Doktoranden müssen verrückt sein

Helga Knigge-Illners Promotionsratgeber über den steinigen und harten Weg zum Doktortitel

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Denn sie wissen nicht, was sie tun. Dieses Motto kann offenbar für viele der Enthusiasten gelten, die sich nach erfolgreichem Abschluss des Studiums sogleich in eine Promotion stürzen. Sehr diffuse Motive macht Helga Knigge-Illner, die an der Freien Universität Berlin als Psychologische Beraterin für Doktoranden zuständig ist, für den Entschluss zu promovieren aus. Der Glanz des akademischen Titels ist dabei beileibe nicht das wesentlichste. Die Hoffnung auf eine wissenschaftliche Karriere wäre schon eher zu nennen. Aber auch die willkommene Möglichkeit, das vertraute Studentenleben weiterzuführen und den Ernst des Berufslebens noch etwas hinauszuschieben, kann mitunter eine Rolle spielen. Selten sei es eine ganz bestimmte wissenschaftliche Frage, die den Forschungsdrang weckte, viel eher jedoch die Lust sich zu spezialisieren, wissenschaftlich zu arbeiten und das eigene Wissen zu vertiefen, eben die intellektuelle Herausforderung.

Ganz egal, welches Motiv jedoch ausschlaggebend ist, die Entscheidung für eine Promotion hat weitreichende Konsequenzen. Die Dissertation wird mehrere Jahre das Leben des Doktoranden völlig bestimmen. Die emotionale Achterbahnfahrt, Frust und Freude durch die wissenschaftliche Arbeit sind programmiert. Die berufliche Ungewissheit, während Altersgenossen Familien gründen und sich gesellschaftlich etablieren, kann dabei äußerst belastend sein. "Überspitzt formuliert könnte man folgern: Doktoranden müssen verrückt sein, wenn sie sich auf eine solche Lebenssituation einlassen", zieht Helga Knigge-Illner denn auch - nach einem ersten Überblick über die Arbeits- und Lebenssituation von Doktoranden - Bilanz.

Ratgeber zu "Strategien für die erfolgreiche Promotion" (so der Untertitel) gibt es viele, und, was die präsentierten Strategien im einzelnen angeht, sicherlich auch interessantere als diesen. Das besondere Verdienst dieses Ratgebers liegt darin, einen nüchternen, nichts beschönigenden Blick auf die Probleme seiner Klientel zu werfen. Der Weg zum Doktortitel ist steinig und hart. Helga Knigge-Illner weiß das aus eigener Erfahrung. Und so begründet die Autorin auch gleich zu Beginn ihre eigene Schreibmotivation mit den Worten: "Ich habe mir damals geschworen, darüber zu schreiben, denn ich wollte der Öffentlichkeit bewusst machen, unter welchem Stress man in dieser Phase steht und wie sehr man sich abquält. Manchmal schmiedete ich Weltverbesserungspläne darüber, dass das Promotionsverfahren eigentlich grundlegend umstrukturiert und neu gestaltet werden müsste." Einer Reform bedarf das Promotionsverfahren noch immer. Doch hier sind andere zuständig. Helga Knigge-Illner ist inzwischen Expertin für die psychologischen und organisatorischen Fragen - es war somit höchste Zeit, dass sie ihren Vorsatz, ein Buch zu schreiben, auch in die Tat umsetzte.

Was aber ist nun genau so qualvoll an der Doktoranden-Existenz? Da kommt der Psychologin zufolge einiges zusammen. Letztendlich fühlt man sich wie Sisyphos: Man liest und arbeitet, sortiert und exzerpiert Berge von Primär- und Sekundärliteratur, aber bevor die ersten Zeilen zu Papier gebracht sind, bevor gar endlich das Ergebnis präsentiert werden kann, vergehen Jahre. Das kann an den Nerven zehren. So erweist sich die Dissertation oft weniger als intellektuelles Problem, sondern stellt in erster Linie eine gewaltige Energie-, Motivations- und Organisationsaufgabe dar. Kein Wunder, dass nicht wenige Promotionsvorhaben irgendwann abgebrochen werden. Als besonders belastend erweist sich dabei die Arbeitssituation des "einsamen Einzelkämpfers am Schreibtisch" oder auch "der Mangel an Kommunikation und Betreuung", denn auch das Verhältnis zum Betreuer ist häufig nicht ungetrübt.

