Die Entwaffnung der Kategorien

Ute Frietsch versteckt in ihrer Untersuchung über Michel Foucault und Evelyn Fox Keller eine neue Kategorienverbindung von 'Rasse', Klasse und Geschlecht

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit dem Erscheinen und der alsbaldigen Übersetzung von Foucaults Nachlasstexten "Dits et Ecrits" hat sich die Quellenlage der Foucault-Forschung weiter verbessert. Doch ein nicht ganz unwesentlicher Text des vor annähernd zwanzig Jahren verstorbenen Autors, das 128 Seiten umfassende Typoskript "Intrudoction à l'Anthropologie de Kant", ursprünglich als Einleitung in die französische Übersetzung von Kants Anthropologie vorgesehen, ist bislang weder im Original noch gar in deutscher Übersetzung publiziert worden. Das hat seinen einfachen Grund darin, dass der im Centre Foucault, Institut Mémoires de l'Edition Contemporaine (IMEC) Paris aufbewahrte Text nicht zur Veröffentlichung freigegeben ist.

Dass dem deutschen Publikum nun dennoch weite Passagen des Textes zugänglich sind, ist Ute Frietsch zu verdanken, die Foucaults Studie in ihrer Dissertation "Epistemologie und Geschlecht von Michel Foucault zu Evelyn Fox Keller" nicht nur im "gedanklichen Zusammenhang" skizziert, sondern darüber hinaus umfangreiche Auszüge in eigener Übersetzung zitiert. Schon alleine das verleiht Frietschs Arbeit einiges Gewicht. Doch leistet die Autorin mehr und unterzieht Foucaults Text einer - wie sie allzu bescheiden sagt - "vorsichtige[n] Kritik", die sich im Wesentlichen auf zwei Punkte konzentriert: Zunächst interpretiert sie Kants Differenzierung zwischen pragmatischer und physiologischer Anthropologie im Unterschied zu Foucault als Unterscheidung zwischen human- und naturwissenschaftlicher Anthropologie. Darüber hinaus untersucht sie die Relevanz von Gender in verschiedenen Schriften Foucaults. Wie die Autorin ohne größere Mühe zeigt, erweisen sich seine Arbeiten als erstaunlich geschlechtsblind. Für die von ihm herangezogenen und zitierten Texte ist die Rede von Frauen beziehungsweise der Frau "mitkonstitutiv". Foucault spricht in der Analyse jedoch nur von verschiedenen Formen des Mannes/Menschen: "homme". Foucaults Archäologie, so kritisiert die Autorin zurecht, "arbeitet dadurch mit an einer Entgenealogisierung oder Enttraditionalisierung des Weiblichen".

Die Geschlechtsblindheit der Werke Foucaults wurde von feministischer Seite zwar schon mehrfach moniert, doch liegt der eigentlich Clou von Frietschs Arbeit woanders. Die Autorin hat ihn eher unauffällig in einem kaum mehr als 20 Seiten umfassenden Kapitel versteckt. Hier untersucht sie, "wonach der Mensch geordnet wird", und denkt Leben, Sprache und Arbeit mit Rasse, Klasse und Geschlecht zusammen sowie mit der feministischen Kategorienverbindung 'race, class und gender'. Sodann trifft Frietsch die instruktive Unterscheidung zwischen Rasse, Klasse und Geschlecht als Ordnungskategorien und race, class und gender als Analysekategorien. Allerdings hält sie diese Trennung nicht ganz stringent durch und benutzt etwa den Begriff Geschlecht schon mal als eine Kategorie höherer Ordnung, die Sex und Gender umfasst.

Die Versuche feministischer TheoretikerInnen, "'race', Klasse und Geschlecht zusammenzudenken", fasse jede Kategorie sozusagen als "Nebenprodukt" der anderen auf, moniert die Autorin, die hier allerdings Analyse- und Ordnungskategorien vermischt. Doch kritisiert sie sehr zurecht, dass die "Gleichordnung" der drei Begriffe ('Rasse', Klasse und Geschlecht, wie es richtig heißen müsste) angesichts ihrer "verheerenden Tradition" "kein ausreichendes Mittel zu ihrer Entwaffnung" sei. Zudem, so führt sie weiter aus, entstammten die Kategorien "jeweils völlig unterschiedlichen wissenschaftlichen und sozialen Kontexten". So seien etwa Aussagen über 'Rasse' und Geschlecht als "physiologische oder biologische Aussagen gemeint", nicht so jedoch Aussagen über Klasse - oder auch über Gender. Bei letzteren handele es sich eher um "pragmatische als um physiologische Aussagen". Diese, so die Autorin, "scheinen das über sie klassifizierte und beurteilte Individuum intimer anzugreifen als nicht-physiologische (pragmatische) Aussagen".

Trotz einiger kritischer Punkte handelt es sich bei Frietschs Ausführungen zu den Kategorien Rasse, Klasse und Geschlecht bzw. race, class und gender um lesenswerte und, was noch wichtiger ist, anschlussfähige Überlegungen. Vielleicht nimmt sie sich des Themas ja selbst noch einmal an. Dann aber bitte nicht nur in einem scheinbar beiläufigen Kapitel, sondern in einer eigenständigen Untersuchung.

Titelbild

Ute Frietsch: Die Abwesenheit des Weiblichen. Epistemologie und Geschlecht von Michel Foucault zu Evelyn Fox Keller.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
236 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3593371200

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