Stürmischer Auftritt, verschärftes Rangehn

"attacca", die erste CD des Neuen Frankfurter Schulorchsters, vertont Robert Gernhardt

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Attacca! Euch hilft hier kein Widerstand!
Trara! Ergebt euch mit Herz und Hand!
Tirili! Wir treibens so bunt und und süß!
Attacca! Das geht euch in Hirn und Füß!
Caramba! Hier wird jetzt Musik gemacht!
Caracho! Und wer unsern Sieg verlacht /
Attacca! Der wird mit Gequiek bedacht:
(Entfesseltes Geqieke).

Mit Musik geht alles besser, doch die Theorie darf nicht fehlen, wusste schon Adorno. "Attacca" ist eine musikalische Spielanweisung: "Weiter geht's, ohne Pause das nächste Stück." Robert Gernhardts Akrostichon führt dieses "verschärfte Rangehn" mit Verve vor, es fungiert als geistig-somatischer Stimulus, der uns - umgesetzt in Musik - geradezu militant in die Glieder fährt. Die Vorbehalte der älteren Frankfurter Schule, speziell Adornos, gegen alle Manifestationen der sogenannten "popularen Musik", werden damit als unzeitgemäß hinweggefegt. Adornos Einwände gegen alles "Leichte" (sein Verdikt vorzüglich gegen den Jazz) basierten auf verstaubten Theoremen, lehrt Prof. Dr. mult. Frank Wolff, Gründungsmitglied des Neuen Frankfurter Schulorchesters, die "quasi wie erratische Blöcke in den aktuellen Diskursen sich ausnähmen". Indem Wolff aber - ganz Adorno-getreu - das Reflexivpronomen "sich" im Syntagma extrem weit nach hinten stellt, belegt er, wie virulent Sprache und Denken der Frankfurter Schule immer noch sind. Er widerlegt damit quasi performativ selbst sich, und wie zum Beweis lässt er seinem Vortrag eine wunderbar mitreißende und erhellende "Komposition dieses Erkenntnisprozesses" folgen - eine Komposition, in der sich Alte und Neue Frankfurter Schule "aufs innigste verschränken":

Adorno saß im Laum,
er traute seinen Augen kaum,
denn auf der Straße sah er was,
was ungeniert Pomm-Fritten aß
und zwar Kollege Habermas.

"attacca", die erste, wichtigste und schönste CD des Neuen Frankfurter Schulorchsters, gipfelt in dieser Vertonung eines "Object trouvé" der Poesie der Sozialwissenschaften. Theodor W. Adorno ist ihr dankbares Objekt und zugleich ihr tragisches Opfer, wie spätestens seit Robert Gernhardts Gedicht "Das Attentat oder Ein Streich von Pat und Doris oder Eine Wilhelm-Busch-Paraphrase" deutlich geworden ist. Der Text, der vom legendären 'Busen-Attentat' erzählt, von jenem tragikomischen Dienstag im April 1969 also, an dem barbusige Studentinnen Adornos Weg zum Hörsaal spalierten, wird hier erstmals als Ohrenschmaus präsentiert und zeigt einmal mehr, wie sehr sich die Neue Frankfurter Schule und ihr wichtigster Exponent der "Parodie einer philosophischen Landschaft" verschrieben haben, die in unserer Kultur zum Synonym für Aufklärung geworden ist.

Die "musiktheatralische Inszenierung" dieser aufklärerischen Mission wird seit geraumer Zeit vom Neuen Frankfurter Schulorchester kongenial besorgt. Anne Bärenz (Klavier) und Frank Wolff (Cello) haben die Federführung und verantworten, jeweils in verschiedenen Besetzungen, eine ganze Reihe virtuos umgesetzter Gernhardt-Texte. Auf "attaca", der im Frühjahr erschienenen Live-CD, werden sie von Sabine Fischmann (Pianistin am Schauspiel Frankfurt), Ali Neander (Gitarrist bei den Rodgau Monotones) und Markus Neumeyer (Dirigent der Kammeroper Frankfurt) begleitet.

Das Spektrum ihrer Adaptionen ist beeindruckend, wobei nicht nur Texte, sondern auch musikalische Genres 'adaptiert' werden. Bruchstücke einer "primitivistischen Marschmusik" (wahre Geschmacksattacken) folgen auf Punk-Rock-Elemente, große Arien der Operngeschichte konterkarieren deutsches Liedgut. Dieses Verfahren der Kontrafaktur ist sinnvoll, weil Gernhardts Vorlagen selber schon mit der Tradition arbeiten, selbst schon Liedgut in sich verarbeitet haben und insofern dazu einladen, mit bekannten Sounds und vielzitierten Stimmen zu operieren: von Bachs "Johannespassion" über "Stille Nacht" zu Chopin, von Dvorak über Death Metal zu Jimi Hendrix, von Mozart über Schumann bis hin zu Sergeant Peppers Lonely Hearts Club Band. Markus Neumeyers Bearbeitung von Gernhardts Gedicht "Mardermörder", im Stile von Georges Bizets "Habanera" aufgeführt, begeistert ebenso wie seine glockenhelle Präsentation eines Liedfragments "Zum Muttertag":

Mama -
kein einziges Wort auf der Welt
das so viele Mas enthält
wie Mama.
Ja -
Kaktushecke hat mehr Kas
Braunbärbabies hat mehr Bes
Erdbeerbecher hat mehr Es
Schamhaaransatz hat mehr As -
Aber Mas?
Koblenz hat keine Ma
München hat so gut wie keine Ma
Mannheim hat nur eine Ma
doch welche Stadt hat zwei Ma?
Na?
Göttingen
Ja!
Denn dort wohnt meine
Mama.

"Selbstreferentielle Erkenntnis" nennt Professor Wolff sein Verfahren, Höhepunkte der Musikliteratur so lange mit Bruchstücken des "Popularen" zu korrelieren, bis letztere die Anmutung des Klassischen erfahren. Daraus erwächst seine 'Komplizität' mit der Schule der großen idealistischen Systeme und dem bedeutenden Dialektiker Gernhardt, dessen Werk, ausgehend vom Inbegriff der Negationen, am Ende auf das Werden selber, auf die Theodizee alles Seienden hinausläuft. Was ehemals "Stückwerk" war, jedenfalls "im Sinne einer doch eher dekonstruktivistischen Theorie", wird nun Lustquelle einer neuen Harmonie, die sich, mit Charme und Witz präsentiert, zwerchfellerschütternde Ausfallschritte leistet, denen kaum noch auszuweichen ist.

Kein Bild

Neues Frankfurter Schulorchster: "attacca". 1 CD mit neuen Liedern nach Gedichten von Robert Gernhardt. Von und mit Anne Bärenz, Frank Wolff, Sabine Fischmann, Ali Neander und Markus Neumeier. Mitschnitt der Uraufführung am 2. 2. 2002 in der Alten Oper Frankfurt.
Bestellnummer 278249.
Edition Büchergilde, Frankfurt a. M. 2002.
59:58 Min., 15,50 EUR.

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