Weihrauch wie Haschisch

Gerhard Haderers neue Bildgeschichte "Das Leben des Jesus"

Von Alexander Wolfgang MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Wolfgang Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die letzte Seite von Haderers Buch reicht dem Leser folgenden toxikologischen Fakt: "Übrigens: Weihrauch enthält - wie Haschisch - den Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC)." Und wie der Weihrauch zum Heiland kommt, damit beginnt das Evangelium Hadereri.

Er kommt im Gepäck der berühmten Drei Weisen aus dem Morgenland, die auf der Suche nach dem Messias nächtens an einem schicksalsschwangeren Stall vorbeireiten. Maria gebiert: Jesus erblickt das Licht der Welt! Kaum da, schreit er aber dermaßen übermenschlich ("Heller, aber kräftiger Ton"; Esel flüchten soweit es ihre angebundene Leine zulässt; Hennen stecken den Kopf in die Erde, Kücken ihren unter die Federn der Mutter), dass ein Weiser sich seine Goldzähne ausschlägt, als er mit seinem verstörten Kamel stürzt. Vom Geschrei des kleinen Jesus schnell verscheucht suchen die Weisen lieber schnell anderswo einen Zahnarzt und vergessen ihr Zeugs, eben die Gaben: Weihrauch, Gold und Myrrhe. Schon in seiner ersten Nacht wird der kleine Jesus von der beruhigenden Wirkung des Weihrauchs friedlich gestimmt, brüllt nicht mehr, sondern beginnt fröhlich zu plaudern, entschlummert schließlich friedlich, und sein Heiligenhulahupreif beginnt dermaßen hell zu leuchten, dass die Nachbarn sich versammeln, die Füße hochlegen, Schirme aufstellen und sich mit Sonnenöl einreiben.

Soweit die erste Szene, deren sieben Bilder auf neun Seiten den Betrachter aus einer Stallintimität vor tiefblauer Ödlandweite heraus- und zu einer Stadtrandidylle voller fröhlicher, friedlich ausgelassener Menschen hinführt.

Kifferhumor! Bestenfalls interessant für Lachmuskeln mit Sehnsucht nach "Das Leben des Brain" oder Chech-und-Chong-Filmen. Zugegeben sind Bekifftheit und die komikbringende Kraft unerwartet platzierten Marihuanas inzwischen annähernd unoriginell, wie die Torte ins Gesicht oder die Bananenschale unter Sektkellnersohlen. Das hier bediente Kifferhumorklischee ist klarerweise das vom dauereinge(weih)rauchten Heiland. Jesus der langhaarige, Peace bringende Erlöser. Und als Brücke fungieren die austauschbaren Wirkungen von Weihrauch und Marihuana.

Eine Szene, in der Jesus über den See Genezaret nicht wandelt, sondern surft, beschwört die Beach Boys-Gemütlichkeit einer Idealzielleserschaft, die sicherlich wunderbar glücklich ist über diese bunte, schräge Fassung der Passion. Konsequenterweise zeigt das finale Wolkenpanorama den entspannten Himmelssohn schließlich auch im Kreise der dauerbedröhnten Rockheiligen Bob Marley, John Lennon, Janis Joplin und Jimmy Hendrix.

Zeichnerisch kann man Gerhard Haderer keinerlei Mängel attestieren. Als Erzähler aber ist Haderer schlicht überfordert. Seine erste Bildgeschichte "Jörgi, der Drachentöter" (ebenfalls beu Ueberreuter) gewann deutlich durch die Mitarbeit von Autor Leo Lukas. Die nur lose Aneinanderreihung von Szenen in "Das Leben des Jesus" kann aber als Authentizität des Eingerauchten entschuldigt werden, denn seit wann müssen Kiffergeschichten gut gestrickt sein oder Sinn ergeben?

Gestalterisch ist Haderer ein herausragender Satirekünstler, der seine Bilder mit origineller Strategie anlegt und präzise ausarbeitet. Seine Kompositions- und Farbsicherheit ist meisterlich; räumlich-plastischer Ausdruck und dramatische Lichtführung gelingen ihm leicht. Seine Homage an Leonardo da Vinci mittels einer Variante auf dessen Abendmahl ist zwar - wie bei jedem anderen auch - vermessen, aber Haderer zeigt damit nur offen auf einen handwerklichen Anspruch der Zeichnerkunst, den zum Beispiel viele neuere Satire- und komische Bilderzeichner so schmählich vermissen lassen.

Titelbild

Gerhard Haderer: Das Leben des Jesus.
Carl Ueberreuter Verlag, Wien 2002.
40 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3800038633

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