Gender Outlaws allüberall

Die Ethnologin Susanne Schröter untersucht Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Überall ist es besser, wo wir nicht sind", klagte Ende der 80er Jahre ein Film von Michael Klier. Nun, das mag dahingestellt bleiben. Soviel jedoch ist sicher: Das Paradies ist immer woanders. Daher könnte es auch für sexuelle Minderheiten und Transgender-Personen in den Metropolen der Westlichen Welt nahe liegen, die Verwirklichung ihrer Utopien in weit entfernten Gender-Paradiesen zu vermuten. Bei den indischen Hijras oder den Travestis in Brasilien etwa, vielleicht auch bei den Xanith Omans oder den weiblichen Ehemännern bestimmter Regionen Afrikas. Genau hiervor warnt allerdings die Frankfurter Ethnologin Susanne Schröter in ihrer Untersuchung "über Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern". Mit der "Konstruktion mythischer Orte" in fernen Ländern laufe man nicht nur Gefahr, einer "erneuten Exotisierung" der "Anderen" zu erliegen, und sie als "Refugien eigener Träume" zu funktionalisieren, sondern verkenne zudem, dass "gender outlaws" nicht nur in Europa und den USA von Diskriminierung und "sozialem Ausschluss" bedroht sind, sondern in anderen Gesellschaften auch. Denn tatsächlich werde die binäre Geschlechterkonzeption nirgendwo durch die Existenz "alternativer Geschlechterrollen" negiert. Vielmehr erfolge deren Integration in die jeweils "hegemoniale Kultur" oft mit der expliziten Absicht, eine "restriktive Geschlechterordnung" zu festigen. So etwa auch bei den Xanith. Wer sich der herrschenden Norm verweigert, steht unter Rechtfertigungsdruck und wird Ablehnung und Verletzungen erfahren. Das ist in Indien oder Brasilien nicht anders als in Europa oder den USA. Eine "allgemeine Akzeptanz unterschiedlicher Geschlechtsidentitäten" und eine "wirklich freie Wahl für die Individuen" gibt es Schröter zufolge weder hier noch anderswo.

Eine sicherlich zutreffende Behauptung, die allerdings implizit die nicht gerade unbeträchtlichen qualitativen und quantitativen Unterschiede sexueller Restriktion und Repression in verschiedenen Gesellschaften nivelliert. Man denke nur an den heterosexualistischen Terror, dem Homosexuelle in den meisten islamischen Länden ausgesetzt sind, um zu sehen, dass die Repression in den westlichen Ländern durchaus nicht am schlimmsten wütet.

Bevor sich die Autorin jedoch den Grenzverläufen zwischen den Geschlechtern in nichtwestlichen Gesellschaften zuwendet, zeichnet sie "das Erscheinen des modernen Geschlechts in Europa" sowie die Entwicklung des Feminismus seit den 60er Jahren nach und beleuchtet schließlich die These vom Ende der Kategorie Geschlecht. Eine Kategorie, die ebenso merkwürdig wie unsicher sei, mit "oszillierenden Grenzen" und beständig verwischenden Rändern. Zwar ist die Autorin der Auffassung, dass die theoretische Differenzierung zwischen Sex und Gender "mit mancher Konfusion behaftet" ist, doch angesichts westlicher Subkulturen und nicht zuletzt unter historischen und kulturvergleichenden Gesichtpunkten erscheint ihr die "Beschwörung von 'Natürlichkeit'" absurd. Die "körperliche Verortung" von Geschlecht möge noch so "verlockend" sein, sie habe dennoch "einige Tücken" und lasse sich nicht stringent durchhalten.

Schröter verfolgt ein dreifaches Anliegen: Zunächst nähert sie sich phänomenologisch den verschiedenen Formen von sozialen, erotischen und physiologischen Geschlechterrollenüberschreitungen, sodann eruiert sie, welchen "Gewinn" der Feminismus, aus der "Hinwendung zum sozialen Konstruktivismus postmoderner Spielart" erwarten kann, und schließlich erörtert sie, ob sich die vom postmodernen Diskurs "suggeriert[e]" "Nichtexistenz des Zweigeschlechtermodells" ethnologisch belegen lässt.

