen Erscheinen der "Buddenbrooks" ausgestrahlte Film Heinrich Breloers dar. Während dort eine Vermittlung von ästhetisch-künstlerischen und historisch-dokumentarischen Aspekten angestrebt wird, beabsichtigt das Hörbuch "Die Stimmen der Familie Mann in Originaltönen" vielmehr einen authentischen Blick in die familiäre Lebenswelt zu vermitteln.

Auf zwei CDs kommentiert der Herausgeber und Programmbereichsleiter für Kultur und Hörspiel beim Hessischen Rundfunk, Hans Sarkowicz, 36 Originaldokumente der Familie Thomas und Katia Mann sachkundig; der gern unterschätzte Bruder Heinrich findet hier keinen Platz.

Während das häusliche Privatleben der Manns den Schwerpunkt der ersten CD bildet, konzentriert sich der zweite Teil wesentlich auf politisch-zeitgeschichtliche Aspekte. Diese von Brüchen und Widersprüchen bereinigte Zusammenstellung aus einer Vielzahl von Tondokumenten bietet dabei ein personentypisches, an Thomas Mann ausgerichtetes Bild, das gängig-tradierte Vorstellungen reproduziert: Katia Mann (drei Beiträge) erscheint als verständig-liebevolle Gattin, die sich selbst zurücknimmt und gar die Homophilie ihres Mannes akzeptiert. Acht Dokumente der ältesten Tochter Erika weisen sie als eine um Werk und Ruhm ihres Vaters besorgte Nachlassverwalterin aus. In einer fast 15- minütigen Passage schildert sie beispielsweise den penibel geplanten Arbeitsalltag des großen Schriftstellers Thomas Mann, der mit selbstauferlegten epischen Lasten für seine Arbeit lebte. Ebenso bemüht sich die jüngste Tochter Elisabeth in zwei Beiträgen um eine retrospektive Rettung auch des Vaters Thomas Mann. Ihr, als erklärtem Liebling des Familienoberhauptes, mag man dabei die rührende Zuneigung ernsthaft abnehmen.

So treten - wie die dienenden weiblichen Figuren im "Doktor Faustus" - auch die drei wichtigsten Frauen im Leben von Thomas Mann als sich zurücknehmende und Ungerechtigkeiten akzeptierende Personen auf, die den Mythos Mann weiterpflegen. Nur das eine Dokument Monika Manns macht die seelische Zerbrochenheit der enttäuschten Tochter deutlich.

Entschärft wird auch der Vater-Sohn-Konflikt dokumentiert. Während Michael Mann ausgespart bleibt, wirkt Bruder Golo, mit vier Beiträgen überproportional repräsentiert, als der spät versöhnte Sohn, der sich - der Bereich der Dichtung war durch den Vater blockiert - mühevoll eigene Gebiete erarbeitete. Dagegen veranschaulicht in englischer Sprache Klaus Manns einziger Beitrag mit "melancholy tune" die 'Entwurzelung' des jungen Schriftstellers. Das auf Naziterror und Weltkrieg bezogene "You can't go home again!" transzendiert den politisch-zeitgeschichtlichen Bereich implizit ins Persönliche.

Dort wo Thomas Mann selbst zu Wort kommt, ist er im Wesentlichen der deutlich hörbare Intellektuelle des Exils, der seine Stimme an "Deutsche Hörer" mahnend erhebt. Er greift leitmotivisch das "You can't go home again!" seines Sohnes auf, zeigt so seine Entfremdung vom offiziellen Deutschland. Davon nicht ausgespart ist der persönlich-familiäre Zusammenhang, wenn Mann im April 1942 für seine, durch alliierte Luftangriffe zerstörte Geburtsstadt Lübeck und das in Trümmern liegende Buddenbrookhaus statt Mitleid beinahe Genugtuung empfindet. Geschickt arrangiert lässt Sarkowicz das Hörbuch mit Thomas Manns Dankesrede zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Stadt Lübeck versöhnlich ausklingen. Diese Ansprache stellt den späten, mühsamen Versöhnungsversuch eines alten Mannes mit seiner Herkunft dar. Trotz Plauderei über Lübecker Stadtgeschichte bekennt Mann sich abermals keineswegs zur provinziellen Heimatverehrung, sondern nüchtern zu "Lübeck als geistige[r] Lebensform" seiner Bürgerlichkeit und huldigt emphatisch seiner "unverlierbaren Heimat", der deutschen Sprache.

Das Hörbuch, eine Koproduktion des Hessischen Rundfunks und des Buddenbrookhauses Lübeck, erscheint als geschickte Montage von Originaldokumenten und inszeniertem Kommentar. Diese 'inszenierte Authentizität' enthält wenig 'docere', dafür aber 'delectare' unter Anleitung bereit. Sie verweist somit wirkungsvoll auf die literarischen Originaltexte - wenn auch aufgrund der dominanten Stellung des Pater familias eher auf den "Tod in Venedig" als den "Wendepunkt".

Titelbild

Hans Sarkowicz (Hg.): Die Stimmen der Familie Mann in Originaltönen. 2 CDs.
Hörbuch Hamburg Verlag, Hamburg 2002.
100 Minuten, 20,00 EUR.
ISBN-10: 3899030257

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