Was bedeutet Einsamkeit?

In Klimas Buch „Liebesgespräche“ findet man die Liebe nur außerhalb der Ehe

Von Tom ThieleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tom Thiele

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Warum die Ehe? „Vielleicht damit ich zu jemandem sagen kann: Draußen regnet es, wenn ich bei so einem Unwetter nach Hause komme“, so erklärt der Richter Martin seiner 20 Jahre jüngeren Freundin, einer Geigerin, warum er bei seiner Frau bleibt, obwohl er diese schon lange nicht mehr liebt.
Die 26-Jährige Marie Anna Pavel hingegen entschließt sich ihren Mann zu verlassen, um mit einem alten Mann auf Krücken zusammenzuleben. Sie kennt das Risiko und weiß, dass das Gericht ihren Sohn wahrscheinlich dem Ehemann zusprechen wird, dennoch entschließt sie sich zu diesem Schritt. „Als bedeuten nicht einige Monate der Liebe mehr als ein ganzes Leben ohne sie.“
In Ivan Klimas neuem Buch „Liebesgespräche“ dreht sich alles um die Liebe, und deshalb auch um den Tod. Eine schöne junge Frau, die Tochter des stadtbekannten Arztes, verliert in einem Jahr ihren Ehemann, ihre Mutter, ihren Vater und ihren kleinen Sohn. Mit dem Mann, der ihren Sohn überfahren hat, verlässt sie die Stadt. Ihr Verhalten stößt bei den Bewohnern auf Unverständnis, „nur wenige bedachten, dass ein solch tragischer Tod Hass auslösen kann, aber auch Vergebung und schließlich sogar Liebe. Tod und Liebe sind einander näher als es manchmal scheint.“
Die verschiedenen Erzählungen des Buches sind eingeteilt in „sonderbare“, „geheimnisvolle“, „unsentimentale“ und „sentimentale Geschichten“. Trotz dieser Untergliederung klingen aus den Geschichten dieselben Fragen heraus: Gibt es die Liebe? Wenn ja, was ist sie? Was bedeutet Einsamkeit? Ist der Millionär einsam, dessen Familie ihn am Sterbebett nicht besucht und dessen Vermögen versehentlich in Socken verpackt auf einer Müllhalde landet, oder ist es Jolana, die mit einem Fahrlehrer fremdgeht und sich nach der Trennung von ihrem Mann nicht mehr traut zum Geliebten zu gehen, weil sie Angst davor hat, dass er sie nicht wirklich liebt? Oder sind es gar alle Figuren in Klimas Erzählungen, selbst die, in denen sich die Paare immer wieder ihre Liebe versichern?
Klima hat in seinen Erzählungen oft den Dialog als Darstellungsweise gewählt. Die Gespräche, die durch Wiederholungen geprägt sind und in denen sich die Paare immer wieder ihre Liebe und Sehnsucht versichern, wirken oft pathetisch, was die Lektüre anstrengend macht. Diese Überspitzungen machen aber auch die Angst des Verlassenwerdens deutlich, und die traurige Wahrheit, dass in einer Beziehung fast immer einer mehr liebt als der andere. So der neuseeländische Marine-Offizier, der seine verheiratete Freundin aus Prag, mit der er nur 14 Tage zusammen war, vor die vollendetete Tatsache stellt, dass er sich von seiner Familie trennen wird, um zu ihr zu ziehen, die davon aber überhaupt nicht begeistert ist.
Der Leser wird immer wieder daran erinnert, dass „Liebesgespräche“ von einem tschechischen Autor stammt, der 1931 in der CSSR geboren wurde. Oft finden sich Anspielungen auf die Zeit vor 1989 und auf die Lebenssituation heute. Das Bewusstsein, sich in einem fremden Land zu befinden, macht die Lektüre interessanter.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass es in diesem Buch keine verheirateten Liebenden gibt, sondern nur streitende Verheiratete. Insgesamt gibt es aber auch davon nur wenige, schließlich ist das Thema Liebe, und die ist in der Ehe eben nicht zu finden. Am häufigsten ist sie in diesem Buch beim Fremdgehen anzutreffen, aber auch sie hinterlässt einen faden Geschmack, entscheiden sich die Protagonisten doch zu oft für die Gewohnheit und bleiben bei Ehepartnern, die sie nicht mehr lieben.
Der Pessimismus überwiegt in „Liebesgespräche“, aber glücklicherweise sind verstreut auch lustige, lebensfrohe Geschichten zu finden, nicht zuletzt auch eine, die der Liebe eine Chance gibt.

Titelbild

Ivan Klima: Liebesgespräche.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2002.
240 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3552051848

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