Keine Stunde der Auguren

In Frankfurt wurde die Nachfolge des verstorbenen Verlegers Siegfried Unseld geregelt

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

In einer einfachen und eindrucksvollen Feier nahmen die Mitarbeiter der Verlage Suhrkamp und Insel Abschied von Siegfried Unseld, der am 26. Oktober im Alter von 78 Jahren gestorben war. Im Wohnhaus des Verlegers konnten sie sich versammeln: "Liebe Mitarbeiter, ich habe auf Euch gebaut und Ihr auf mich", hieß es in einer letzten Botschaft dieser großen Ausnahmefigur unter den deutschen Verlegern, "vielleicht kann das auf andere Weise so bleiben. Bitte stärkt Ulla den Rücken."

Am 29. April diesen Jahres konnte die "Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung" errichtet werden, und Ulla Berkéwicz-Unseld, die Vorsitzende des Vorstands, zeigte sich zuversichtlich, dass es gelingen werde, die Trauer in jene Kraft umzuformen, "die wir mehr denn je für unsere Arbeit brauchen".

Der Verleger ist tot, und seine Angehörigen und seine Mitarbeiter hatten Zeit, sich gedanklich auf diese neue Situation einzustellen. Im Frühjahr war Siegfried Unseld schwer erkrankt und seither in der Öffentlichkeit nicht mehr aufgetreten. Die Verleihung der Ehrenbürgerschaft der Stadt Frankfurt fand im privaten Raum statt, der Kritikerempfang, gewöhnlich ein Ereignis in Unselds privaten Räumlichkeiten in der Frankfurter Klettenbergstrasse, wurde ins Suhrkamp-Haus in der Lindenstrasse verlegt.

"Niemand ist unersetzlich", hatte Unseld auf das insistierende Frageritual der Presse zu seiner Nachfolge gesagt. Sie zu regeln war schwierig, denn seit langem schwebte ihm eine Siegfried-Unseld-Stiftung vor, in die nach seinem Tod sein Privatvermögen einfließen sollte. Unseld, persönlich haftender Gesellschafter sämtlicher von ihm geleiteten Verlage, wollte erreichen, dass seine Anteile als Komplementär in eine Kommanditbeteiligung umgewandelt würden und seine Anteile an der Verlags-Holding ins Stiftungsvermögen übergingen. Schon früh hatte er eine uneheliche Tochter dazu bewegt, auf ihre Erbschaftsansprüche zu verzichten. Auch seine Frau Ulla Unseld-Berkéwicz verzichtete auf ihr Erbe - zugunsten der Familienstiftung. Deren Gründung freilich ging nicht ohne Widerstände ab und verzögerte sich länger als erwartet: Erst im Oktober gewann Siegfried Unseld seinen letzten Prozess gegen seinen Sohn Joachim, der einen eigenständigen Beiratssitz in der Suhrkamps-Verlagsleitung GmbH beansprucht hatte.

Das Stiftungsmodell, das nun in Kraft tritt, hat das vorrangige Ziel, die Unabhängigkeit der Verlage zu sichern, wirtschaftlich wie programmatisch. Die Konstruktion ist kompliziert, aber durchschaubar:

Die Verlage Suhrkamp und Insel sind rechtlich jeweils eine Verlags-GmbH und Co. KG, ihre Geschäftsführung ist in einer Suhrkamp Verlagsleitung GmbH zusammengefasst. An den Verlagen waren bislang drei Gesellschafter beteiligt: Siegfried Unseld, sein Sohn Joachim und die Gebrüder Volkart Holding AG, vertreten durch Andreas Reinhart. Seit dem 1. Januar 1999 war Siegfried Unseld mit 51 Prozent der Anteile Mehrheitsgesellschafter, Joachim Unseld hielt 20 Prozent, Andreas Reinhart 29 Prozent. An der Suhrkamp Verlagsleitung GmbH hielt Siegfried Unseld 55 Prozent, die Gebrüder Volkart Holding AG 45 Prozent. Joachim Unseld war nicht beteiligt und hatte und hat auch keinen eigenständigen Sitz im Beirat. Es wurde ihm jedoch von Andreas Reinhart, der wie Siegfried Unseld über zwei Sitze verfügen konnte, ein Sitz zur Verfügung gestellt. Zuletzt gehörten dem Beirat der Suhrkamp Verlagsleitung GmbH neben Siegfried und Joachim Unseld Andreas Reinhart und Rechtsanwalt Heinrich Lübbert an, der zugleich Anwalt der beiden Verlage ist.

