Florenz von Außen

Bernd Roeck über Aby Warburg in Florenz

Von Christina UjmaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Ujma

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bernd Roeck versucht mit "Florenz 1900. Die Suche nach Arkadien", eine wichtige Lücke in der Beschreibung der deutschen Italiensehnsucht zu schließen. Finden sich in der Nachfolge Goethes hunderte Monographien über die Deutschen in Rom, so ist Florenz von der Forschung bislang vernachlässigt worden. Die Stadt hat sich immer wieder als spröde und sperrig erwiesen; war Rom für Generationen von Germanisten und Kunsthistorikern die Stadt der Antike und der Seele, so Byron, so galt Florenz lange als Stadt des Intellekts und der Politik, was die Dinge bekanntlich etwas komplizierter macht.

Eigentlich schade, dass sich Roeck in "Florenz 1900" mit den Jahren 1880-1910 eine der fadesten Perioden in der Geschichte des neuzeitlichen Florenz ausgesucht hat. War die Stadt während des Risorgimento intellektuelles Zentrum Italiens und für ein reges gesellschaftliches Leben berühmt, kam sie mit der Erhebung Roms zur Hauptstadt des vereinigten Italiens doch arg herab. Nach dem Umzug der Regierung im Jahr 1871 war die zeitweilige Kapitale Italiens und vormalige Hauptstadt des Großherzogtums Toskana nur noch eine Provinzstadt.

Das viel gerühmte gesellige Leben, das durch zahlreiche kosmopolitische Salons und Zirkel der verschiedensten politischen und intellektuellen Couleur geprägt wurde, verlor rasch an Profil. Statt Wissenschaftlern und Schriftstellern weilten nun zahlreiche ausländische Künstler und Kunsthistoriker für längere Zeit in Florenz. Einer von ihnen war Aby Warburg, der von 1897 bis 1904 dort lebte und im Mittelpunkt von Roecks Studie steht. "Warburg in Italien" wäre der zutreffendere Titel gewesen, denn um die Stadt geht es im Buch weniger als um die Deutschen, die damals in Florenz weilten. Auch der Untertitel ist irreführend, denn Arkadien impliziert ein ländliches Ideal, während seine Deutschen die Renaissance und ihre Idealstadt suchten, wie Roeck in langen deskriptiven Passagen nachdrücklich deutlich macht. Was die Renaissance der Kulturszene der vorletzten Jahrhundertwende so angenehm machte, wird leider nicht analysiert.

Für die Stadt Florenz in den Jahren um 1900 haben sich Aby Warburg und seine Freunde jedenfalls nicht interessiert, sagt Roeck. Die Stadt, in der sie lebten, haben einige Mitglieder des Kreises sogar abgelehnt. Besonders der Volksaufstand im Mai 1898 empörte die ansässigen Deutschen, schließlich war in ihrem Renaissance-Ideal keine Revolution vorgesehen. Es ist schade, dass sich Roeck ausschließlich mit dem Renaissancekult und nicht mit der wirklichen florentiner Renaissance beschäftigt, denn in dieser machte sich der Volkszorn des öfteren in Rebellionen Luft.

Ausführlich widmet sich Roeck Warburgs Privatleben und seinem Freundeskreis, der sich von dem kosmopolitischen Salonleben früherer Deutsch-Florentiner deutlich unterschied. Um 1900 war man national, borniert und stolz darauf. Regelmäßig wurde, wie Roeck hübsch schildert, auch Kaisers Geburtstag gefeiert. Es gab in Warburgs Zirkel aber auch Persönlichkeiten, die in das florentiner Leben integriert waren. Der Historiker Robert Davidsohn, der wichtigste Wissenschaftler in Warburgs Kreis, hatte umfangreiche italienische Kontakte, die Roeck zwar erwähnt, aber nicht weiter thematisiert. Genauso bleiben die Beziehungen, die Isolde Kurz zu den italienischen Kreisen ihrer Wahlheimat pflegte, unbeachtet. Dabei sind die Memoiren der Schriftstellerin eine von Roecks Hauptquellen bezüglich der Deutschen in Florenz, ihre Urteile übernimmt er manchmal allerdings allzu bereitwillig. Trotzdem ist die Wiederentdeckung der Isolde Kurz eine der besonderen Leistungen von Roecks Abhandlung, schließlich ist sie eine der wichtigsten Repräsentantinnen des Renaissancismus in Deutschland gewesen.

