Halb Österreich trifft sich in Ägypten

Gerhard Roths Roman "Der Strom"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gerhard Roth, der sich in der Vergangenheit in seinem siebenbändigen Monumental-Epos "Archive des Schweigens" mit der literarischen Aufarbeitung der österreichischen Geschichte befasst hat, arbeitet wieder an einem umfangreichen erzählerischen Zyklus - mit dem Arbeitstitel "Orkus". Nun liegt nach "Der See", "Der Plan" und "Der Berg" der vierte von insgesamt sieben geplanten Romanen vor.

Wie schon in den Vorgängerwerken "Der See" und "Der Berg" hat Gerhard Roth, der am 24. Juni seinen 60. Geburtstag feierte, der Handlung ein kriminalistisches Korsett übergestülpt. Doch es kneift und zwickt an allen Enden; die Mischung aus Kriminalfall, ethnographischer Studie, Reisebericht und orientalischen Mythen fügt sich nicht zu einer harmonischen Einheit.

Von "bösen Vorzeichen" ist gleich auf der ersten Seite die Rede, als sich der Protagonist Thomas Mach auf die Reise nach Ägypten begibt. Der Hobbysegelflieger soll dort die Stelle der Reiseleiterin Eva Blum einnehmen, die aus dem 16. Stock eines Hotels zu Tode stürzte. Sie war Angestellte seines Onkels, der ein Reisebüro namens "Das Auge Gottes" betreibt, aber selbst nie über Niederösterreich hinausfand.

Mach findet ein Studientagebuch seiner Vorgängerin, das Aufzeichnungen, Fotos, Landkarten und viele Rätsel beinhaltet. Das Wort "Mörder" ist rot unterstrichen und weckt sofort Machs Neugier.

Er begibt sich immer mehr auf Evas Spuren, folgt dabei nicht der Vernunft, sondern einer th allzu häufig zitierten "inneren Stimme": "Es gab ein Wissen, dessen Herkunft er nicht kannte und das er niemandem verriet, denn es stärkte ihn, wenn er danach handelte." Mit deren Hilfe setzt der Autor die Logik schachmatt und öffnet Zufallsreflexen die Handlungstür. Mach lässt sich durch Kairo treiben, wittert überall Geheimnisse, vermutet hinter verschmierten Hauswänden und Stuckornamenten geheime Botschaften und hofft beim Anblick arabischer Schriftzeichen auf eine Art "Erleuchtung".

Gerhard Roth beschreibt den ägyptischen Alltag mit geradezu sezierendem Blick. Wie Glanz und Elend in Kairo beinahe nahtlos ineinander übergehen, das Nebeneinander von prächtigen Bauwerken, Flaniermeilen und den erbärmlichen Stadtvierteln der "Müllmenschen", die hektische Betriebsamkeit auf Plätzen, in Cafés und selbst in dunklen Hinterhöfen - das sind die stärksten Passagen dieses Buches, die kräftig am landläufigen Klischee vom Pyramiden-Glanz kratzen. Doch Roth hat alles andere als einen Reisebericht im Sinn gehabt, wenngleich dieses Handlungssegment einen nicht unerheblichen Teil des Romans ausmacht.

Mitten in diesem orientalischen Treiben steht der orientierungslose Thomas Mach, der sich irgendwann die Haare rot färben lässt, dann als Dschinn (Dämon) gefürchtet wird und sich unvermittelt von halb Österreich umzingelt sieht. Nachdem wir dem Bibliothekar Konradt Feldt, Protagonist aus "Der Plan", bereits zu Anfang des Buches begegnet sind, als er Mach einige Literaturtipps mit auf den Weg gab (selbstverständlich auch Nagib Machfus), taucht dann noch der Attentäter Paul Eck ("Der See") und dessen damaliger Verfolger, der inzwischen pensionierte Polizist Schäffer auf, der zusammen mit Eva Blums Ehemann recherchiert.

Das wirkt alles mindestens ebenso unwahrscheinlich wie die von Gerhard Roth inszenierte "Ohrläppchen-Analogie". Thomas Mach wird von einer verirrten Pistolenkugel getroffen und verliert- wie einst sein Großvater bei der Mensur - sein Ohrläppchen. Schlimmer trifft es noch den alten Schäffer, der auf einem Hausboot auf dem Nil zu Tode kommt.

Eva Blums Tod wird nicht restlos geklärt, dem Leser bleibt es vorbehalten, sich aus vagen Andeutungen und konkreten Hinweisen ein Motiv zusammenzubasteln. Eine unglückliche Liebe zu einem honorigen Wiener Bürger und die zwielichtige Beziehung zu Machs ägyptischem Kontaktmann Alfred Moser könnten dahinterstecken, denn mit Moser ("die Augen hatten etwas Listiges") betrieb die Tote einen illegalen Antiquitätenhandel.

"Flog er gut, wurde der Faden gegen das Plexiglas gedrückt und stand senkrecht. Begab er sich aber in eine unkontrollierte Seitenlage, dann begann der rote Faden zu flattern", heißt es über Machs Segelfliegerei.

Um den "Faden" aufzunehmen: Gerhard Roth ist mit diesem Roman in kräftige erzählerische Turbulenzen geraten, der unkontrollierten Seitenlage folgte unvermeidlich eine harte literarische Bruchlandung. Dem Leser geht es dem Leser wie Thomas Mach, der am Anfang des Textes konstatiert: "Er kam allerdings, soviel er auch darüber nachdachte, nicht hinter ein System, das ihm half, die Bedeutung seiner Wahrnehmungen zu entschlüsseln."

Titelbild

Gerhard Roth: Der Strom. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
352 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3100660560

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