Auf der Suche nach einer Poetologie des Alltags

Dagmar Leupolds Roman "Eden Plaza"

Von Ralf Georg CzaplaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ralf Georg Czapla

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit dem Wintersemester hat Dagmar Leupold die Kieler Liliencron-Dozentur für Lyrik inne und liest in diesem Rahmen u. a. über Vergessen und Erinnerung, zwei Aspekte, die ebenso zentral für ihre Gedichte wie für ihre kürzeren Prosatexte und Romane sind. Der Erinnerungsprozess ist für Leupolds literarische Figuren eine von zwei möglichen Formen des Unterwegsseins und mündet in einer Innenschau, in der nähere und fernere Vergangenheit zusammengeführt und reflektiert werden. Die andere Form des Unterwegsseins ist das Reisen, die räumliche Bewegung durch eine Landschaft, die zuweilen Geborgenheit verheißt, zuweilen aber auch das Gefühl von Ausgrenzung vermittelt. Beide Formen des Aufbruchs strukturieren mit unterschiedlichem Gewicht die von Dagmar Leupold bislang vorgelegten Bücher, ihr vielbeachtetes Romandebüt "Edmond" nicht minder als die von der Literaturkritik mit weniger Wohlwollen bedachten Nachfolger "Federgewicht" und "Ende der Saison". Mit "Eden Plaza" wagt die Autorin nun einen neuerlichen Aufbruch, der wohl nicht zufällig mit einem Verlagswechsel einhergeht: Dagmar Leupold hat mit ihrem neuen Roman die vertrauten Gefilde des Frankfurter S. Fischer Verlags, der bislang ihre Bücher betreut hat, verlassen und ist mit einer Reihe früherer Bücher im Gepäck zu C. H. Beck gewechselt.

Im Mittelpunkt von "Eden Plaza" steht ein Paar, das in einem Hotel sich liebend, redend und ineinander verschlungen die Nacht verbringt. Der Name des Hotels ist dabei ebensowenig zufällig gewählt wie das Motto des Romans, das Jorge Luis Borges' "Metaphern aus Tausendundeiner Nacht" entnommen ist und die Erzählerin in die Nähe zur Scheherazade der orientalischen Märchensammlung rückt. Wie diese ihren Geliebten, ihren König, Nacht für Nacht mit einer neuen Geschichte zu fesseln weiß, fesselt die Erzählerin ihrerseits ihren Geliebten, und zwar gleichermaßen mit ihrem Körper wie mit der Geschichte vom Scheitern ihrer Ehe mit dem Italiener M.

Literatur und Leben verschränken sich also. Schreib- und Geschlechtsakt treten in eine vieldeutige Beziehung zueinander, wie sie aus Leupolds früheren Texten wohlvertraut ist. Die Liebenden empfinden die Harmonie und das augenblickliche Einssein im "Eden Plaza" als einen quasi-paradiesischen Idealzustand, und zwar um so mehr, als dieser in Kontrast zu der letztlich an Gleichgültigkeit zerbrochenen Beziehung zu M. steht. In Rückblenden, Reflexionen und Episoden wird diese Beziehung in all ihren Phasen noch einmal literarisch nachvollzogen. Dabei folgt die Erzählerin dem schon antik überlieferten Schema der "quinque gradus amoris" von Blick, Anrede, Berührung, Kuss und Vereinigung, das sie allerdings in eine moderne Sprache und Vorstellungswelt übersetzt. Das Scheitern der Beziehung zu M. erscheint dabei insofern als Wendepunkt, als es für die Erzählerin den Anbeginn eines neuen Spieles von Begehren, Werbung und Überwältigung setzt, jetzt freilich mit einem neuen Partner, der sich nicht grundsätzlich von seinem Vorgänger unterscheidet, außer vielleicht darin, dass sich das durch ihn entfachte Feuer noch nicht im alltäglichen Einerlei hat bewähren müssen. Dagmar Leupold erzählt die Liebesbeziehungen zwischen der Ich-Erzählerin und ihren verschiedenen Partnern nicht einsinnig, sondern dekliniert sie gekonnt durch alle Formen der sinnlichen Wahrnehmung, die sie zugleich auf ihre Zuverlässigkeit für den Erinnerungsprozess überprüft: "Der Geruchs- und der Hörsinn sind wesentlich zuverlässigere Hüter der Erinnerung als das Sehen; auch gegen den eigenen Willen beschwören sie die Gegenwärtigkeit des Vergangenen. Das hat natürlich damit zu tun, daß sich Gerüche und Stimmen und Klänge nicht verändern: Sie bleiben für immer mit den konservierten Eindrücken identisch. Als schraubte man einen Deckel auf und entließe sie in aller Frische. Allein das Sehen ist historisch. Also ist der Schreck über die Vergänglichkeit immer ein Augenblick."

Man wird in der zeitgenössischen deutschen Literatur schon intensiv suchen müssen, ehe man die Differenz von Geschlecht und Nationalität, das Studieren von Körpermalen, die das Liebesspiel auf der Haut hinterlassen hat, die Wahrnehmung von Gerüchen, Berührungen, unterschiedlichen Sprachen und Geschmäckern in einer solch faszinierenden Weise erzählt findet wie hier. "Eden Plaza" ist ein Stück literarischer Trauerarbeit, das sich der Vergangenheit und der Gegenwart, des Verbindenden und Trennenden zu vergewissern und in eine Poetologie der Liebe und des Alltags zu überführen sucht. Dies alles geschieht in einer Sprache, die ungeachtet ihrer Bildungssättigung niemals überfrachtet wirkt, und die Intimes in einer offenen, jedoch keinesfalls anstößigen Weise darzustellen versteht.

Titelbild

Dagmar Leupold: Eden Plaza.
Verlag C.H.Beck, München 2002.
172 Seiten,
ISBN-10: 3406493130

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