In die Haare schmieren

Das Reclam-Hörbuch

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Reclam-Hörbuch, das mit fünf Produktionen im Frühjahr angetreten ist, um sich in einem relativ jungen Marktsegment zu behaupten, wird es nicht leicht haben. Längst haben "Der HörVerlag" und andere Unternehmen das Terrain besetzt und wertvolle Erfahrungen sammeln können, was geht und was nicht geht.

Was sich offenbar gut verkauft, sind Billigproduktionen: Man setzt einen Sprecher ins Studio und läßt ihn einen Text herunterlesen, an dem die Rechte frei sind. Mit etwas Glück engagiert man einen Schauspieler von der Qualität Thomas Holtzmanns, der die "Odyssee" in der Übersetzung von Johann Heinrich Voß professionell zu sprechen weiß. Ein Gert Westphal ist schon schwieriger zu bekommen - und wahrscheinlich auch finanziell jenseits aller Horizonte. Auf diese Weise hat das Hörbuch eine Vorlesekultur angestoßen, die sicherlich ihre Verdienste hat (denkt man an all jene, die auf das Audiobuch angewiesen sind), doch die Möglichkeiten des Mediums nicht im entferntesten auszunutzen versteht.

Dafür ist die Reihe Reclam-Hörbuch ein trauriges Beispiel. Wenn schon Vorlesekultur, dann muß der Vorlesende die Texte lesend interpretieren, dann muß die Produktion dem literarischen Werk Relief und Farbe geben, etwas Unverwechselbares, Besonderes. Davon ist in diesem Programm wenig zu spüren. Reclam ist mit fünf Einspielungen angetreten, die überwiegend trostlos und flach sind: Kleists "Marquise von O...", Büchners "Lenz" (beide gelesen von Michael Jussen, Ensemble-Mitglied am Anhaltischen Theater Dessau), Storms "Der Schimmelreiter" (gelesen von Otto Mellies, Ensemble-Mitglied am Deutschen Theater Berlin), Goethes "Werther" (gelesen von Thomas Schmidt, Schauspieler am Maxim Gorki Theater Berlin), Marlene Faros "Frauen die Prosecco trinken" (gelesen von Geraldine Gaul). "Prosecco" ist ein herzlich schlecht gemachter Zeitgeist-Roman der Neunziger, dessen Rechte bei Reclam liegen. Auch mit den Klassikern orientiert sich der Verlag am eigenen Profil. Alle Produktionen sind eigens für Reclam in Auftrag gegeben und von Kai Lillich (Ton und Regie) realisiert worden.

Informationen über die dargebotenen Texte gibt es nicht, Booklets liegen nicht bei. Ob die Texte für die Aufnahme bearbeitet oder gekürzt worden sind, ist nicht zu erfahren. Welche Fassung von Goethes "Werther" gelesen wird, verrät uns der Verlag ebenfalls nicht. Ein Hinweis auf die bei Reclam erhältliche Textbasis fehlt (mit einer Ausnahme). Immerhin ist das Konterfei des Sprechers abgebildet, er ist jung und trägt einen Ohrring, falls das die Hörer interessiert. Schmidt ist übrigens der einzige Sprecher, der etwas Dynamik, Farbe, Timbre in der Stimme hat, der - von Anfang an ernst, zurückgenommen, verhalten, fast melancholisch - den Hörer gut über die viereinhalb Stunden Spieldauer hinwegträgt.

Der optische Eindruck der CDs schließlich ist wenig überzeugend. Der Covergestaltung von Stefan Schmidt liegen sujetlose Ölbilder von Peter Degendorfer zugrunde, in cremigen Farben, die man sich allenfalls zu Fasching in die Haare schmieren würde.

Titelbild

Theodor Storm: Der Schimmelreiter. 4 CDs. Gelesen von Otto Mellies.
Reclam Verlag, Stuttgart 1999.
20,40 EUR.
ISBN-10: 3151200052

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Titelbild

Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Werther. 5 CDs. Gelesen von Thomas Schmidt. Hörbuch.
Reclam Verlag, Stuttgart 1999.
20,40 EUR.
ISBN-10: 3151200028

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Titelbild

Heinrich von Kleist: Die Marquise von O... 2 CDs. Gelesen von Michael Jussen.
Reclam Verlag, Stuttgart 1999.
12,70 EUR.
ISBN-10: 3151200044

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Titelbild

Marlene Faro: Frauen die Prosecco trinken. 5 CD. Gelesen von Geraldine Gaul.
Reclam Verlag, Leipzig 1999.
20,40 EUR.
ISBN-10: 3151200036

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Titelbild

Georg Büchner: Lenz. 1 CD. Gelesen von Michael Jussen.
Reclam Verlag, Stuttgart 1999.
10,20 EUR.
ISBN-10: 315120001X

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