Die Sonne des Witzes am Firmament der Dichtung

Kerstin Hoffmann-Monderkamp über "Komik und Nonsens im lyrischen Werk Robert Gernhardts"

Von Johannes MöllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Möller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die von Gössmann betreute Dissertation trägt den Untertitel "Annäherungen an eine Theorie der literarischen Hochkomik" und benennt damit eines ihrer Grundprobleme. Unüberhörbar spielt die Verfasserin auf Gernhardts "Versuch einer Annäherung an eine Feldtheorie der Komik" (1988) und das von Bernd Eilert im Haffmans Verlag - selbstverständlich unter gebührender Berücksichtigung Gernhardts - herausgegebene "Hausbuch der literarischen Hochkomik" (1987) an. Bekanntlich hat Gernhardt das eigene Werk immer wieder theoretisch begleitet und durchleuchtet, wofür er 2001 mit dem Ehrendoktor der Universität Fribourg ausgezeichnet wurde. Für andere Wissenschaftler sind seine Abhandlungen einerseits eine ungemein wichtige Erkenntnisquelle, andererseits hat Gernhardt ihnen damit auch eine ganze Menge Arbeit weggenommen. Der forschende Germanist bekommt mit Gernhardts Œuvre einen passenden theoretischen Schlüssel gleich mitgeliefert, allerdings zu dem Preis, dass die Entwicklung seines eigenen schöpferischen Ansatzes erheblich erschwert wird. Denn es wäre natürlich nötig und sicher nicht einfach, dessen Berechtigung gerade gegenüber dem Lehrgebäude nachzuweisen, das der zu erforschende Autor errichtet hat.

Hoffmann-Monderkamp ist diesen steinigen Weg im ersten Teil ihrer Arbeit (Charakteristika der Komik-Theorie) selten gegangen. So werden die "Grundlagen der komischen Wirkung" praktisch unverändert aus Gernhardts "Feldtheorie" übernommen. Dagegen wird die Parodie (als eine komische Form neben Satire, Witz und Nonsens) ohne jeden Hinweis auf Gernhardts einschlägige Stellungnahmen abgehandelt. Dabei hat sich Gernhardt im Nachwort zu "Prosamen" (1996) explizit zu Sprechweisen geäußert, denen es "nicht um Kritik an überlebten Ausdrucksweisen [...] oder um die Bloßstellung obsoleter Inhalte", sondern um Vergnügen geht. Gerade auf diesen Mangel an Invektive kommt es auch Hoffmann-Monderkamp an. Dass die parodie-theoretische Abhandlung Gernhardts aus "In Zungen reden" (2000) nicht erwähnt wird, kann man der Autorin freilich nicht vorwerfen, bezieht sie doch im wesentlichen das Werk nur bis zum Erscheinungsjahr 1998 ein. Eine Beschreibung der wichtigsten Stilmittel der Komik beschließt den ersten Hauptteil, der insgesamt solide gearbeitet ist, aber keine wirklich neuen Erkenntnisse vermittelt.

Nachdem die Verfasserin Parodie und Nonsens als verschiedene - wenn auch freilich nicht sich einander ausschließende - komische Formen versteht, verwundert es angesichts des Titels der Arbeit dann doch, dass der andere (und weit umfangreichere) Hauptteil der Arbeit der Parodie als ästhetischem Prinzip gewidmet ist. Drei miteinander verschränkte Themenkomplexe werden vertieft behandelt: die verschiedenen parodistischen Verfahren und Motive, die Metapoesie und das Bildgedicht.