Dieses letzte Unternehmen fällt nicht immer so überzeugend aus wie etwa ihre Kritik der Utopisierung des Fremden. So verkennt Schröter schon, dass der "Postmodernismus" durchaus nicht die Existenz des Zweigeschlechtermodells leugnet, sondern dessen Dekonstruktion betreibt. Besondere Schwierigkeiten bereitet ihr jedoch die Auseinandersetzung mit den in "Elfenbeintürmen" geschaffenen "ideologische[n] Konstruktionen" der von ihr als Literaturwissenschaftlerin vorgestellten Philosophin Judith Butler, der sie wiederholt vorwirft, unter Feministinnen "Verwirrung gestiftet" zu haben. Was Schröter selbst betrifft, scheint der Vorwurf durchaus zuzutreffen, ist sie doch der Meinung, es sei Butlers Absicht, "Polarität innerhalb der feministischen Debatte selbst zu erschaffen". Zudem betreibe Butler die "Eliminierung des weiblichen Körpers", womit Schröter einen altbekannten Vorwurf in einer neuen, an Frauenmord erinnernden Diktion formuliert.

Angesichts der "diskursive[n] Bodenlosigkeit" der "im Uferlosen angekommen Debatte" um Butlers Thesen propagiert Schröter "die erneute Hinwendung zur Frau als Subjekt des Feminismus" und fordert "das Augenmerk wieder auf die sozialen Verhältnisse zu richten", da diese das Leben "weitaus stärker determinieren" als die "Feinheiten ideologischer Konstruktionen". Nachdem Schröter - mit Ausnahme von Sabine Hark - ausschließlich Stellungnahmen von Butler-Kritikerinnen um 1990 zitiert hat, lässt sie die Debatte mit dem Jahre 1993 abbrechen und ignoriert so die bis heute anhaltenden fruchtbaren - durchaus auch kritischen - Anknüpfungen an Judith Butler.

Schröters Abriss der Geschichte der 2. Frauenbewegung ist ebenfalls nicht immer ganz korrekt. So berichtet sie ihren LeserInnen etwa, auf der 23. Delegiertenkonferenz des SDS habe eine "Aktivistin", die "Führer der Organisation" mit Tomaten beworfen, nachdem sie eine "Kampfrede gegen patriarchalische Strukturen in den studentischen Reihen" gehalten habe. Tatsächlich handelt es sich um zwei verschiedene Personen: Nachdem die Genossen eine von Helge Sander gehaltene Rede ignoriert hatten, warf Sigrid Rüger Tomaten in Richtung Podium und traf Hans-Jürgen Krahl.

Schröters Kritik richtet sich jedoch nicht nur gegen Butler. Auch die historischen Untersuchungen von Claudia Honegger und Thomas Laqueur werden kritisiert und als "lebhafte Spekulationen" abqualifiziert. Laqueur wird gar vorgeworfen, das Archiv-Material "mit der Gewalt einer wissenschaftlichen Überzeugung zurechtzubiegen", womit Schröter ihn umstandslos in die Nähe wissenschaftlicher Unredlichkeit rückt. Wenn sie darüber hinaus nicht nur konstatiert, dass das binäre Geschlechtermodell in allen Gesellschaften dominiere, sondern sie den "durch die moderne Wissenschaften begründete Dualismus" als das "stringenteste Geschlechtermodell der Geschichte" lobt, so übersieht sie zudem, dass die "moderne Wissenschaft" seit einiger Zeit von eben diesem Modell abzurücken beginnt.

"Woanders ist es nie besser, nur eben anders", sinniert Vera in einem Roman von Sibylle Berg. Das mag zwar auch nicht ganz richtig sein, klingt aber immerhin plausibler als die Klage im eingangs zitierten Filmtitel, die sich auch als Versprechen lesen lässt. Doch was kann das heißen? "Hier gibt es noch viel zu tun," sagt Susanne Schröter. Und zumindest da hat sie recht.


Titelbild

Susanne Schröter: FeMale. Über Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
255 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-10: 3596157161

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