Wenn eine Sehnsucht zu Ende geht

Karen Duve erzählt die Geschichte einer einsamen Liebe

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einmal mehr beweist die Autorin Karen Duve ihr Talent für einen Stil, der absurde Situationen und Erlebnisse zu lakonischen Betrachtungen eines normalen Alltags werden lässt. Gleichzeitig greift sie in ihrem neuen Roman "Dies ist kein Liebeslied" Teile einer Figur wieder auf, die erstmals in der Titelgeschichte "Keine Ahnung" des gleichnamigen ersten Erzählbandes aufgetaucht war. Hier nun heißt sie Anne, sitzt im Flugzeug nach London und wiegt über 100 Kilo. Wie sie zu diesem Gewicht kam und was sie dazu bewogen hat, ihrer einzigen Liebe Peter Hemstedt hinterherzufliegen, erzählt die Protagonistin in langen Rückblenden auf Kindheit und Jugend in Hamburg. Wir erfahren von den familiären Verhältnissen, der zickigen älteren Schwester, dem nervenden kleinen Bruder, die Oma geht später ins Heim, die Mutter existiert nur als Arbeitstier, der Vater ist genervt und will seine Ruhe. Das Übliche, denken nun viele Leser, doch die Perspektive der depressiven Pubertierenden ist getragen von amüsierenden Assoziationen und Anmerkungen. Im Mittelpunkt stehen Jungs, denn schließlich handelt der Roman von der heterosexuellen Liebe - bzw. dem, was pubertierende Jugendliche inmitten von Alkohol, Tabletten, Drogen und Musik dafür halten.

Anne, großgewachsen und immer wieder mit vermeintlichem Übergewicht kämpfend (bis hin zu Ess-Störungen), lässt sich oft küssen, um anerkannt zu werden auf diesem Parkett der sprießenden Eitelkeiten. Sie tut es, um auf Partys eingeladen zu werden und für das Gefühl, dazu zu gehören. Außer Küssen und ein bisschen Fummeln kann sie mit dem anderen Geschlecht nicht viel anfangen. So sitzt sie oft in Jungenzimmern herum und langweilt sich. Mit jedem neuen Freund wechselt auch die Musik. Anne sammelt die jeweils von den Jungs aufgenommenen Cassetten, ein Sammelsurium der Musik der späten 70er und 80er Jahre.

Diese Belanglosigkeiten nehmen ein Ende, als Peter Hemstedt auftaucht. In ihn verliebt sich Anne fast sofort, reduziert ein weiteres Mal mit Hilfe von Tabletten ihr Gewicht. Doch die Annäherung gelingt nicht, Peter will nur wenig mit ihr zu tun haben.

Nach dem Abitur ist Anne genau so ratlos wie vorher. Sie arbeitet als Taxifahrerin und wohnt bei ihrer Schwester, später dann mit einem Freund zusammen. Musik, ihre Liebe zu Peter Hemstedt und die Kontrolle ihres Gewichts bestimmen mal mehr, mal weniger ihr Leben. Jahre später, nach Therapie und Gruppenworkshops, unbefriedigenden Begegnungen mit ihrer Liebe Hemstedt und um einige Illusionen ärmer, bucht sie den Flug nach London. Ihr Plan: Sie hat sich für die Zeit des Aufenthaltes bei Peter Hemstedt einquartiert, der nichts gegen ihren Besuch einzuwenden hat. Anne will es nun endlich wissen und die Sache mit ihrem Liebesgefühl für diesen unglaublich gut aussehenden, sportlichen, schlanken Karrieremann klären.

Der Titel verweist auf einen Song aus den 80ern ("This is not a love song") und darauf, dass es in dem Roman nicht um die illusionsreiche Rosa-Wolken-Sache geht, sondern um die Lakonie der frühen Erfahrungen, das Übliche der ersten sexuellen Begegnungen. Dabei geht der Erzählton deutlich über das Übliche hinaus, die Liebes-Biografie von Anne ist unterhaltsam und bringt ein großes Lesevergnügen. Auch wenn einige Themen manchen Kritikern überstrapaziert scheinen, haben sie doch sehr viel mit dem Alltag junger Frauen zu tun. Karen Duve plaziert diese Dinge wie beiläufig in die Handlung, ohne sie überzubetonen.

Wer die Erzählungen der Hamburger Autorin kennt, weiss, dass sie auch andere Stile beherrscht (wie z. B. in "Im tiefen Schnee ein stilles Heim"), doch das vorliegende Buch profitiert in Thema, Darstellung und Ausführung von der nüchtern anmutenden Schilderung und den leisen Zwischentönen. Auch wenn das Leiden der Figur nicht aufgehoben wird, so dass auch von einer Leidensbiografie der Liebe gesprochen werden könnte, bleibt der Roman unterhaltsam. Darin liegt eindeutig eine Stärke der Autorin, wie sie sich auch schon im 1999 erschienenen "Regenroman" zeigte. Auch wenn sie im neuen Roman etwas bescheidener auftritt.

Titelbild

Karen Duve: Dies ist kein Liebeslied. Roman.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
281 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3821806834

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch