Frauen, die Hoffnung Afghanistans

Terre des Femmes über die Situation der Frauen in Afghanistan

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für Afghanistan scheint auch ein gutes halbes Jahr nach dem Ende des talibanischen Terrorregimes wenig Hoffnung zu bestehen. Während das zerstörte Land noch immer auf den größten Teil der von den westlichen Industrienationen zugesagten Hilfsgelder wartet, begehen versprengte Taliban- und Al Qaida-Terroristen weiterhin Mord- und Sprengstoffanschläge, vergewaltigen marodierende Milizen der ehemaligen Nordallianz und anderer Warlords Frauen und verhängen die Regierenden auf Grundlage der Scharia drakonische Strafen für Ehebruch, Alkoholkonsum und ähnliche 'Delikte'. Sima Samar, die erste Frauenministerin des Landes verlor in der neuen Regierung ihren Posten, da sie sich gegen die Scharia ausgesprochen und so eine Anklage wegen Gotteslästerung auf sich gezogen hatte. Es besteht also wahrhaft wenig Grund zuversichtlich in die Zukunft des Landes zu blicken. Dass trotzdem noch Hoffnung besteht, ist eben Frauen wie ihr zu verdanken. Überhaupt, so stellte Siba Shakib, Autorin des Bestsellers "Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen", bereits Anfang des Jahres fest, seien die afghanischen Frauen die einzigen, die zu Hoffnung Anlass geben, denn gerade sie wissen nach Jahrzehnten des Kriegs und des Terrors "noch am ehesten [...], wie ziviles Leben funktionieren kann".

Terre des Femmes, rührige NGO in Sachen "Menschenrechte für die Frau" und seit Mai 2001 Unterstützerin von Shuada, einem Schulprojekt für afghanische Mädchen, hat ein Buch über die Situation der afghanischen Frauen vorgelegt, mit dem die Organisation dazu beitragen will, dass sie und ihr Schicksal "nicht wieder in Vergessenheit geraten".

Der Band enthält neben einen umfangreichen Bildteil mit Zeichnungen afghanischer Mädchen und Photos aus der Zeit vor, während und nach den Taliban, ein Interview mit Sima Samar und einen Abriss der Geschichte Afghanistans, der insbesondere über die Terrorherrschaft der Taliban informiert. Außerdem wird in einem kürzeren Text die Entwicklungsgeschichte der Frauenrechte in Afghanistan nachgezeichnet. Besonders aufschlussreich ist jedoch Renate Kreiles Beitrag über den "Einfluss des traditionellen pashtunischen Rechts- und Wertesystems auf die Geschlechterdiskurse in Afghanistan". Die Politikwissenschaftlerin beleuchtet die Frage, welche historischen, sozialen, kulturellen und politischen Faktoren die in Afghanistan "weithin dominanten patriarchalischen Auslegungen" islamischer Quellen bestimmen. Zwar werden die rechtlichen Bestimmungen und Wertvorstellungen, die die Stellung der Frau betreffen, mit der Scharia begründet, doch verbergen sich hinter ihr oft "tribale" Normen und das "traditionelle Gewohnheitsrecht" der pashtunischen Pashtunwali, deren Reglementierungen oft noch weit restriktiver sind als diejenigen der Scharia. Ungeachtet verschiedener politischer Differenzen herrscht hinsichtlich der traditionellen Rolle der Frauen als Repräsentantinnen der "'echten' afghanisch-islamischen Kultur" völliges Einvernehmen zwischen den "traditionalistischen", den "modernen islamistischen" und den etwa aus Saudi-Arabien importierten "konservativ-islamischen Geschlechterdiskursen". Eine "tiefgreifende Verbesserung" der Situation der afghanischen Frauen, so Kreile, ist nur in einem "langfristigen Prozess" zu erreichen. Hinsichtlich der unmittelbar anstehenden ideologisch-religiösen Auseinandersetzungen stellen ihrer Auffassung nach diejenigen afghanischen Frauenrechtlerinnen einen "Hoffnungsschimmer" dar, die dem vorherrschenden "patriarchalischen Geschlechterdiskurs" eine "egalitäre Islam-Interpretation" entgegensetzen.

Titelbild

Frauen in Afghanistan - Hoffnung auf Wandel.
Herausgeben von Terre des Femmes.
Terre des Femmes Verlag, Lüneburg 2002.
91 Seiten, 7,90 EUR.
ISBN-10: 3980616568

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