Open your mouth!

Die Texte des 9. Berliner Open Mike in einer Anthologie

Von Daniel BeskosRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Beskos

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwischen all den Literaturförderpreisen, Internet-Literaturforen und Poetry Slams finden sich zwei Institutionen, die für die deutschsprachige Nachwuchsliteratur eine herausragende Rolle spielen: Zum einen natürlich der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt, zum zweiten aber mittlerweile auch der Berliner Open-Mike.

Dieser Literaturwettbewerb fand im November 2001 zum neunten Mal statt, und nachdem ein Auswahlgremium eine Vorauswahl getroffen hatte, konnten sich Publikum und Jury (die in diesem Jahr aus den drei Autoren Julia Franck, Adolf Muschg und Jens Sparschuh bestand) ein Wochenende lang die Texte der 24 Finalisten anhören.

Beim Lesen dieser Texte wird eines sofort klar: Hier treten zwar Nachwuchsautoren an, die - allesamt zwischen 25 und 33 Jahre alt - auch noch halbwegs jung sind und deren Texte in größeren Verlagen bislang noch kaum aufgetaucht sind. Jedoch sind sie keineswegs Literatur-unerfahren: Die meisten haben schon in kleineren Häusern veröffentlicht, geben dort selbst Bücher von sich oder von anderen heraus, oder stehen teilweise kurz vor Veröffentlichungen in größeren Verlagen. Von einer wirklichen Entdeckungsreise kann bei Open Mike also nur in begrenztem Maße die Rede sein.

Das hat natürlich aber auch einen positiven Effekt auf die Veranstaltung: Nicht zuletzt von der durchweg recht professionellen Herangehensweise der Autoren bezieht der Wettbewerb auch seine hohe Qualität, die seinen Rang als "Durchbruchsforum" rechtfertigt.

Die hier auftretenden Autoren wollen nicht von einer eingeweihten Literaturszene, sondern von einem großen Publikum entdeckt werden, und diesen Zweck erfüllt ein Sieg beim Open Mike oftmals auch; unter den Preisträgern der letzten Jahre finden sich bekannte Namen wie Karin Duve, Kathrin Röggla, Terezia Mora und Jochen Schmidt. Insgesamt ist die Menge der vorgetragenen Texte tatsächlich beeindruckend: Sich an nur zwei Tagen 24 doch recht unterschiedliche Werke von 24 verschiedenen Autoren anzuhören, gestaltet sich sicher auch für Publikum und Jury nicht gerade leicht.

Zu den Texten selbst ist leider zu sagen: So sicher, wie sich die Autoren schon in der Literaturszene bewegen, so glattgebügelt sind doch auch die meisten der Texte. Die innerliche, subjektive Perspektive überwiegt dabei deutlich, kaum einmal werden wirklich ungewöhnliche Geschichten erzählt, und nur in wenigen Fällen wird mit literarischen Stilmitteln experimentiert. Ansonsten heißt es aber immer nur: "Ich, Ich, Ich."

Eine paar Liebes- und Beziehungsgeschichten, eine Familientragödie, dazwischen locker geschriebene Storys über eine Selbstmordmesse oder das Jobelend in der IT-Branche (mit teilweise leider etwas zu abgegriffenen Klischees: "Mentholzigarettenrauchende Prada-Schabracken" usw.).

Das ist alles gut geschrieben und durchaus unterhaltsam zu lesen, aber eben doch nicht wirklich relevant. Es bedeutet den Autoren kaum etwas, scheint es, es sind eben einfach nur Texte. Daneben gibt es aber auch einige komplexere und anspruchsvollere Texte, wie etwa Stefan Potratz' "ännchen" oder Stefanie Richters "Aufsuchen". Hier wird zwar eine Komprimierung mehrerer Erzähl- und Gedankenebenen angestrebt, wobei auch viel mit abgewandelten Zitaten und Floskeln gearbeitet wird, die Texte geraten so aber stellenweise sehr unverständlich. Die Aussagen werden dadurch unklar, die Wortgewalt wird gelegentlich von Geschwätzigkeit überlagert. Auch Nils Mohls "Dieser Tag, diese Art, ihn zu meistern" ist eindeutig für den Vortrag bestimmt, eigentlich ein schöner Text, der leider ein paar zu alte Feindbilder reproduziert (funktionierende Menschen, Werbung etc.) und zudem am Ende durch eine unverständliche Wende zum "Ich" an Kontur verliert.

Aktuelle Themen, wie etwa die Orientierungslosigkeit angesichts einer sich globalisierenden Welt, die in Stücken von neuen Theaterautoren wie Rene Pollesch oder Martin Heckmanns so eine zentrale Rolle einnehmen, tauchen dagegen kaum auf. Eine Ausnahme bildet hier Juraj Miller, der in seinem Romanauszug "Ivan im Tal der Toten" Szenen aus dem Bosnienkrieg der Neunziger Jahre schildert. Hier wird beim Lesen erst deutlich, wie unwirklich eine solche Kriegssituation in Mitteleuropa wirkt, dass man stellenweise sogar vergisst, dass es sich nicht um historisch platzierte Geschichten handelt, sondern um fast aktuelles Geschehen. Wenn es in einer komplexen Zeit schon fast unmöglich ist, Themen zu benennen und Aussagen zu treffen, so wäre es doch wünschenswert, würde wenigstens diese Tatsache konkret benannt werden, statt sich nur in Intimitäten zurückzuziehen.

Der 9. Open Mike hat gezeigt: Die jungen Autoren sind da, aber die aktuellen Themen müssen erst gefunden werden.

Titelbild

9. Open mike. Intern.Literaturwettbewerb deutschsprachiger Autorinnen u. Autoren der literaturWERKSTATT Berlin.
Lyrikedition 2000, München 2002.
206 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-10: 3935877269

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