Wir zensieren, also herrschen wir

Stephan Buchlohs Studie zur Zensur in der Adenauer-Ära

Von Michael GriskoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Grisko

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Medien gelten in der Demokratie als Vierte Gewalt; idealtypisch sollen sie den Bürger in seiner Meinungs- und Willensbildung unterstützen und wesentliche Kontrollfunktionen ausüben. Dies ist auch im Zeichen einer zunehmend von politischen Machtinteressen und ökonomischer Handlungsrationalität bestimmten Zeit nicht nur der Tribut an die gutgemeinte Political correctness unserer Tage oder an vermeintlich verstaubte verfassungsmäßig verbriefte Rechte, sondern immer wieder zu betonendes Essential des auf der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gründenden Zusammenlebens der westlichen Staatengemeinschaft.

Ist der Versuch, Meinungsmonopole über Konzentrationskontrolle zu verhindern, ein Instrument positiver Intervention, stellt die - über die in der Verfassung garantierte Einschränkung der Kommunikation - hinausgehende Form der Zensur ein interessengeleitetes Mittel restriktiver inhaltlicher Kommunikationspolitik dar.

Dass der Negation des normativen Anspruchs auf Meinungsfreiheit in Geschichte und Gegenwart unter der Vorspiegelung unterschiedlichster Begründungen in der gesamten Hemisphäre immer wieder Vorschub geleistet wurde, etwa in Form der Zensur, bleibt eine ebenso selbstverständlich wie resignativ zutreffendende Feststellung.

Von der Tagespresse zum Kino: Zensur auf allen Kanälen. Die Studie ",Pervers, jugendgefährdend, staatsfeindlich'. Zensur in der Ära Adenauer als Spiegel des gesellschaftlichen Klimas" (erschienen 2002 bei Campus) des Münchner Kommunkationswissensschaftler Stephan Buchloh untersucht die gescheiterten Versuche und bis heute wirksamen Erfolge des staatlichen Eingriffs in die inhaltliche Ausrichtung der Presse, Theater und AV-Medien seit der Staatsgründung der BRD bis 1962. Seine detaillierten Studien gründen auf bislang nicht ausgewerteten Materialien der Bundesregierung und der zeitgenössischen publizistischen Debatte.

Quer durch die Parteien - und dies erschreckt - war in den 50er-Jahren die Bereitschaft zu punktuellen Einschnitten in die verfassungsmäßig garantierte Meinungsfreiheit vorhanden. Auch wenn das Bundespressegesetz nach heftiger Diskussion in den Jahren 1951/52 schließlich abgelehnt wurde, so entwerfen der direkte und indirekte Eingriff in den literarischen Markt, so z. B. über das sogenannte "Schmutz- und Schundgesetz", der alle Instanzen der Kulturpolitik ergreifende Kampf gegen die Aufführung der Brecht-Stücke in Westdeutschland, und die multi-institutionelle Filmkontrolle der Zeit ein Panorama des Misstrauens, der Angst und des autoritären Machtwillens. Geteilt wurde die Furcht vor dem Kommunismus und einer libertären Sexualität von annähernd der gesamten, letztlich auch einer Generation zuzuordnenden Funktionselite des konservativen Nachkriegsdeutschlands und seiner wenig Widerstand leistenden Bevölkerung.

Vor allem im Bereich der Filmpolitik wird der politische Aktionismus evident, der hier, wie in anderen Bereichen, eine untrennbare Symbiose mit einer als verfassungsrechtlich unverträglich einzuschätzenden politischen Phantasie eingeht. Dies gilt für den "Interministeriellen Prüfausschuss", der unter dem Deckmantel wirtschaftlicher Beziehungen Filmen aus dem Osten nach politischen Gesichtspunkten die Einfuhr verweigerte, ebenso wie für das Instrument der über die Filmbürgschaften des Bundesinnenministers ablaufenden Kinosubventionierung - von der auch dieser Tage noch funktionierenden institutionellen Zweckallianz zwischen Industrie und Politik in Form der "Freiwilligen Selbstkontrolle Filmwirtschaft" einmal ganz zu schweigen. Zur Bestätigung, dass diese Instrumente inhaltlichen Einfluss auf die Filme und deren Realisierung hatten, genügt ein einziger Blick auf die bei aller vermeintlichen Modernität kitschig geraten Heimatfilmschnulzen und kriegsverherrlichenden Militärfilme der 50er Jahre: ein durch nicht abgerissene personelle Kontinuitäten, Zensur und Selbstzensur verstümmeltes Kino, das erst durch die neue, selbstbewusste Generation der Oberhausener Filmemacher überwunden werden konnte und Anschluss an internationale ästhetische Standards fand.

Fernab der detailliert exemplifizierten Einzelfälle und der darin aufscheinenden medialen Besonderheiten im Prozess der Zensur, bestimmt Buchloh überzeugend die machtpolitische Funktion und Dimension der Zensur: Herrschaftssicherung nach innen und außen, mit Blick auf die Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Denn die Bestrebungen galten natürlich nicht nur der Herrschaftssicherung im eigenen Land, sondern dienten auch zur Abgrenzung gegenüber dem 'Nachbarn' aus dem Osten. Dies beinhaltete auch einen Versuch, der eigenen nationalsozialistischen Vergangenheit durch einen Blick in die kommunistische Gefahr der Gegenwart und Zukunft, also einem Gegendiskurs, zu begegnen.

Zwischen Detailstudie, Mentalitätsgeschichte der 50er Jahre und der Entwicklung grundlegender Charaktermale der Zensur ist das Buch eine Fundgrube für Sozial-, Medien- und Rechtshistoriker, der man gelegentlich etwas mehr Mut zur flotteren Formulierung gewünscht hätte

Auch wenn Buchlohs abschließend-kursorische Aktualisierung des diskutierten Problemzusammenhangs in strenger Einschätzung notwendiger Weise fragmentarisch bleiben muss, hat sie an diesem Platz ihren richtigen Ort gefunden. Gilt es doch mit Blick auf die komplexer werdenden Politik- und Kommunikationszusammenhänge unserer Tage, in der Wissenschaft auch eine Art Refugium mit kritischen Potential zu situieren und zu bewahren. Im Zeichen unserer zunehmend medial bestimmten Öffentlichkeit muss die kritische Aufmerksamkeit und Begleitung verstärkt den durch ökonomische und institutionelle Macht gestalteten Ausgangs- und Grundbedingungen dieser Kommunikationsnetzwerke und deren Inhalten gelten, denn: Zensur ist kein historisches Phänomen.

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Stephan Buchloh: Pervers, jugendgefährdend, staatsfeindlich. Zensur in der Ära Adenauer als Spiegel des gesellschaftlichen Klimas.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
488 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-10: 3593370611

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