Nach Unselds Tod übernimmt seine Witwe Ulla Unseld-Berkéwicz den Stiftungsvorstand, der ihr auf Lebenszeit zusteht. Sie kann bis zu zwei weitere Vorstände berufen, und es bleibt abzuwarten, ob sie Heinrich Lübbert berufen wird. Neben dem Vorstand ist ein Beirat mit beratender Funktion eingerichtet worden. Dieser Beirat besteht aus Hans Magnus Enzensberger, Jürgen Habermas, Alexander Kluge, Adolf Muschg und Wolf Singer. Seine Mitglieder sollen einzelne Programmsegmente repräsentieren, sich aber nicht in das Tagesgeschäft einmischen. Gleiches gilt für die Familienstiftung: Sie soll über den "Geist" des Hauses wachen und damit eine Aufsichtsfunktion wahrnehmen, nicht aber das operative Geschäft bestimmen.

Auch personell hat Siegfried Unseld noch alle wichtigen Entscheidungen für die nächste Zukunft getroffen oder mit vorbereitet: Der neue Verlagsleiter Günter Berg, Jahrgang 1959, ist seit langem im Haus und hat viele Stationen mit zahlreichen Funktionen durchlaufen. Er war nach seinem Eintritt in den Verlag 1990 zunächst Brecht-Lektor, bevor er 1995 die Abteilung Neue Medien übernahm und für die Verlage neue Marketingideen entwickelte. 1996 wurde er Leiter des Suhrkamp Taschenbuchverlages. Nach dem Ausscheiden des ersten Kronprinzen Gottfried Honnefelder, der viele Jahre erst Unselds Assistent und zuletzt Leiter des Insel Verlages gewesen war, galt er im Verlag als Hoffnungsträger für die Zeit nach Unseld, denn Berg verstand es glänzend, Unseld zu nehmen, brachliegende Felder an sich zu ziehen und zu bestellen und Mitarbeiter zu motivieren. Er hatte den längeren Atem, als Unseld zunächst verschiedene andere Lösungen ausprobierte und erst Thedel von Wallmoden und dann Christoph Buchwald als potentielle Nachfolger inthronisierte.

Bergs erste große Bewährungsprobe war der Fall Walser: Gegen das umstrittene Romanmanuskript "Tod eines Kritikers" gab es stärkste Bedenken im Suhrkamp-Haus selber, und so bemühte Berg Ulla Berkéwicz und den Stiftungsrat, um seine Entscheidung für das Buch abzusichern. So muss er es auch in Zukunft halten sich in Zweifelsfällen mit dem Stiftungsrat absprechen, denn laut Andreas Reinhart kann das Modell der Stiftung nur dann glücken, "wenn die Stellung von Berg durch die Stiftung gestärkt wird".

Als kaufmännischer Geschäftsführer steht ihm Philipp Roeder zur Seite, der ebenfalls aus den eigenen Reihe rekrutiert wurde. Roeder, Jahrgang 1964, hat noch bei Heribert Marré, dem langjährigen Vorgänger, gelernt und gilt im Haus ebenfalls als Glücksgriff. Beide repräsentieren einen neuen, modernen Führungsstil, der jedoch mit der hierarchischen Struktur des Verlages durchaus kompatibel ist: Man hat sich hochgearbeitet und weiß klare Entscheidungsbefugnisse zu schätzen.

Der dritte im Bunde ist Rainer Weiss, der als Programmdirektor und Leiter des Jüdischen Verlages fungiert. Weiss, Jahrgang 1949, betreute seit 1985 das deutschsprachige Lektorat und wurde 1986 Leiter des Theaterverlages. 1991 kehrte er in den Buchverlag zurück.

Die Konstruktion wirkt solide, doch Spannungen werden nicht ausbleiben. Ulla Berkéwicz aber gilt im Haus als starke Persönlichkeit, und auch sie hatte Zeit, sich auf ihre Aufgabe vorzubereiten. Es wird ihr helfen, dass sich die Verlage in wirtschaftlich schwieriger Zeit gut behauptet haben. Für 2002 wird dank Hesse, Walser und des soeben vorgelegten Kanons (herausgegeben von Marcel Reich-Ranicki) ein gutes Geschäftsergebnis in einem ansonsten eher kritischen Markt erwartet. Und auch Andreas Reinhart, der Schweizer Gesellschafter, hat sich als beständiger Mitspieler erwiesen, allen Unkenrufen der Auguren zum Trotz. "Suhrkamp bleibt" und wird sich doch verändern.