Penetrante Stimulation

Deutsche Synchronstimmen bekannter Stars sprechen Liebesgedichte zur Popmusik

Von Silke SchmittRSS-Newsfeed neuer Artikel von Silke Schmitt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn Anthony Hopkins seinen "Ferngruß von Bett zu Bett" verwegen flüstert oder Michael Douglas erzählt, "Wie er wolle geküsset sein"; wenn Meg Ryan wollüstig Friedrich Daumer rezitiert und flehend nur ein Wort erbettelt - das muss doch ein sinnlicher Hochgenuss sein!

Doch was Gänsehaut verspricht, verschafft lediglich nette Unterhaltung. Fast wollen sich die Nackenhaare sträuben, wenn Volker Brandt, die Synchronstimme von Michael Douglas, Paul Fleming rezitiert und von lästigen Beats unterbrochen wird. Die Stimme als Kontrast zu den Rhythmen und dem "Get up"-hechelnden Menschen im Hintergrund - ist das hip? Nein. Das ist scheußlich. Ähnlich geschmacklos, wie die neongrüne Innenseite des Covers. "Liebesgrüße aus Hollywood 2", wurde farblich angepasst: Weibliche Synchronstimmen, pinkes Cover.

Die zweite CD scheint indes geglückter. Die Musik ist harmonischer auf die Texte abgestimmt, aber nur bei manchen Texten eröffnet sich dank ihr eine neue Interpretationsebene: So wird "Ein Weib" von Heine durch die leichten Klänge noch böser. Der Hörer glaubt sich in einem Einkaufszentrum, alles bunt und schön und sorglos. Aus dem Lautsprecher schwingt die Stimme von Christina Puciata. Sie spricht hervorragend, lässt Bilder entstehen. Sie plaudert: "sie hatten sich beide so herzlich lieb". Ihre Stimme verrät eine leichte Gehässigkeit. Sie lästert. Und wer grüßt aus Hollywood dank ihrer Stimme? Niemand. Sie ist Schauspielerin und Werbesprecherin. Das verwirrt: "Die deutschen Stimmen der Hollywoodstars sprechen Liebesgedichte zu Popmusik". Das steht zumindest auf dem Cover, das wird verkauft. Trotz allem hat sie eine der interessantesten Interpretationen geliefert - im Gegensatz zu der klischeehaft-stöhnenden Dorette Hugo, alias Meg Ryan, Winona Ryder, Juliette Lewis, Patricia Arquette oder Brooke Shields. Da kann sich der Hörer dann aussuchen, vom wem er das Gedicht "Ohne Titel" von Georg Friedrich Daumer am liebsten vorgetragen bekommen möchte. Er kann sich das entsprechende Gesicht vorstellen und hören wie "Sie" erotisierend zischelt. Aber es bleibt Dorette Hugo, die sich bemüht, es bleibt eine fragwürdige Interpretation. Sie spricht wie ein naives Kind: "Möchte doch auch Leben. Für dich, mit dir". Mit zittriger Stimme und hoher Tonlage rezitiert sie diese Zeilen. Die Grundstimmung ist sentimental, fast weinerlich. Die Zeilen erzählen von einer Person, die ihrem Liebsten verfallen ist. Doch sind keine wirklichen Nuancen erkennbar. Sie wird niemals fordernd. Keine Enttäuschung, kein wirkliches Leiden. Der Kern des Gedichtes wurde nicht getroffen, es plätschert so dahin. Vollmundige Artikulation und ein bisschen Vibration in der Stimme reichen nicht aus, um dieses Zeilen zu erfassen. Und auch die Musik bringt keine sinnvolle Bereicherung: "Mmmh und hachh" oder "Jeahhh und Huhhh" - der Hörer fühlt sich abgeknutscht, aber nicht sinnlich berührt.

Warum nun also die Stimmen der Stars? Wenn die Stimmen überhaupt zu erkennen sind, so hat das zunächst nichts mit der Qualität des Rezitierens zu tun. Es könnte für Fans ein angenehmer Nebeneffekt sein - Stimmen raten? Die Verlockung ist groß, die Vermarktung gut: Dein Star haucht dir ein Liebesgedicht - nur für dich! Wer das sucht, der wird fündig. Gehaucht wird viel.

Enttäuschend wird es, im Hinblick auf die Gedichte - Liebesgedichte, unter anderem von Eichendorff, Shakespeare, Morgenstern und Goethe, von Hesse, Storm, Liliencron und auf der Damen-CD sogar zwei Quotengedichte von Else Lasker-Schüler und Karoline von Günderode. Wenn es darum geht, den Zauber der Zeilen hörend zu verstehen, die feinen Nuancen, die Dynamik einzelner Worte: Ist sie erfasst, die "Seele" des Gedichts, wie Klopstock es nannte? Die Interpretationen sind oftmals zu theatralisch, so überdeutlich. Es sind charakteristische, angenehme Stimmen, die sprechen, aber im Zusammenspiel mit der Musik geht viel an Sprachmelodie oder Artikulation verloren. Der Hörer lauscht. Die Beats treiben voran. Der Zauber verfliegt. Die Musik ist zu eigen, um sich auf die Zeilen einzulassen. Dabei könnte sie viel mehr: Eine zusätzliche Interpretation liefern, das Gedicht richtig kontrastieren oder ihm schmeicheln. Das Kästner-Projekt: "Gute Musik macht einsam" oder das "Rilke-Projekt: "Bis an alle Sterne" haben gezeigt, dass dies möglich ist.

"Liebesgrüße aus Hollywood" kann sich nicht entscheiden: Die Musik oder der Text. Hansi Jochmann schrieb im Kulturtipp des WDR: "Sie funktionieren auch deshalb so gut, weil die meisten Synchron-Sprecher professionelle Schauspieler sind, und ihre Gedicht-Interpretationen in mühevoller Kleinarbeit den Rhythmen angepasst haben". Wie? Texte, teilweise aus dem 18. und 19. Jahrhundert wurden in mühevoller Kleinarbeit den Drum'n'Bass oder TripHop-Rhythmen angepasst? Wie schade. Das Gedicht wurde also als Textvorlage ausgenutzt. Georg Friedrich Daumer wurde sozusagen von Dorette Hugo missbraucht, zurechtgezupft und niedergepresst - bis es passte. Andere sind glimpflicher davongekommen, manchen erging es noch viel schlimmer, selten wurde es richtig gut. Mit freundlichen Grüßen, zurück nach Hollywood.

Titelbild

Liebesgrüße aus Hollywood 2. Die deutschen Stimmen der Hollywoodstars sprechen Liebesgedichte zu Popmusik, 1 CD.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
15,80 EUR.
ISBN-10: 3821851864

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Liebesgrüsse aus Hollywood 1. Die deutschen Stimmen der Hollywoodstars sprechen Liebesgedichte zu Popmusik, 1 CD.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
15,80 EUR.
ISBN-10: 3821851856
ISBN-13: 9783821851853

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