Immer wieder, so ist der Eindruck, erweisen sich vermeintliche Vorteile des Promovierens als zweischneidig: Die Kehrseite der verlockenden Freiheit, sich seine Zeit selbst einzuteilen und die eigenen wissenschaftlichen Interessen zu verwirklichen ist, dass dies den Freundes- und Bekanntenkreis in der Regel kaum tangiert.

Sicherlich sind die von destruktiven Selbstzweifeln bis hin zu schweren Identitätskrisen geplagten Einzelkämpfer mitunter auch selbst schuld an ihrer Isolation: "Die Doktoranden vergraben sich völlig in ihrer Arbeit und bringen kaum noch die Zeit auf, bestehende Beziehungen zu pflegen, geschweige denn neue anzuknüpfen. Für ihre Partner und Freunde ist es oft frustrierend, wenn sie viel mehr Verständnis und moralische Unterstützung aufbringen sollen, als sie selbst zurückbekommen. Darunter leidet auf Dauer jede Beziehung." Der Rückzug ins stille Kämmerlein diene dabei aber oft auch dem eigenen Schutz: "Man verhindert auf diese Weise, dass andere in der Frühphase der Arbeit deren Schwächen erkennen und kritisieren." Je weiter dann die Arbeit voranschreitet, um so stärker erkennt der Verfasser ihre - scheinbaren - Mängel. Der übertrieben hohe eigene Anspruch ist in diesem Fall nicht selten das eigentliche Problem, ständiges Überarbeiten oder Hinauszögern der Abgabe kann die Folge sein.

Helga Knigge-Illner bietet zahlreiche Beobachtungen aus ihren Gesprächen mit Betroffenen. Nicht nur ihr pragmatischer Hinweis auf die sozial und beruflich auf Dauer schwierige Situation ist wichtig. Denn eine Promotion ist in der Regel auch eine Entscheidung für einen Lebensstandard nur wenig oberhalb der Sozialhilfegrenze. Stipendien, Gelegenheitsjobs, Assistentenstellen - in jedem Fall gibt es Vor- und Nachteile, deren man sich bewusst sein sollte. Ebenso wie der Faktor Zeit nicht völlig außer Acht gelassen werden darf. Gerade zu diesem stellt die Psychologin bei vielen Nachwuchswissenschaftlern ein "recht merkwürdiges Verhältnis" fest: "Sie scheinen unbegrenzt viel Zeit für ihre Doktorarbeit zu haben oder mit ihr wie in einem zeitlosen Raum zu leben. Zeit scheint einfach keine Kategorie zu sein - Zeitökonomie ebenso wenig." Hier kann es nach etlichen Jahren der Promotion (und womöglich ohne zeitgleiche Praktika oder Berufspraxis) unter Umständen ein böses Erwachen geben. Schließlich wartet am Ende - gerade in den Geisteswissenschaften - nicht automatisch eine Eintrittskarte in eine berufliche oder wissenschaftliche Karriere.

Der ersten Zielgruppe des Ratgebers, nämlich denjenigen, die über eine Promotion nachdenken, raubt die Lektüre deshalb nicht wenige Illusionen. Gerade sie sollen ungeschminkt erfahren, was auf sie zukommt. Zugleich bietet Knigge-Illner zahlreiche Ratschläge, wie man Problemen im Einzelnen begegnen und bereits bei der Planung zielstrebig vorgehen kann. Begeisterung für das Thema reicht nicht: Die Doktorarbeit ist ein Mammut-Projekt, das gemanagt werden will. Inwieweit der Einzelne bei Schreibblockaden dann auf Knigge-Illners Vorschläge von Mind-Mapping bis zum Wechsel der Schreib-Umgebung zurückgreifen will, ist sicherlich individuell verschieden. Nicht alles, was die Autorin hier anbietet, überzeugt, auch wenn sie, wie um der Skepsis des Lesers zuvorzukommen, bei besonders gewöhnungsbedürftigen Vorschlägen auf die tollen praktischen Erfahrungen in ihren Workshops hinweist.

Der zweiten Zielgruppe, also denjenigen, die sich gerade mitten in der Promotion befinden und deren anfänglicher Enthusiasmus längst der nüchternen Realität gewichen ist, soll das Buch schließlich helfen, diese Phase zu überwinden. Es sei doch tröstlich, einmal zu lesen, dass der Großteil der Probleme ganz normal sei.

Titelbild

Helga Knigge-Illner: Der Weg zum Doktortitel. Strategien für die erfolgreiche Promotion.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
204 Seiten, 16,40 EUR.
ISBN-10: 3593368110

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