Deutsches Gruselkabinett

Georg Klein legt einen fulminanten Erzählband vor

Von Thomas KraftRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Kraft

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Georg Klein erzählt in seinem jüngsten Buch "Von den Deutschen" als Riesen, Recken und Wichten, stellt diesem Panoptikum das schöne Motto von Jean Paul "Nationalkarakter ist Manier" voran - und sein Verlag lässt auf dem Buchumschlag noch einen Regenbogen auf düsterem Grund aus der Feder von Caspar David Friedrich leuchten. Dieser Autor hat wahrlich Humor. Ihm eigen ist ein Faible für das abgründig Komische, für das virtuose Spiel mit den Giftschränken unserer Identität, für die latent explosive Mischung (trivialer) Mythen mit kulturkritischem Gedankengut. Sein hoher Anspruch an den sorgfältigen Umgang mit der Sprache stößt seit seinem furiosen Debütroman "Libidissi" (1998) auf große Gegenliebe bei der Kritik. Das Stoffliche ordnet sich in seinen Texten oft dem pathetischen, hohen Ton, dem unbedingten Gestaltungswillen, unter und verhindert vielleicht so den ganz großen Publikumserfolg. Dazu sind diese zwölf Erzählungen auch zu doppelbödig konstruiert, funkeln ihre Ironie und ihr geschichts- und motivgesättigter Fundus zu versteckt unter dem Dickicht an Irritationen und Absurditäten hervor. Diesen Autor reizt das Jonglieren mit Tabus, das Austesten von Ekelgrenzen, die Subversion vermeintlicher Sicherheiten. Klein ist nicht der Chronist der deutschen Nation, kein offizieller Geschichtsdeuter und -erzähler. Auch wenn in einer Erzählung Gerhard und Doris auftauchen und das offizielle Deutschland mehr parodieren als repräsentieren, sind es doch die unbekannten, oft schrägen Typen, die Klein zu Protagonisten seiner subtilen Mentalitätsstudie macht.

Seine Erzählungen spiegeln Erfahrungen von Menschen mit ihrem Deutschsein wider - und wo geht das besser als in fremdem Land? So treffen zum Beispiel aufgeklärte deutsche Kulturträger in Chicago auf einen hünenhaften Amateurübersetzer, der seit Jahrzehnten eine textkritische Übersetzung von "Mein Kampf" vorbereitet, um die Grundlage für "eine vernünftige Bekämpfung des Faschismus" zu liefern. Dazu trinkt man dann Kaffee aus von Albert Speer entworfenem Porzellan und klopft die Übersetzung auf ihren rhythmischen Klang ab. In einem anderen Fall geht eine amerikanische Investorin in Erfurt mit einem Jüngling ins Bett, der ihr eine alte Fachwerkruine verkaufen will, und lauscht dabei via Handy deutschen Heimatliedern, die ihr der Vater überspielt, ein ehemaliger deutscher U-Boot-Fahrer und Kriegsgefangener. Oder ein vermisster deutscher Soldat landet beim Einsatz im Balkankrieg auf der Couch einer alten Einheimischen, schaut im Fernsehen ein Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft an und scheut sich auch nicht, eine kratzbürstige Landestochter zur Frau zu nehmen. Daneben bevölkern noch Berliner Straßenmaler mit Afrikaerfahrung und Schrumpfkopf, ein Schmachtfetzen-Trio auf Weihnachtstournee, ein die soziale Symbiose verkörpernder Kakerlakenkönig, die Spiritistin Gertraud, eine Kanzlerbilder formende, aus Arbeitslosen bestehende Theatertruppe, der nachtzugreisende Kolumnist Onkel Jähner, ein Team von New Economy-Maniacs, diverse Neger, Verräter und "Hottentottenficker" dieses monströse Gruselkabinett, das deutsche Gefühle und Gedanken so schön fies und effektvoll zwischen den Zeilen durchsickern lässt.

Hinter diesem geheimnisvollen, nicht immer dechiffrierbaren Geflecht aus archaischen und zeitgenössischen Realitätspartikeln schimmert eine romantische Sehnsucht nach Versöhnung durch, ein um die Mysterien und Leiden, um den Verfall und die Barbarei wissender Blick, der, leicht verschoben, zwar keine Ursachen benennt, aber umso deutlicher fokussiert, welche Probleme unsere persönlichen und nationalen Existenzen drangsalieren.

Titelbild

Georg Klein: Von den Deutschen. Erzählungen.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2002.
192 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3498035134

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