Topos Meer

Robert Gernhardt ist gut sortiert

Von Thomas KraftRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Kraft

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Längst bereichert Robert Gernhardt den Olymp der deutschen Dichter, ist ein gern gesehener Gast bei Talkshows, Lyrikfestivals und letzthin sogar bei den Salzburger Festspielen, wo er als Gastautor geehrt wurde und als Gastgeber an einem Abend auch einen Kreis von Jungautoren um sich scharte. Einzig der Büchner-Preis fehlt ihm noch zur höchsten Nobilitierung. Auf seinem langen Weg vom "Titanic"-Schwimmer hin zum Meeresdichter hat Robert Gernhardt mit seinen Reimen, Liedern und Szenen ein großes und treues Publikum gewonnen, einige seiner Reime sind Teil unserer Alltagskultur geworden, Gernhardt ist im besten Sinne populär. Dass dieses Multitalent sich auf dem Zenit seines breit gefächerten Schaffens befindet, bezeugen zwei Publikationen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. In Gernhardts Stammverlag S. Fischer erschien seine umfangreiche Gedichtsammlung, "Im Glück und anderswo", streng nach Themenkreisen geordnet. Und der neu gegründete Marebuchverlag hat sich ein Gernhardt'sches Gustostückerl gesichert, das seinen Spieltrieb und die Variationsbreite seines Schaffens aufs Schönste veranschaulicht.

Diese "Geschichten vom Meer" werden mit Zeitungsmeldungen und Fotos eröffnet, die eine 97-jährige Dame am Steuer eines durch die Wismarer Bucht segelnden Schiffes zeigen - Ruth Gernhardt, die Mutter des Dichters. Der wäre nicht der Querdenker, als den man ihn schätzt, wenn er nicht aus dieser familiären Vorbelastung hintersinnig Kapital für sein Thema - "Meer von Robert Gernhardt" - schlagen würde. Von einer "mythenträchtigen Trias Meer, Mutter und Sohn" ist auf den nächsten Seiten die Rede, von Landratten und Seemännern, von drohendem Untergang in der Schicksalsbucht von Castiglioncelli, Seglerhosen und der gefürchteten "Neunte[n] Woge". Die Folgen der "mütterlich-maritimen Ölung" sind entgegen Gernhardts Annahme, dem Topos Meer bislang weitgehend ferngeblieben zu sein, nun in diesem kleinen, bibliophilen Sammelband zu genießen, der Bekanntes wie die Flusspferdcartoons mit Schnuffi (aus "WimS") mit Neuem zur Kunst der Albatros-Zeichnung mixt.

"Wie übers Glück reden?
Wenn das einmal glückte:
Wäre das nicht das Glück?"

Mit diesen sokratischen Versen eröffnet der fast dreihundert Seiten starke, neue Gedichtband "Im Glück und anderswo" eine poetische Tour d'horizon, die zum kreuz -und - quer- Lesen einlädt, zum Verweilen bei Germanias Seufzern und deutschen Fragen. Der Dichter ist leicht frivol um sein leibliches Wohl besorgt, das ihn beim Fußballschauen und am Schreibtisch gleichermaßen abhanden zu kommen droht. Wir begleiten ihn auf nächtlichen Reisen durch deutsches Land, besteigen mit ihm den Gipfel des Ruhms und applaudieren mit ihm zu Ehren des Dichterkollegen Ror Wolf zu dessen siebzigsten Geburtstag. Man fällt alle dreißig Seiten in eine andere Gemütslage, doch Gernhardt kämpft in gewohnter Weise mehr mit dem schweren Degen als mit dem zierlichen Florett, haut und stichelt, selten geht ein Hieb daneben. Es ist der Gernhardt, den man kennt und schätzt, ein Meister der kleinen Form, der alle Tonlagen beherrscht, der die Tradition paraphrasieren und ironisieren kann wie kaum ein anderer. Über Gernhardt kann man im Grunde nur sehr wenig oder nur sehr viel sagen, in jedem Fall ist es ein Vergnügen. Konsequent endet die letzte Strophe dieses wunderbaren Bandes mit einem Doppelpunkt.

"Ich kenne fast keine Scham mehr.
Außer, natürlich, beim Schreiben.
Bevor ich den Leser mit mir konfrontier,
lass ich das Schreiben glatt bleiben:"

Da sei Gott vor.

Titelbild

Robert Gernhardt: Im Glück und anderswo. Gedichte.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
288 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3100255038

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Robert Gernhardt: Meer von Robert Gernhardt. Geschichten vom Meer.
Herausgegeben von Denis Scheck.
MareBibliothek Bd. 4.
Mare Verlag, Hamburg 2002.
160 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-10: 3936384037

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