Ausgrabungen an der Oberfläche

Detlev Bluhms Roman "Das Geheimnis des Hofnarren" ist nicht tiefgründig genug

Von Oliver JahnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Jahn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Folgt man Arno Schmidt, hatte sie einst Edgar Allan Poe für seinen "Arthur Gordon Pym" die Phantasie entzündet, James Fenimore Cooper zu einer Satire, den "Monikins", angeregt und Adalbert von Chamisso zu einigen prachtvoll gehärteten Terzinen geführt: Die "Insel Felsenburg" des Johann Gottfried Schnabel, zwischen 1731 und 1743 vierbändig erschienen - ihren heutigen Titel erhielt sie übrigens erst in der Bearbeitung von Ludwig Tieck -, diese "Insel" also ist es, der man damals eifrig hinterherschrieb und die sich jetzt auch der Berliner Autor und Kleinverleger Detlev Bluhm, bisher mit einer Kulturgeschichte des Tabaks hervorgetreten, als Taktgeber für seinen ersten Roman auf den Schreibtisch gestellt hat.

Wo seine großformatigen Vorgänger sich mit ihren Werken auf der thematischen Grundlage abenteuerlicher Südseefahrten bewegten, wird hier eine reichlich seltsame Buchausgabe jener "wunderliche(n) Fata einiger See-Fahrer" zum bibliographisch fixierten Ausgangspunkt eines recht flott erzählten Romans. Claudia Schuster, Tochter eines Berliner Antiquars und angehende Ethnologin, die mit ihrem Frühstückskaffee schon mal ein knuspriges Canetti-Zitat von den Lippen spült und in jungen Jahren als Mitherausgeberin einer ererbten Fachzeitschrift verblüfft, stößt in der wohldotierten Grunewaldbibliothek ihres Vaters Simon auf eine geheimnisvolle Unregelmäßigkeit in einer Felsenburg-Ausgabe von 1751. Offenbar ein Unikat, wie ein eher zufälliger Textvergleich verschiedener Exemplare derselben Auflage beweist.

Eilige Recherchen führen das Vater-Tochter-Gespann ins 18. Jahrhundert, hinein in den intrigenreichen Höflingskreis um Friedrich August II., Kurfürst von Sachsen. Die mit einem aufwendigen Exlibris ausgestattete Schnabel-Ausgabe stammt offenbar aus der umfangreichen Privatbibliothek von Johann Ernst Schneller, dem kurfürstlichen Hofnarren. In jener Zeit wußten die verbeamteten Spaßmacher Schellenkappe und kichernde Verrenkung längst auszutauschen gegen das hochgeschlossene Gewand und abgemessene Gebärdenspiel des einflußreichen und einflüsterungslustigen Beraters. Die Zeitläufte und eine delikate Spionageaffäre zwangen den reich gewordenen Schneller, sein beträchtliches Goldvermögen verschwinden zu lassen. Und ausgerechnet in seinen von Abenteuerlust angefüllten Schnabel ließ er auf kunstreiche Weise eine verschlüsselte Karte einbinden, mit der der Schatz hätte aufgefunden werden können. Aufschluß über die verstrickten politischen Zusammenhänge das fragmenthaft erhaltene Schnellersche Tagebuch, in dessen Besitz sich die beiden Schusters bringen können.

Wo zunächst ein knapper Luftstoß den Staub von einem der erklärten Lieblingsbücher Arno Schmidts herunterfegte, wird dem erwartungsvollen Leser ein Blick versprochen, hinweg über die lederne Schulter eines handlichen Kleinoktavbändchens und hinein in seitenknisternde Entdeckungsphantasien. Da bevölkern unversehens allerlei gar nicht papierne Gestalten die Szenerie: Ruhmsucht, beruflicher Ehrgeiz und Geldgier treiben etwa einen ambitionierten Staatssekretär, einen ebenso ambitionierten Juraprofessor, einen mordlustigen Antiquitätenhändler und eine doppelzüngige Literaturkritikerin (ausgerechnet!) auf eine stellenweise kolportagehaft aufgemotzte Schatzsuche.

Schnell verblasst die verheißungsvoll angeblätterte Welt des alten Buches, schnell verschütten Intrigen und Kabalen den spannenden Abstieg in die Geschichte mit eben jener feuchtschweren Erde, in der man nach den goldenen Reichtümern wühlt. Holzschnittartig bleiben da nicht nur die Bildbeigaben längst vergessener Drucke, sondern leider auch die einseitig (im wahrsten Sinne) gestrichelten Figuren. Wer sich daran nicht weiter stört, erhält ein nettes Büchlein für den faulen Sonntagnachmittag, unterhaltsam an der Oberfläche und tiefgründig allein jene paar Meter, die man sich drei prall gefüllten Holzkisten entgegengräbt.

Umberto Eco, Antonia S. Byatt, Klaas Huizing vielleicht, auch Luis Buss, Ross King oder Arturo Perez-Reverte haben es da doch besser vorgemacht und mit ihren gediegenen Schmökern ein regelrechtes Genre des "Buchbuches" plaziert. Um den manchmal aufschlußreichen Gegensatz von Buch und Welt, um den erschließenden, manchmal verschließenden Wirklichkeitszugriff der Lektüre, wie er von Cervantes bis Borges vorgeführt worden ist, geht es hier aber nicht, das Buch selbst bringt nur die Handlung in Gang, dann hat die Welt sie alle wieder.

Titelbild

Detlev Bluhm: Das Geheimnis des Hofnarren. Roman.
Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1999.
320 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3378006234

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