Insgesamt konzentriert sich Roeck sehr auf Warburg, seine großbürgerliche Herkunft, seine Eltern, seine Neurosen, seine protestantische Ehefrau und den Status von deutsch-jüdischen Mischehen in Deutschland. Immerhin referiert er auch Warburg Schriften zur Renaissancekunst. Unerwähnt bleibt, ob Warburgs die Arbeiten der italienischen Kollegen rezepiert und was er davon gehalten hat. Italienische Forschung über das Florenz der Jahrhundertwende spielt insgesamt keine große Rolle in Roecks Abhandlung. Bei Roeck erscheint es fast so, als ob die Renaissance-Forschung ausschließlich eine Angelegenheit deutscher und englischer Wissenschaftler gewesen wäre. An den Universitäten Pisa und Florenz gab es in jenen Jahren viele Wissenschaftler von Rang, deren Forschungen zur Renaissance sich durchaus von den deutschen und englischen Kollegen unterschieden. Mit Michele Amari und Pasquale Villari lebten zudem zwei führende italienische Historiker in der Stadt, die beide hervorragende Kontakte zur deutschen Wissenschaft und den nordeuropäischen Kollegen hatten. Villari war außerdem ein ausgewiesener Renaissanceexperte.

Warburg hatte zwar kaum italienische Kontakte, dafür kannte er einige Kunsthändler, sowie wohlhabende Engländer und Amerikaner, was Roeck veranlasst, diesen Gruppen ein Kapitel zu widmen. Im 19. Jahrhundert war Florenz schließlich die Hauptstadt der in Italien lebenden Engländer und Amerikaner, die dort über eine hervorragende Infrastruktur verfügten und immer noch verfügen. Von den Segnungen der englischen Küche bis zur "Times" konnte man bereits zu Warburgs Zeit dort alles erstehen, was das angelsächsische Herz begehrte. Diese Strukturen, sowie die Extravaganzen und Skurrilitäten der Angloamerikaner, werden von Roeck liebevoll beschrieben, außerdem erwähnt er viele englischsprachige Schriftsteller, die Florenz oder die Renaissance zum Thema ihrer Bücher machten. Von den Kontroversen, die es z. B. um Walter Paters Renaissance-Auffassung oder Ruskins Schriften gab, ist dabei nicht Rede. Eigentlich aber war die Renaissance nicht nur die bevorzugte Kunstepoche des damaligen Geisteslebens, sondern auch der bevorzugte Zankapfel.

Nicht nur sprachlich neigt Roeck dazu, sich den Autoren des Renaissancekultes anzunähern, auch deren Gleichung Florenz = Renaissance übernimmt er zuweilen. Manchmal scheint ihn die Vielzahl an Abhandlungen, Essays und Romanen über Florenz und die Renaissance schier zu überwältigen, was die Studie materialreich, aber auch etwas weitschweifig macht. Einige längere Passagen wären besser in den Fußnoten untergebracht worden. Auf diese verzichtet der Autor allerdings, die Nachweise erfolgen in einem ziemlich unübersichtlichen Anmerkungsteil.

Im Schlussteil schafft Roeck es aber, sich kurz von der Renaissance und von Warburg zu befreien, er widmet der "Florentiner Moderne" ein Kapitel. Allerdings beschränkt er sich hier im wesentlichen darauf, Warburgs Freunde, die deutsch-florentiner Maler Böcklin, Hildebrand und Marées zu diskutieren. Diese vor- oder frühmodernen Maler waren zwar wichtig und einflussreich, hatten um 1900 aber ihren Zenit überschritten und ihre innovative Kraft verloren, Böcklin starb bereits 1901. Bei aller Wertschätzung kann man diese Gruppe kaum als Florentiner Moderne bezeichnen. Dabei formierte sich während Warburgs florentiner Zeit in heute legendären Cafés, wie dem Giubbe Rosse, die Florentiner Avantgarde, die bald italienweit Bedeutung erlangte. Sie wird von Roeck allerdings nur am Rande erwähnt, dabei wäre sie eigentlich ein interessantes Beispiel für die andauernde geistige Vitalität von Florenz gewesen. Die jungen Leute hatten sogar Bezug zur deutschen Kultur. Beeinflusst von Ästhetizismus, Sozialismus, Nietzsche und der deutschen Romantik wollten z. B. Giovanni Papini und Giuseppe Prezzolino Kunst, Literatur und Denken neu erfinden, wie Walter Adamson in "Avantgarde Florence, From Modernism to Fascism" (1993), vorbildlich herausgearbeitet hat. Sie grenzten sich freilich scharf gegen die ausländischen Kunst- und Kulturliebhaber in Florenz ab, deren Einfluss sie als erstickend und lähmend empfanden. Die junge Florentiner Avantgarde war empört darüber, dass viele Ausländer die Kunst in Florenz auf die Renaissance reduzierten, sie mithin die Stadt der Gegenwart zu einem Freilichtmuseum machten und zeitgenössisches Leben wie zeitgenössische Kunst ignorierten. Nach der Lektüre von Roecks Ausführungen über Warburg in Florenz erscheint dieser gerade zu als Prototyp des bornierten Ausländers und die Wut der jungen Leute nur allzu gerechtfertigt.

Titelbild

Bernd Roeck: Florenz 1900. Die Suche nach Arkadien.
Verlag C.H.Beck, München 2001.
336 Seiten, 30,60 EUR.
ISBN-10: 3406479766

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