Ein lustiger, ein entsetzlicher, ein trostreicher Kosmos

Neue Kurzprosa von Eugen Egner

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine befremdliche Welt tut sich auf: In ihr gibt es eine sprechende Pilzsuppe, ein "Heim für herrenlose Fläschchen", eine "Partei der Partiell Schwachsinnigen" und, als einzige Konditorei, den "Dreckbäcker", bei dem der Kunde König ist, "ganz im Sinne der Französischen Revolution". Ein "Patriarch" entwickelt immer neue vorbereitende Riten zur "Durchführung des Luftraums", die noch niemand sich vorstellen kann, aber bereits in "die Starkdurchführung", "die Komplettdurchführung", "die Totaldurchführung" und "die systematische Durchführung" rubriziert ist.

Ein Unsinn? So kann man es lesen und seine Freude haben an der Vielzahl skurril wirkender Einfälle, die auf knapp 160 Seiten zusammengedrängt sind. Nirgends unterläuft Egner ein protziges Seht-her-wie-lustig-ich-bin; ganz vereinzelt nur finden sich störende Vulgarismen. Fast durchgehend erzielt er seine Wirkung durch eine betont distanzierte Erzählweise, teilweise bewusst altertümelnd: Einen zusätzlichen Reiz vermögen diejenigen Leser den Texten abzugewinnen, die auch Egners Bilder kennen, in denen schon nostalgisch wirkende Gegenstände aus der Frühzeit der Industrialisierung eine besondere Rolle spielen. Doch lässt sich das Buch auch ohne diesen Hintergrund genießen. Ohnehin ist die Bedeutung des Visuellen beim Schriftsteller Egner verglichen mit früheren Werken, etwa dem Roman "Der Universums-Stulp", zurückgetreten, kommen die Besonderheiten der Künste deutlicher zur Geltung.

Der Unsinn hat nun allerdings Methode, und hier eröffnet sich eine zweite, beunruhigendere Dimension der Texte. Egner ist nicht nur der "Meister der komisch-phantastischen Kurzgeschichte", als den ihn der Schutzumschlag zu Recht preist. Jede der gut vierzig Miniaturen entfaltet ihre eigene Logik, und es ist nur schwer einzusehen, weshalb diese Logik dümmer sein soll als jene, nach der die als normal angesehene Welt funktioniert. Untereinander sind diese Texte wohl mehr verknüpft als die in früheren Prosasammlungen Egners: als zusätzliches Vergnügen für den aufmerksamen Leser oder für den, der das Buch zum zweiten oder dritten Mal zur Hand nimmt. Doch entsteht auf diese Weise auch eine Welt, aus der schwer zu entkommen ist.

Am einfachsten lässt sich das an den Personen aufweisen, die mehrfach auftreten: der alternde, von seiner Familie misshandelte Schenkel, der mit den Restaurierungskosten seiner im Vollrausch erworbenen gotischen Kathedrale kämpft; sein Lehrer, der weltberühmte Professor Blum von der Universität Rinteln, der zuletzt völlig senil nicht einmal mehr die eigenen Schüler erkennt. Immer wieder erscheint 341,2 und demonstriert seine komplette lebenspraktische Unfähigkeit; sogar das Treffen der "Partei der Partiell Schwachsinnigen" findet er nicht.

Völlig derangiert ist das Erzähler-Ich. Die Handlung muss den Autor erst suchen und trifft ihn "beim Können von gar nichts an. Er konnte keinen zusammenhängenden Satz sprechen, nichts denken, rechts nicht von links unterscheiden und nichts mit den Händen festhalten. Nichts. Er konnte nicht einmal richtig sterben." Nichts Erfreulicheres weiß der Abschnitt "Herkunft und frühes Werden" zu berichten; nachdem "In der Ausbildung" wenigstens der gefürchtete Ausbilder ums Leben kam, bringt das Ich es zwar sogar zu einem Roman. Nach Verlagswirren, Manuskriptverlusten und jahrelanger Wartezeit kann jedoch nur eine Neudichtung nach einer Übertragung aus dem Englischen nach einer spanischen Übersetzung erscheinen, an der nichts dem Ich auch nur entfernt bekannt vorkommt. Das Werk "Die Protagonisten" bricht ab, nachdem sich jene Protagonisten als rundherum untauglich erwiesen haben. Bilder aus früheren Jahren, auf dem Dachboden aufgestellt, "waren noch viel schlimmer geworden, zu entsetzlichsten Auswüchsen von Säuferwahn hatten sie sich entwickelt." Am hoffnungsvollsten lässt sich noch der Auftrag an, einen neuen Nationaltanz zu entwickeln, denn mit Tanzen hat das Ich überhaupt nichts im Sinn: "Aus tiefstem Desinteresse heraus sind noch stets die größten kulturellen Leistungen unseres Volkes erbracht worden." Derart allein gelassen, stockt die Handlung, wird sie unter Aufsicht des Patriarchen notdürftig repariert, feiert allzu heftig in einer Bar, stürzt vom Hocker und bricht sich das Genick.

