Eine Welt sinnloser Bezüge

Ulrich Prill entdeckt Ernst Jünger als homo ludens

Von Helge SchmidRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helge Schmid

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Themenstellung hat einiges für sich, doch die Durchführung ist höchst problematisch: Ulrich Prill, Romanist aus Chemnitz, hat 1998 das Ernst Jünger-Stipendium des baden-württembergischen Ministerpräsidenten (dotiert mit 20.000 Mark) erhalten und während seines Aufenthaltes im Deutschen Literaturarchiv Marbach seine Studie über "Ernst Jünger als homo ludens" verfasst. Doch bereits die Einleitung, in der Prill den Spiel-Begriff herleitet, bietet, was seine Arbeit zu werden verspricht: Kraut und Rüben.

Mit Heraklit - dem "von Jünger verehrte[n] Vorsokratiker - beginnt die Spurensuche im "Raum des Spielfelds". Platon, Aristoteles, Kant werden in diesem Parforce-Ritte durch die Begriffsgeschichte ebenso aufgeboten wie Schiller, Novalis und natürlich Nietzsche. Jeder Autor spiele mit "Prä-Texten", und so sind solche Prä-Texte natürlich auch immer irgendwie anschließbar. Auch Post-Texte können beliebig aufgeboten werden: So zitiert Prill den französischen Autor Maurice Dantec, weil dieser - wie Jünger - etwas über das Verhältnis von Krieg und Spiel gesagt habe. Im übrigen ist Frankreich ja das "Jünger-Land schlechthin", so dass es sich geradezu anbietet, französische Autoren herbeizuzitieren. Es genügt dem Verfasser schon, dass Roland Barthes' Aufsatz "L'activité structuraliste" im selben Jahr (erneut) gedruckt worden ist wie Jüngers "Mantrana. Ein Spiel" (1964), um eine behelfsmäßige Brücke zwischen beiden zu bauen. Zu "Mantrana", der nicht abgeschlossenen, sondern mit der Aufforderung zur Erweiterung veröffentlichten Maximensammlung, fällt Prill dann ein, dass es formal anstrebe "ein offenes Kunstwerk im Sinne von Umberto Ecos 'opera aperta'" zu sein. Der Mann ist eben Romanist, und seine Assoziationsmühle führt uns seine Belesenheit vor Augen, selbst wenn der Hinweis auf Eco für Jüngers Intention ohne Belang sein dürfte: Denn zum einen hat Jünger Umberto Eco erst durch "Der Name der Rose" (1982) entdeckt und kennengelernt, zum anderen bezieht sich Ecos Theorie des offenen Kunstwerks auf die potentiell unabschließbare Semiose mehrfach kodierter moderner Literatur und nicht auf ein Produktions- und Erweiterungsmodell nach Art der "Mantrana".

Egal. Der Spielbegriff in der wichtigsten hier ermittelten Variante betrifft Spiel als Text - in der Bedeutung von "Erzählung" ist er bereits im "Deutschen Wörterbuch" der Brüder Grimm nachgewiesen. Auf den bedeutenderen, weil umfassenderen Aspekt der Lebenskunst geht Prill nicht ein, obgleich er sich im Einleitungskapitel, wo der Spielbegriff als Existenz-Spielbegriff aus der abendländischen Tradition hergeleitet wird, geradezu aufdrängt.

Mit Jünger fasst Prill den Homo ludens als Gegenspieler des Homo faber respektive des "Arbeiters": "Im Ersten Weltkrieg suchte der homo ludens als Krieger es noch einmal mit dem homo faber aufzunehmen und verlor die Partie." Das Zeremonielle und Ritualisierte des Krieges wird von Prill als intensiongleich mit dem Regelhaften des Spieles behandelt. Die Begriffe werden folglich synonimisiert und stützen sich mithilfe passender Zitate gegenseitig ab. Jüngers Denken ist keiner systematischen Schule verpflichtet und offenbart sich hier als wahre Fundgrube für anschlussfähiges Material. Und für einen Romanisten, der einem erweiterten Literaturbegriff huldigt, ist der Raum der Kunst ein metaphorischer Selbstbedienungsladen: Jüngers Kriegstagebuch "In Stahlgewittern" wird, weil es in mehreren Fassungen vorliegt, nach dem Prinzip des "tema con variazioni" betrachtet, denn es gilt ja, die Kompositionsprinzipien von Literatur in den Blick zu nehmen.

