Von Leib und Seele

Hans-Ulrich Treichels erotische Komödie "Der irdische Amor"

Von Christoph JürgensenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Jürgensen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wer sich sehnt, so meine Überzeugung, der sehnt sich nach dem Süden", schreibt Hans-Ulrich Treichel in seinen Frankfurter Poetikvorlesungen ("Der Entwurf des Autors"). Idealer Fluchtpunkt dieser Sehnsucht ist dabei für deutsche Bildungsreisende Italien und speziell Rom, seitdem Goethe dort die Synthese von Bildungsglück und Sinnenfreuden verwirklicht fand.

Auch Albert, Student am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin und Held des neuen Romans von Treichel, hofft auf ein überwältigendes Bildungserlebnis in der Ewigen Stadt, und natürlich hofft er auch auf erotische Erfüllung. Hätte er doch nur auf die Poetikvorlesungen seines Schöpfers gehört, der das Diktum Goethes, dass ein Deutscher ohne Italienerlebnis gar kein Deutscher sei, mit der Replik auskontert: "Müssen wir diesen Satz [nicht] um den Zusatz ergänzen, daß ein Deutscher ohne Italienenttäuschung noch viel weniger ein Deutscher ist?"

Dementsprechend beginnt der Roman gleich mit einer Enttäuschung. Zunächst gelingt es Albert und seinen Kommilitonen nicht, die ersehnte Altbauwohnung in der Nähe des Campo de' Fiori anzumieten, und dann wartet auch noch eine handfeste Schmach auf unseren Helden. Die jungen Deutschen werden des Drogenhandels verdächtigt und eines Nachts direkt aus den Betten in einen Polizeibus abgeführt. Hier sitzt Albert einer Schönheit in Uniform gegenüber, die ihn an Claudia Cardinale erinnert - und dann wölbt sich leider seine Schlafanzughose verräterisch, was die Belezza mit einem vernichtenden "Cretino!" kommentiert.

So kehrt Albert nach Berlin zurück, ohne allerdings von seiner Italiensehnsucht geheilt zu sein. Immerhin gibt es aber auch in Berlin italienische Restaurants, in denen man die "Repubblica" lesen kann, und hier in der Stadt gibt es auch einen echten Caravaggio. In der Dahlemer Gemäldegalerie hängt dessen berühmter "Amor vincitore", vor dem er schon früher häufig saß - und gelegentlich schlief er vor dem Bild ein und träumte von einer gewissen Studentin, die ebenfalls über Caravaggio arbeitete. Die Darstellung jenes Jünglings verkörpert für Albert all das, was er sein möchte, aber gerade nicht ist. "Das, was ihn an dem Knaben von Anfang an fasziniert hatte, war dessen körperliche Unbefangenheit. Der Amor machte ihm vor, wie man sich in seiner nackten Knabenhaut auch fühlen konnte: beneidenswert unbekümmert und selbstsicher."

Albert dagegen fühlt sich nicht wohl in seiner Haut, was wörtlich zu nehmen ist. Verantwortlich dafür ist sein quälender Geschlechtstrieb. "Irgendwann war er plötzlich da gewesen, dieser Drang, und er hatte nur versuchen können, ihn so gut wie möglich zu tarnen." Seit seiner Pubertät hat dieser Trieb die Form einer "verschleppten Dauererregung" angenommen, die Albert sublimiert, indem er sich kratzt und kratzt, bis blutige und verschorfte Kratzwunden entstehen. Und gerade die Heftigkeit seines Begehrens führt dazu, dass seine Annäherungs- und Verführungsversuche an die begehrten Objekte sich zu einer Kette der Demütigungen entwickeln, denn, so lautet seine fundamentale Lebensweisheit: "Wenn du bedürftig bist, sinken deine Chancen."

