Von Mixern und Seelen

Caroline Torra-Mattenklotts physikalische Grundierung ästhetischer Modelle in der Aufklärung

Von Frauke BerndtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frauke Berndt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Fotografie "La femme" (1920) zeigt ein altes, mechanisches Handrührgerät. Der Titel versieht das Bild nicht nur mit dem Gender-Index 'Frau', sondern steuert auch die beiden rhetorischen Operationen der Lektüre, die Ersetzung des Gegenstandes zur Erzeugung einer Bewegung durch physikalische Kraft sowie ihre Ersetzung durch Zustände emotionaler Erregung. Dieselben Übertragungsprozesse liegen - wenn auch in umgekehrter Richtung - dem Text-Bild-Witz zugrunde: Man Ray hat auf ihrer Grundlage der 'gerührten' (weiblichen) Seele eine angemessene Anschauung unterlegt: den Mixer. Geradezu emblematisch ziert dieser nun den Einband von Caroline Torra-Mattenklotts Untersuchung zur "Metaphorologie der Rührung. Ästhetische Theorie und Mechanik im 18. Jahrhundert". Sie widmet sich der Begründung einer (rezeptions-)ästhetischen 'Fremdsprache', die auf der Interaktion von physikalischem und ästhetischem Diskurs basiert. Das an Blumenberg orientierte methodische Rüstzeug des Unternehmens, die Metaphorologie, legitimiert Torra-Mattenklott historisch in der Auseinandersetzung mit Ch. Wolff und Sulzer. Denn schon im 18. Jahrhundert wird der heuristische Mehrwert reflektiert, den die Einsicht in die Unhintergehbarkeit diskursfremder Metaphern und Modelle für die Darstellung psychischer Prozesse mit sich bringt.

Dabei verfolgt das Projekt eine konsequent rezeptionsästhetische Perspektive. Sie verbindet die Wirkungsästhetik der Aufklärung mit Konzepten der Moderne, die unter der Leitvorstellung der ästhetischen Erfahrung firmieren. Denn 'Rührung' wird nicht als Relikt rhetorischer Tradition, als 'dunkle' Vorgeschichte der Ästhetik, sondern als ihr integraler Bestandteil vorausgesetzt. "Der ästhetische Diskurs über Rührung, so meine These", bringt Torra-Mattenklott das Ziel ihrer Arbeit auf den Punkt, "thematisiert eine elementare Form physischen und psychischen Erlebens, die an den diversen ästhetischen Spezialkategorien (dem Schönen, dem Erhabenen, dem Wunderbaren etc., aber auch dem Rührenden im engeren Sinne) partizipiert, ohne mit irgend einer von ihnen identisch zu sein". Dafür knüpft sie an solche dynamischen Modelle der Epoche an, wie sie Ernst Cassirer in der "Philosophie der Aufklärung" (1932) und Northrop Frye in "Towards Defining an Age of Sensibility" (1956) vorschlagen und die, kurz gefasst, einen Paradigmenwechsel von der Repräsentation (enárgeia) zur Performanz (enérgeia) behaupten. "Auch die Ästhetik der Rührung gehört für Frye zum energetischen Paradigma", das eine Verlagerung des Interesses am Produkt auf seine Prozessualisierung in der Wechselbeziehung mit dem Rezipienten nach sich zieht.

In vier Kapiteln verhandelt Torra-Mattenklott Systematik und historische Variationen des energetischen Paradigmas, innerhalb dessen die Autoren die bewegende Wirkung der Künste im Rückgriff auf die Mechanik erklären und vice versa seit alters her verfügbare rhetorische, poetische, musiktheoretische und religiöse Metaphern auf physikalische Gesetze beziehen. Das Kapitel "Spielarten der Analogie" verfolgt die Erfindung der Seele und ihrer Kräfte, die Torra-Mattenklott als Ergebnis, ja als Effekt einer wechselseitigen Reflexion von Psychologie und Mechanik darstellt. Unter dem Stichwort "Lebendige Erkenntnis (Begriffe, Metaphern, Modelle)" steht vor allem Baumgartens Begriff der 'vita cognitionis aesthetica' zur Diskussion. Mit ihm verbindet Torra-Mattenklott die Forderung nach einer "Geschichte der Ästhetik, die sich weniger an Kant als an Freud orientiert". "Sulzers empfindsame Theorie der 'ästhetischen Kraft'" widmet sich dessen eigenen sowie den Beispielen einer sinnesphysiologischen Ästhetik bei Mendelssohn, welche die Theorie der unteren Erkenntnisvermögen (aisthesis) mit einem empirischen Datum versehen. Die anthropologische und historische Vorstellung von Kraft und Energie wird schließlich im Kapitel "Zur historischen Mechanik des Gefühls: Johann Gottfried Herder" erörtert, so dass die Untersuchungsreihe mit seiner selbstreflexiven Wendung ästhetisch-physikalischer Modellbildung schließt: "Die heuristischen Analogien, mit deren Hilfe Wolff und seine Schüler unter Anwendung komplizierter Vorsichtsmaßnahmen aus einem mechanischen ein psychologisches Vokabular zu formen begannen" - zu dieser Auffassung findet nämlich Herder -, "wären in Wirklichkeit Rückübertragungen ursprünglich psychologischer Konzepte".

Als Diskurshistorikerin im besten Sinne schlägt Torra-Mattenklott mit ihrem Beitrag zu den Konstitutionsbedingungen moderner Ästhetik andere jüngere Versuche mit den alten philologischen Tugenden: Gründliche Lektüren, profunde historische und philosophische Kenntnisse, sorgfältige Analysen und kluge Kontextualisierungen sorgen dafür, dass aus solchen (abgesehen von Herder) in der Neugermanistik vergleichsweise wenig beachteten Vertretern der Epoche erhebliches Kapital geschlagen werden kann. Die außerordentlich klar disponierte und stilistisch hervorragende Arbeit bringt neuen Schwung in den Verschiebebahnhof literaturwissenschaftlicher Topoi, auf die man sich für die Epochenkonstellation des 18. Jahrhunderts verständigt hat.

Titelbild

Caroline Torra-Mattenklott: Metaphorologie der Rührung. Ästhetische Theorie und Mechanik im 18. Jahrhundert.
Wilhelm Fink Verlag, München 2002.
384 Seiten, 41,00 EUR.
ISBN-10: 3770536304

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