Allzu ausschweifend

Hansjörg Betscharts Roman "Unruh"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wo immer sie sitzen oder stehen und lesen, was ich gerade niederschreibe, tun Sie es in angemessener Eile. Sie werden mit diesem Buch nicht nur unfassbar schnell um den Erdball geschleudert, sondern ebenso halsbrecherisch mitsamt unserem Planeten um die Sonne gewirbelt", steht auf der ersten Seite von Hansjörg Betscharts Romanerstling "Unruh" zu lesen.

Das klingt zunächst einmal verblüffend, aber bei fortschreitender Lektüre und in Kenntnis der Tatsache, dass der 47-jährige Basler in der Vergangenheit als Kinder- und Jugendbuchautor reüssierte, macht dieser Prolog durchaus Sinn.

Betschart erzählt nämlich keine lineare Geschichte, sondern vermengt auf diversen, üppig wuchernden Handlungssträngen Märchen, historisches Zeitpanorama, Anekdoten und Humoresken zu einem gigantischen Erzählmonstrum.

Trotz des kapitalen Umfangs kommt nie Langeweile auf, der Autor zerrt den Leser von einem Schauplatz zum anderen und fügt immer neue skurrile Figuren ein. Dieser Hansjörg Betschart ist ein begnadeter Geschichtenerzähler, dem man gern im Kaminzimmer beim mündlichen Vortrag lauschen würde. Aber einen Roman (für erwachsene Leser) hat er nun wirklich nicht vorgelegt. Vielleicht hat er uns auch deswegen zur rasanten Lektüre angehalten, denn beim bedächtigeren Lesen zerfällt "Unruh" in viele kleine (beinahe zusammenhanglose) Fragmente, und etliche humoristische Plots scheinen tatsächlich eher für die jugendliche Schnell-Leserklientel geeignet zu sein. Eine Figur namens Curtius dreht an der Uhr, die Nachtstunden sollen plötzlich länger werden, und im Bern des ausgehenden 18. Jahrhunderts bricht daraufhin ein Chaos aus.

Chaotische Zustände stellen sich auch überall dort ein, wo das hochbegabte Findelkind Laurent auftaucht - ein Wesen mit gelb-grünen Augen, Lederhaut und monotonem Pulsschlag, das im Jahr 1786 aus dem Flüsschen Saane gezogen wurde. Laurent spricht nicht, er rechnet nur. Und wie! Beim Uhrmacher Jacquet-Droz erfindet er diverse Zeitmessinstrumente und verschafft seinem Herrn damit ein respektables Ansehen.

Hätte sich Betschart doch auf den Lebensweg des von Zahlen besessenen Gnoms beschränkt, dessen unglückliche Liebe zur späteren Madame Tussaud noch schärfer konturiert und auf die vielen Nebenschauplätze verzichtet, dann wäre ein respektabler Roman entstanden. Der Autor beherrscht nämlich die Klaviatur des elanvollen Erzählens. Doch einige vielversprechende Akkorde machen noch keine große (Roman-)Komposition aus.

Titelbild

Hansjörg Betschart: Unruh.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2002.
352 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3312003032

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