Im Examenskolloquium hatte Albert bereits einmal ein Referat über den "Amor vincitore" gehalten hat, bei dem er allerdings "nicht die besten Erfahrungen gemacht" hatte. Endlich scheint ihm etwas zu gelingen, denn er macht eine erstaunliche, aufregende Entdeckung, die, so glaubt er, die Caravaggio-Forschung revolutionieren wird: Das Tuch, auf dem der Knabe sitzt, ist als weibliche Scham gemalt! Doch auch diese vorgebliche Entdeckung gerät ihm nur zu einer weiteren Niederlage. Als er seine provokante These von der "Anus-Vulva-Achse" im Seminar vorträgt, muss er erkennen, dass seine These zwar richtig ist, das sie aber einen Allgemeinplatz der Forschung zu Caravaggio darstellt. Albert habe die einschlägige Literatur offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen, die voller Verweise auf den Faltenwurf als weibliche Scham sei, weist ihn die Caravaggio-Koryphäe Professor Delbrück zurecht, aber das sei "noch lange kein Grund, Kunstgeschichte mit Gynäkologie zu verwechseln".

Und so gibt der Leser schließlich Albert auch wenig Chancen, als er seinen ganzen Mut zusammennimmt und Elena, die schöne Kellnerin des "Montestella", um eine Verabredung bittet. Doch nun scheint die Desillusionierungsgeschichte doch noch in eine Liebesgeschichte zu kippen: Elena sagt überraschend zu, genauer, sie sagt lakonisch "Warum nicht". Und wenn sie Albert auch nach einem missglückten sexuellen Intermezzo auf einer Parkbank mitleidig "Poveretto" nennt, was verdächtig an das traumatische "Cretino" der römischen Polizistin erinnert, so bittet sie ihn schließlich sogar, gemeinsam mit ihr nach Sardinien zu ziehen.

Natürlich ist Albert begeistert. Aber Sardinien ist nicht Italien, und das Bergarbeiterkaff Carbonia ist nicht Rom, und so wartet nur eine weitere Desillusionierung auf ihn - auch hier folgt auf eine himmlische Hoffnung eine sehr irdische Enttäuschung. Doch bevor Albert gänzlich in dem Hinterzimmer eines sardischen Kosmetiksalons verkümmert, ruft ihm Klara, eine faszinierende Kieler Geologiestudentin, ein mahnendes "Vergiß die Heimat nicht!" zu, und stiftet eine neue Sehnsucht in Albert. Und so kehrt er schließlich nach Berlin zurück, wo ihn wohl neue Enttäuschungen erwarten.

Hans-Ulrich Treichel ist eine wunderbar leichte Sexualkomödie gelungen, die Komik und Tragik seines Antihelden traumwandlerisch sicher ausbalanciert. In einer Vielzahl von grotesken Situationen zeichnet er das Bild eines geborenen Verlierers, der der Welt ein mutiges "Ich will dich!" zugerufen, und ein abweisendes "Ich dich aber nicht!" zur Antwort bekommen hatte. Dabei wird ihm seine Figur glücklicherweise nie zur Karikatur, denn auch wenn Albert eine komische Figur ist, so verliert er doch nie die ein wenig mitleidige Sympathie seines Autors - und sicher auch nicht die des Lesers. Und quasi nebenbei inszeniert Treichel hier eine treffende Satire auf den universitären Betrieb, die sich, um nur zwei Beispiele zu nennen, spöttisch der modischen Erscheinung des Seniorenstudiums annimmt, das vorwiegend der Kunstgeschichte gilt und reiselustigen älteren Menschen die Gelegenheit gibt, erschöpfend von ihren Museumsbesuchen in aller Welt zu berichten, oder von der kunsthistorischen Vorlesung eines amerikanischen Experten zu vermelden weiß, die von "Jesus' Penis, Mary's Breasts, and other Nakedness in Christian Art" handelt.

Titelbild

Hans-Ulrich Treichel: Der irdische Amor. Roman.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
256 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 351841352X

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