Der Rausch, der früher bei Egner auch Wahrnehmungsräume eröffnete, ist nun das Ende. Getrunken wird in diesem Buch exzessiv; zuweilen fröhlich wie von den "dreiunddreißig akut betrunkenen" Bargästen, die dem Tod der Handlung beiwohnen, häufiger aber in trauriger Lebensabends-Nostalgie, wie sie die "Altherrenabende bei Schenkel", dem geprellten Kathedralenbesitzer, auszeichnet. Immerhin, im Glockenstuhl wird die Konferenz von Jalta nachgespielt: "Ausgelassen leerten wir Flaschen und Schüsseln, teilten Deutschland in vierzig Zonen auf und dachten uns Schikanen aus. Wir wurden schöner mit jedem Schluck. Reihum durfte sogar jeder einmal Stalin sein, musste sich hinterher aber gründlich die Hände waschen." Doch schlägt der nächste Ausflug, nach Rinteln, fehl: "Spät am Abend saßen wir Ex-Studenten dann ohne unseren alten Professor in einem armenischen Restaurant herum, Stunde um Stunde auf das Essen wartend. Gesprochen wurde von Krankheiten, Alter, Tod und Geldsorgen. Zwischendurch schlugen wir einander mit den Speisekarten."

Wo frühere Figuren Egners sich mit der ihnen damals schon nur bedingt durchschaubaren Welt pragmatisch zu arrangieren wussten, handeln sie jetzt, bei aller Ereignis- und Ideendichte, nur noch reaktiv. Aus den burlesken Logiken schält sich als adäquater Umgang eine Poetik der Verlangsamung heraus, die auf den ersten Blick kaum zu erkennen ist. Auf den sozialen Gehalt gebracht: Die bescheidenen Hoffnungen auf alternative Lebensläufe mit ihrer Durchwurschtelei sind aufgebraucht. Von ihnen blieb nur die propagandistische Schwundform, die Ich-AG, an die ihre Vertreter selbst nicht glauben. Kehrseite ist das gesellschaftliche Trümmerfeld, durch das sich Egners Protagonisten bewegen. Dort findet sich nichts von der munteren Flexibilität, die Modesoziologen allenthalben auszumachen glauben. Restbestände einer mittlerweile urzeitlich wirkenden Technik, autoritäre Strukturen wie aus der Adenauer-Zeit prägen das Bild.

Gleichzeitig aber gibt es Fürsorge. Kaum jemand geht in Egners Welt ganz verloren. Das Ich ebenso wie 341,2 trifft stets auf Menschen, die das Schlimmste verhindern. Fluchtpunkt sind Gelegenheiten wie die "Altherrenabende bei Schenkel", denn sie "halfen uns, unsere unerträgliche Existenz zu ertragen". Das Überstehen, kleine Freuden, mehr bleibt nicht.

Ein komisches Buch also, das zuletzt tiefernst ist. Der Band ist nur im Versand oder in den Läden von Zweitausendeins erhältlich, schön gestaltet und mit zahlreichen Zeichnungen des Verfassers geschmückt; zudem liegt eine handsignierte Graphik Egners bei.

Titelbild

Eugen Egner: Die Durchführung des Luftraums.
Zweitausendeins, Frankfurt 2002.
159 Seiten, 12,75 EUR.
ISBN-10: 3861504510

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