Die Begegnung des Fremden in uns selbst

Wladimir Kaminer leistet einen Beitrag zur Beschreibung transnationaler Identitäten

Von Michael GriskoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Grisko

Trotz der viel beschworenen Krise in der Tourismusbranche und des Versprechens der großen Parteien, das Auswanderungsgesetz aus dem Wahlkampf heraus zu halten, häufen sich die Begegnung mit den fremden Kulturen: Glücklicherweise.

Der deutsch-russische Shootingstar Wladimir Kaminer hat in seinem neuesten Buch "Die Reise nach Trulala" einen amüsanten Beitrag zur Globalisierung im Alltag und dem verrückt-selbstverständlichen Aufeinandertreffen verschiedener Nationalkulturen zwischen dem Kreuzberger Küchentisch und dem russischen Trulala geleistet. Danach bleibt nur noch eine Feststellung: Die Welt ist ein Zoo dessen Skurilitätmit zunehmend normaler wird. Und: Das Fremde ist immer und überall.

Dabei entpuppt sich Kaminers internationale Zoologie mit autobiografischem Einschlag jedoch ebenso wenig als eine verklemmt bemühte ethnologische Studie mit erhobenem soziologischen Zeigefinger, noch als ein selbstzufrieden-zynisches Gegenwarts-Pop-Porträt. Denn Kaminer, der spätestens mit seinem Roman "Russendisko" zum Berlinautor der Gegenwart avancierte, liebt seine Figuren und verbindet ihn mit seinem gekonnt formulierten Hang zur situativ zugespitzten Pointe.

In den fünf thematisch miteinander verwobenen Komplexen "Verfehltes Paris", "Verdeckung Amerikas", "Verschollen auf der Krim", "Verlaufen in Dänemark" und "Verdorben in Sibirien" begegnen wir den Folgen postsowjetischer Perestroika in Deutschland ebenso wie den transkontinentalen Projektionen, Imaginationen und Realitäten im Europa auf dem Weg in das 21. Jahrhundert.

Wir erfahren, dass die Dänen ungern Leute via Mitfahrgelegenheit mitnehmen, dass es in der Sowjetunion ein nachgebautes Paris gab (und glauben das auch), dass die Deutschen mit einem Drang behaftet sind, russische Frauen aus der ehemaligen Sowjetunion in den Westen zu retten - hierzu hat Kaminer in der Berliner Ausstellung "Gesicht zeigen" auch unlängst ein Video ausgekoppelt - und, last but not least, dass der Sophie-Charlotte-Platz in Berlin zu den ödesten und langweiligsten Orten der Stadt gehört, an dem man schließlich auch als russischer Zeitungsverkäufer mit Ambitionen nicht reich werden kann.

Die titelgebende "Reise nach Trulala" schließlich berichtet von einer absurden Form des Wissenschaftstourismus auf den Spuren des Weltkriegsfliegers Joseph Beuys in Russland. Kaminer entwirft mit leichter Hand die Szenarien des unglaublichen Aufeinandertreffens deutschen Forschergeistes, der an der Absturzstelle des Weltkriegspiloten in "Trulala" seit Generationen nach Spuren des Künstlers sucht, mit der einheimischen Bevölkerung, die den Wunsch nach vermeintlich authentischen Devotionalien mit Sinn für das Ökonomische gerne bedient. Natürlich - und vor allem bei der Präsentation des vermeintlich unehelich gezeugten Sohnes - gehen der romantische Wunsch der akademisch verblendeten Wissenschaftstouristen und die Bereitschaft, deren Projektionen zu bedienen, Hand in Hand. Wie überhaupt deutlich wird, dass das Zusammentreffen unterschiedlicher Lebensentwürfe und deren Realisationen niemals eine Konfrontation, sondern immer eher einen Dialog mit der Tendenz zur Verständigung auslösten.

Kaminer selbst nimmt - mitunter eher indirekt an den beschriebenen Ereignissen beteiligt - die Rolle des Berichtenden und des Moderators ein. Erzählen und Reisen werden in seinen kürzeren und längeren Erzählungen zu einer Bewegung mit gleichem Ziel. Die narrative Entwicklung der Fiktion und die kognitive 'Auto-Mobilität' im weitesten Sinne werden gleichermaßen zur permanenten und delokalisierten Begegnung mit dem Anderen.

Die sich erst in ihrer Vollständigkeit zu einem Ganzen fügenden Romanerzählungen kann man daher zurecht, auch wegen ihres uneingeschränkt unvoreingenommen und lebendigen Zugriffs auf die Gegenwartsbefindlichkeiten, als unterhaltsames und präzises Zeittableau transnationaler Zusammenhänge und post-postmoderner Identitäten im Übergang lesen. Eröffnet wird in der realen, virtuellen und mentalen Begegnung mit dem Fremden, mit all den damit zusammenhängenden Erwartungen, Projektionen und Ressentiments, fernab politischer Beschwörungen ein Spielraum multikultureller und globalisierter Lebenspraxis zum Anfassen und Miterleben. Begleitet wird diese immer unterhaltsame Lektüre jedoch von einem permanenten Augenzwinkern. Denn eine Erklärung, was die Welt im Innersten zusammenhält, will Kaminer dem Leser in letzter Konsequenz sicherlich nicht geben.