Wertvoll ist die Analyse Hoffmann-Monderkamps dort, wo sie zeigt, mit wie vielen fein ausdifferenzierten Techniken Gernhardt seine Kunst des Gegengesangs zelebriert. Insbesondere die Erkenntnis, dass auch die Thematisierung der fehlgeschlagenen Rezeption eines fremden Textes der Parodie dienen kann, besitzt Gültigkeit auch für das epische Werk Gernhardts, z. B. die Erzählungen "Das Buch Ewald" ("Buch Hiob") und "Die Florestan-Fragmente" (Falken-Novelle). Manchmal scheint Hoffmann-Monderkamp jedoch von ihren eigenen, im ersten Teil geprägten Begrifflichkeiten abzuweichen: So wird das Bildgedicht "Frage und Antwort" als Nonsens qualifiziert. Dieses Bildgedicht zeigt einen Erwachsenen und ein Kind (vielleicht Vater und Sohn) beim Nachtspaziergang. Der Sohn beantwortet die vom Vater zitierte Liedzeile "Weißt du wieviel Sternlein stehen?" mit "Ja" und beharrt darauf, dass nicht nur Gott, der Herr, sondern auch er alle Sterne gezählt habe: Es seien genau 267, wie man auch nachzählen könne. Hoffmann-Monderkamp selbst sieht hierin die Entlarvung eines altertümlichen, unaufrichtigen Weltbildes, das vom Kinderlied vermittelt würde. So weit müsste man nicht einmal gehen: Auch eine religionsfreundlichere Interpretation wäre denkbar, wonach das berechtigte Schöpferlob einen nicht davon abhalten sollte, die Schöpfung aus eigenem Erkenntnistrieb zu erforschen. Aber so oder so stellt das Bildgedicht sehr wohl eine klar artikulierbare, außenweltbezogene These von nicht geringerer als kosmologischer Dimension auf. Es erfüllt kein einziges derjenigen Merkmale, die in der Arbeit selber als nonsens-typisch herausgearbeitet werden.

Ein Verdienst der Arbeit liegt in der Aufwertung des Bildteils bei der germanistischen Analyse von Gernhardts Bildgedichten. Hier leistet Hoffmann-Monderkamp Pionierarbeit und liefert überzeugende Interpretationen bis hinein in die Analyse des einzelnen Strichs. Beachtenswert ist auch ihr Versuch, die Kategorie des Reimes auf die Zeichnungen Gernhardts zu übertragen. Sie bleibt dabei aber unter ihrem - und vor allem auch Gernhardts - Niveau, wenn sie einen solchen "Reim" zweier Einzelbilder schon dann feststellt, wenn beide denselben Mann in leicht unterschiedlicher Haltung darstellen. Gerade angesichts der Bedeutung der Reimregel als "Widerstand und Wegweiser" für Gernhardt würde das eine inakzeptable Verflachung bedeuten. Wer einen Mann zeichnen kann, kann auch zwei zeichnen. Das als Reim zu adeln, ist genauso sinnwidrig, wie wenn man auf der Textebene die Wiederholung eines Wortes oder sogar der ganzen Zeile als Reim oder sogar als Allreim bezeichnete. Dabei gibt es im graphischen Werk Gernhardts durchaus Beispiele für zeichnerische Reime, die diesen Namen verdienen. Ansatzpunkt muss das Wesen des literarischen Reims sein, den ähnlichen Klang zweier oft sehr bedeutungsverschiedener Wörter wie "Recht" und "schlecht" auszunutzen. Dem entspricht auf der zeichnerischen Ebene die ähnliche graphische Form unterschiedlicher Gegenstände. "Sommererinnerung" aus "Gernhardts Erzählungen" ("Vom Schönen, Guten, Baren") zeigt im ersten Bild einen Mann, der auf dem Rücken in einem See liegt: Man sieht in gewissem Abstand sein Gesicht, den in flacher Wölbung aus dem Wasser ragenden Bauch und seine Fußspitzen. Irritierend wirkt die Textzeile, die von drei im See liegenden Personen spricht. Die Auflösung im zweiten Bild zeigt, dass nur das Gesicht dem lyrischen Ich gehört, der vermeintliche Bauch aber die Sense des Todes und die vermeintlichen Füße die Ohren des Teufels sind. Diese wegen der Beschneidung durch die Wasseroberfläche zunächst gleich aussehenden Gegenstände wurden - so könnte man sagen - optisch aufeinander gereimt, ein Verfahren, das Gernhardt ebenso wenig erfunden hat wie den literarischen Reim, aber es genauso wie diesen zu neuer Blüte und in ungeahnte Höhen treibt.

