Hörspiel-Geschichte

50 Jahre Hörspielpreis der Kriegsblinden

Von Elke HuwilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Elke Huwiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Entwicklung der Kunstform Hörspiel wird seit ihrer Entstehung (um 1924) von einer lebhaften Diskussion um die Definition dessen begleitet, was ein Hörspiel denn eigentlich ist. Die ersten Hörspiele, die sich im Nachhinein als traditionelle Handlungshörspiele charakterisieren lassen, gaben ein Geschehen mit verschiedenen Personen und einer geschlossenen Handlung akustisch wieder, wobei die Schauplätze und Handlungssituationen oft explizit die fehlende Sichtbarkeit des Geschehens thematisierten (Stromausfälle, Handlungen in der Nacht). Gleichzeitig wurde jedoch von Anfang an vor allem von experimentierfreudigen Autoren gefordert, das Hörspiel als genuine Kunstform des Radios zu begreifen und den radiophonen Elementen dieser Gattung mehr Raum zu geben. Dieser zweite Traditionsstrang in der Auseinandersetzung um die Definition des Phänomens Hörspiel rückte in den fünfziger Jahren, als die Kunstform sich nach der Zäsur durch den Zweiten Weltkrieg weiterentwickeln konnte, in den Hintergrund. Traditionelle Handlungshörspiele dominierten die Radiolandschaft, wobei thematisch die Verarbeitung von Kriegserlebnissen im Vordergrund stand. Erst Ende der sechziger Jahre begann sich die bereits in den zwanziger Jahren formulierte Forderung, das Hörspiel nicht bloss als sprachlich-literarisches, durch akustische Elemente illustriertes Kunstwerk, sondern als akustisches Kunstwerk an sich zu begreifen, durchzusetzen. Aus dieser Neuorientierung entstand das sogenannte Neue Hörspiel, das von der Gleichberechtigung aller zur Verfügung stehenden akustischen Mittel ausgeht: Stimme, Geräusch, Musik und Originalton. Neben dieser zweifelsohne richtungsweisenden Neuorientierung gab und gibt es jedoch nach wie vor traditionelle Hörspiele, die am ehesten als literarische Hörspiele charakterisiert werden können. Heute ist die Palette dessen, was unter dem Begriff ,Hörspiel' subsumiert wird, sehr breit und reicht vom traditionellen, literarischen Handlungshörspiel bis hin zur Audio-Performance, in der die Grenzen neuer Techniken (Stichworte Digitalisierung und Internet) ausgelotet werden.

Der vorliegende Band dokumentiert die fünfzigjährige Geschichte des renommierten Hörspielpreises der Kriegsblinden und zeichnet damit auch einen großen Teil der oben geschilderten Entwicklung des Phänomens Hörspiel nach. Die Frage, ob bei der jährlichen Vergabe des Preises auch tatsächlich jeweils das beste, die Weiterentwicklung der Kunstform Hörspiel am deutlichsten reflektierende Hörspiel ausgezeichnet wurde, zieht sich durch den ganzen Band. Dabei kann festgestellt werden, dass einige wichtige Hörspiele und Autoren wie Max Frisch oder Heinrich Böll von der Jury nicht berücksichtigt wurden; auffälliger sind jedoch die Bereitschaft, für experimentelle Neuerungen offen zu sein, und die Fähigkeit, innovative, wegweisende Hörspiele zu erkennen. Am deutlichsten reflektiert dies die Prämierung des Hörspiels "Fünf Mann Menschen" von Friederike Mayröcker und Ernst Jandl im Jahr1969, das den Beginn des Neuen Hörspiels markiert.

Im ersten Teil des Bandes werden die Geschichte des Bundes der Kriegsblinden von Fachleuten, Autoren und auch Mitgliedern des Bundes selbst nachgezeichnet und die Bedeutung dieser Institution aufgezeigt. Darauf folgt eine systematische Auflistung aller Preisträger mit nützlichen Informationen zu den Autoren und ihren preisgekrönten Hörspielen sowie jeweils einem kurzen Ausschnitt aus der Begründung der Jury. Im letzten Teil finden sich wiederum Beiträge verschiedener Autoren und Radiomacher, vornehmlich zur heutigen Situation des Hörspiels, sowie einige Reden von Hörspielpreis-Trägern wie etwa Ingeborg Bachmann oder Fritz Rudolf Fries.

Die Zusammenstellung der Artikel im ersten und letzten Teil des Bandes zeugt vom Bemühen der Herausgeber, möglichst viele am Prozess des Hörspielmachens und -hörens Beteiligte zu Wort kommen zu lassen; neben Artikeln von Autoren und Radiomachern finden sich auch Beiträge von Kriegsblinden und begeisterten Rundfunkhörern. Diese Vielfalt in der Auswahl der Autoren führt auch dazu, dass dem Leser die unterschiedlichen Meinungen darüber, was ein Hörspiel ist und zu sein hat, direkt vor Augen geführt werden. Während beispielsweise Christoph Buggert, der ehemalige Leiter der Hörspielabteilung des Hessischen Rundfunks und selber auch Autor von Hörspielen, in einem Artikel die noch immer bestehende Abhängigkeit des Hörspiels vom Medium Radio konstatiert und daraus resultierende Forderungen an das Hörspiel formuliert, stellt Herbert Kapfer, Leiter der Abteilung Hörspiel und Medienkunst im Bayerischen Rundfunk, fest, dass die Sendeanstalten ihre Monopolstellung verloren haben und das Hörspiel nicht mehr an das Medium Radio gebunden ist. Solche divergierenden Auffassungen sind für die Diskussion um das Phänomen Hörspiel kennzeichnend und zeigen, dass die Entwicklung dieser akustischen Kunstform noch keineswegs als abgeschlossen gelten kann. Der vorliegende Band dokumentiert somit die fünfzigjährige Geschichte des Hörspielpreises des Bundes der Kriegsblinden und spiegelt gleichzeitig die auch heute noch spannungsvolle Diskussion um das Phänomen Hörspiel wider.

Titelbild

Bund der Kriegsblinden Deutschlands (Hg.): HörWelten. 50 Jahre Hörspielspreis der Kriegsblinden.
Aufbau Verlag, Berlin 2001.
304 Seiten, 15,30 EUR.
ISBN-10: 3351025157

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