Als Freund eines forschen Methodenpluralismus (was heißt eigentlich "anything goes" auf Französisch?) lässt Prill auf den strukturalistischen Zugriff den psychoanalytischen à la - erraten! - Lacan folgen. Hier geht es, wie könnte es anders sein, um die "Phallusobsession Jüngers". Die entsprechenden Seiten muss man selbst gelesen haben, die kann man hier gar nicht wiedergeben, die sind einmalig. Schade nur, dass Prill nicht Jüngers Besuch bei Gottfried Benn referiert, von dem in "Annäherungen" (1970) erzählt wird: "Benn ging in die Bibliothek, um seinen Bericht über das tragische Ende von Miss Cavell zu holen; er brachte den 'Besuch auf Godenholm' mit, der unlängst erschienen war.

Er setzte sich wieder neben mich: 'Wissen Sie - das ist das Raffinierteste, was Sie gemacht haben.' Dann blätterte er in dem Bändchen und begann eine Passage zu lesen, die sich mit dem Ziel beschäftigte, das durch Annäherung erreicht, doch nicht überschritten werden kann. Für einen Augenblick wird die Erscheinung mit dem Sein identisch, die Woge mit dem Meer.

'Es würde stets wiederkehren, dass das EINE aus dem Getrennten aufstieg und sich mit Glanz bekleidete. Dieses Gemheimnis war unaussprechlich, doch alle Mysterien deuteten es an und handelten von ihm, von ihm allein. Die Wege der Geschichte und ihre Listen, die so verschlungen schienen, führten auf diese Wahrheit zu. Ihr näherte sich auch jedes Menschenleben mit jedem Tage, jedem Schritte an. Nur dieses Eine war das Thema aller Künste, von hier aus wurde jedes Denken in seinem Rang bestimmt. Hier war der Sieg, der alles krönte und jeder Niederlage den Stachel nahm. Das Staubkorn, der Wurm, der Mörder nahmen daran teil. Es gab nichts Totes in diesem Lichte und keine Finsternis.'

Er legte das Buch zwischen uns auf das Sofa und sagte: 'Was ist das? Was ist das - - - das ist der Penis! Das kann nur der Penis sein!'"

Ein Missverständnis, das sich Prill wundersamer Weise entgehen lässt, das ein Schlaglicht auf Jüngers 'dunklen', interpretationsbedürftigen Stil wirft und nicht minder komisch ist als das interpretatorische Initiationsspiel des Literaturwissenschaftlers (und Romanisten) Ulrich Prill. Dessen "ludisches Potential" kommt im Folgenden erst so richtig in Bewegung: Der Krieg wird mit Theweleit als Initiation begriffen und weit auf die "aventure des höfischen Ritters" zurückgeführt. Mit ähnlich weit ausholenden Schritten geht es weiter voran bzw. zurück: Zu seiner "vollen Bedeutung", so Prill, kommt der Begriff der "Désinvolture" im Archetyp des Verbrecher-Künstlers, in dessen Spuren Jünger 'spielt'. Damit ist auch die Traditionslinie der Décadence entdeckt und kann weit über die "Strahlungen" und die "Afrikanischen Spiele" hinaus prolongiert werden: Prills Interpretationen decken selbst die späten Erzähltexte ("Die Zwille" und "Eine gefährliche Begegnung") noch ab und reichen bis in die unmittelbare Gegenwart ("Siebzig verweht") hinein. Gleichwohl offenbart sich seine Arbeit am Ende als das, was sie am Anfang zu werden versprach, als eine Welt "sinnloser Bezüge" (um auch einmal Roland Barthes zu zitieren).

Titelbild

Ulrich Prill: "mir ward Alles Spiel". Ernst Jünger als homo ludens.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2002.
140 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3826023552

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