Eine theoretische Abhandlung über Komik ist per se nicht komisch. Gernhardt weist in "Was gibt's denn da zu lachen?" darauf hin - schon deshalb zu Recht, weil nicht wenige Leser von diesem Buch wegen seines Autors, der bis dahin insbesondere mit heiterer Primärliteratur in Erscheinung getreten war, und wegen des Titels erwartet haben dürften, auf jeder der vielen hundert Seiten ordentlich was zu lachen zu haben. Auch Hoffmann-Monderkamp (übrigens ebenso wie Klaus Cäsar Zehrer in seiner Dissertation "Dialektik der Satire") erörtert, dass und warum Komik-Theorie nicht komisch sei. Dabei dürften die Leser einer germanistischen Dissertation von Haus aus nicht unbedingt einen Schenkelklopfer erwarten. Auch die Theorie des Kriminalromans kommt ohne Mord aus und kann im Unterschied zu ihrem Gegenstand manchmal durchaus zäh zu lesen sein, ohne dass man solche Warnhinweise für angebracht halten würde. Und dennoch: Dreimal hat der Rezensent über die Erklärungen von Gernhardts Witz durch Hoffmann-Monderkamp herzlich lachen müssen, weil diese so ganz anders waren als seine eigenen: Die "Deutung eines allegorischen Gemäldes" endet bekanntlich damit, dass der Sprecher, nachdem er vier der dargestellten Männer als Tod, Pest, Leid und Hass interpretiert hat, sich dem fünften zuwendet, der stumm Wein hereinbringt: "Das wird der Weinreinbringer sein". Der Rezensent zählte bisher immer deshalb dieses Gedicht zu den komischsten, weil der den Pokal tragende Mann offensichtlich für ein ähnliches Abstraktum stand, etwa das Opfer oder die Vergebung. Dass die Entschlüsselung der Allegorie hier nicht gelingt, und ausgerechnet die statt dessen angebotene Tautologie durch den Optativ abgeschwächt wird, erheiterte ihn. Hoffmann-Monderkamp aber lacht über die vorgebliche Naivität des Bildbetrachters, der die Randfigur des Weinreinbringers nicht von den Allegorien unterscheiden kann. Der Maler wird den Weinreinbringer wohl doch nur deshalb dazu gemalt haben, damit die vier wirklichen Allegorien was zu trinken bekommen.

Der anmaßende Dichter im gleichnamigen Gedicht hält sich für bedeutender als Reinhard Lettau: "Unter ,ich' kann ich mir etwas vorstellen./ Unter ,mir' kann ich mir allerdings schon weniger/ vorstellen, außer, natürlich, Reinhard Lettau." Darin sah der Rezensent immer einen Witz nach dem Schema "Was stellst du dir unter einer Brücke vor? - Einen Dampfer", wie ihn Gernhardt in "Die Toscana-Therapie" verewigt hat. Hoffmann-Monderkamp erblickt dagegen eine "rätselhafte Gleichsetzung des Pronomens ,mir' mit Reinhard Lettau", die eine Rückführung des Dichters auf den Namen selbst beinhalte. Der Dichter sei nicht anmaßend, sondern ratlos. Falls diese feinsinnige Interpretation zutrifft, scheint der anmaßende Dichter zunächst ein anderer als Lettau und dann doch Lettau selber geworden zu sein - fürwahr rätselhaft.

Das Gedicht "Lustiger Dichter" "entzitzelt" sich "grollgleich" und "muff", um in einer Beschimpfung auf den Leser zu enden, denn "der pflegt ja bei Gedichten/ eh auf Sonn und Firm zu zichten". In den letzten beiden Substantiva sah der Rezensent bislang Verballhornungen von "Sinn" und "Form", wurde aber auch insoweit von Hoffmann-Monderkamp eines Besseren belehrt: "Sonne" und "Firmament" seien gemeint, und daher finde sich in diesem Schluss der einzige wirkliche Nonsens in einem scheinbaren Nonsens-Gedicht. Eine faszinierende These. Aber wäre es dann nicht noch nonsenshafter und damit effektvoller, wenn man die beiden Wörter ganz anders interpretierte, nämlich als (Fritz) Senn und Farm?

Kaum ein Buch ist völlig fehlerfrei. So erscheint es entschuldbar, wenn das Todesdatum von Gernhardts erster Frau Almut mit 1986 statt richtig mit 1989 angegeben wird. Die Nennung von F. W. Bernstein als Ko-Autor von "Die Blusen des Böhmen", die durchgehende Schreibweise von "Ich, Ich, Ich" statt richtig "Ich Ich Ich" und die Behauptung, die immer parallel betriebene "ernste Malerei" trete bei Gernhardt vor allem ab den 1990er Jahren noch stärker in den Vordergrund, lassen die Arbeit schon fragwürdig erscheinen.

Dass trotz allem Hoffmanns-Monderkamps Untersuchung lesenswert ist, liegt nicht nur an ihrem Gegenstand. Sie entdeckt viel, und wo sie nicht recht fündig wird, regt sie allemal dazu an, noch gründlicher zu suchen.

Titelbild

Kerstin Hoffmann-Monderkamp: Komik und Nonsens im lyrischen Werk Robert Gernhardts. Annäherungen an eine Theorie der literarischen Hochkomik.
Books on Demand, Hamburg 2001.
244 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3831124019

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