Sehnsucht steht ins Nichts hinein

Haruki Murakamis neuer Roman "Sputnik Sweetheart"

Von Laslo ScholtzeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Laslo Scholtze

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Im Frühling ihres zweiundzwanzigsten Lebensjahres verliebte sich Sumire zum allerersten Mal. Heftig und ungezügelt, wie ein Wirbelsturm über eine weite Ebene rast, fegte diese Liebe über sie hinweg. Ein Sturm, der alles niedermäht, vom Boden fegt und hoch in die Lüfte schleudert, wahllos in Stücke reißt, wütet, bis kein Ding mehr auf dem anderen ist. [...] Kurzum, es ging um eine Leidenschaft von monumentalen Ausmaßen. Sumires Liebe war siebzehn Jahre älter als sie und verheiratet. Überdies, so sollte man hinzufügen, handelte es sich um eine Frau. Der Ort an dem die Geschichte beginnt, ist zugleich der Ort, an dem (fast) alles zu Ende ging."

Furioser kann man sich den Einstieg in einen Roman wohl kaum wünschen. Auch scheint es klar, daß ein Buch solche Intensität nicht über zweihundert Seiten durchhalten kann. Bleibt also die Frage, wie es das nötige Bremsmanöver bewerkstelligt. Murakami hält sowohl Dichte wie auch Tempo zunächst hoch. In verschachtelter Rückblendenstruktur wird die Beziehung des Ich-Erzählers zu Sumire dargestellt, sowie Sumires beginnende Liebe zur verheirateten Miu. Diese beiden bittersüßen Lieben bilden das Herzstück des Romans, flankiert von anderen nicht weniger unglücklichen Beziehungen moderner Bewohner einer entzauberten Welt, dem Japan der 80er Jahre.

Der Erzähler, wenige Jahre älter als Sumire und erst nach der Hälfte der Geschichte beiläufig als "K" benannt, sucht mit seiner Liebe Sumire, Ks Geliebte sucht ihn, Sumire sucht Miu, genauso wie deren Ehemann sie sucht, und Miu sucht ihren verlorenen Körper oder sucht ihn auch schon nicht mehr.

Auch wenn sich K in seiner Verlassenheit einmal fühlt "wie ein unscheinbares Insekt, das in einer stürmischen Nacht ohne Grund und ohne Zuversicht versucht, eine hohe Mauer hinaufzukrabbeln", (allerhöchstens der Hauch einer Kafka-Reminiszenz) gibt er vor, ein bodenständiger, wenngleich introvertierter Grundschullehrer zu sein und überdies Realist zu sein, der somit Gegenstück zur künstlerischen, unkonventionellen, verstrubbelten Sumire wäre. Wenn man K allerdings in seiner Behauptung ernst nimmt, der Erzähler der gesamten Geschichte zu sein, muss man an seiner Selbstdarstellung zweifeln. Denn dann stammen Wendungen wie "Sie atmete hörbar ein, ein Laut wie das Rauschen eines Samtvorhangs, der an einem heiteren Morgen zur Seite gezogen wird, um das Tageslicht hereinzulassen und einen geliebten Menschen zu wecken" aus Ks Geist und entlarven ihn selbst als Dichter, der zurecht als einziger Sumires Vertrauen genießt, ihre noch unfertigen Manuskripte zu lesen und auch zu beurteilen.

Sowenig sich Liebe, Beziehungen und Einsamkeit als Themen in den Vordergrund drängen, so leise und unaufdringlich sie sich vielmehr einstellen, so sehr bestimmen sie die Welt der "Sputnik Sweethearts", jener einsamen Metallgebilde im All, deren Bahnen sich für einen Moment kreuzen und sich dann auf immer im endlosen Raum verlieren. Sowenig die Erzählung sentimental daherkommt, so sehr sie von einer äußerlichen Lakonie, einer fast kühlen, rationalen und ironischen Haltung geprägt ist, die jede Übertreibung in Gefühlsdingen vermeidet, so unvermeidlich sicher schlägt sie auf einer Realität auf, die sich als todtraurig und nahezu untröstlich herausstellt. (Zumindest für die romantischen, sehnsüchtigen Gemüter, als welche sich die Figuren allesamt hinter ihren abgeklärten Fassaden zu erkennen geben.) Es ist eine Welt, die früher oder später jedem ins Herz schneidet, um so tiefer je stärker er sich wehrt, zur leblosen Hülle zu erstarren.

Warum das alles überhaupt nicht rührselig oder anderweitig belastend wirkt, liegt einerseits an der mitreißenden Ehrlichkeit der Charaktere, die nie so eitel wären, ein Drama aus ihrem Schicksal zu machen oder Selbstmitleid zu entwickeln - fast möchte man östliche Weisheit hinter dieser Fähigkeit vermuten, selbst das größte persönliche Unglück als vergänglich und daher ohne Bedeutungsschwere zu erleben: so grausam wie leicht.

Zum anderen liegt es an der Geschichte selbst, die sich nie in emotionales, seelisches Geschehen vertieft, sondern immer eng an den faktischen Fragen bleibt, welche die Handlung leiten. Und die sind auch bei "Sputnik Sweetheart" in bester Murakami-Manier in rascher Folge mal kriminologisch, mal übernatürlich, mal sachlich oder banal und oft mehreres gleichzeitig. Murakami bringt es mit selbstverständlicher Leichtigkeit fertig, seinen Helden gleichzeitig mit der Suche nach einer verschwundenen Person, mit mystischen Problemen, jenen eines Grundschullehrers und denen eines Liebenden zu konfrontieren, ohne dabei Gefahr zu laufen, die Balance zu verlieren. Dennoch bleibt es schwierig bis enttäuschend, letztendlich mit den meisten Fragen vom Autor allein gelassen zu werden.

Je länger dieses Spiel mit den Erwartungen des Lesers andauert, desto mehr verliert sich das Tempo und das Drängende der Erzählung. Die scheinbare Dramatik, die Wechselbäder der Gefühle weichen einer stummen Realität, die nie vorgegeben hat, Grund für Hoffnungen zu sein oder auch nur irgendeine Antwort zu bieten. Vielmehr kristallisiert sich eine unbarmherzige Grenze heraus zwischen der Seele und einer Welt, die seelischen Belangen vollkommen gleichgültig gegenüber steht. "Man glaubt, alles wird gut, und in der nächsten Sekunde ist man überzeugt, daß alles scheitern wird. Und am Ende wird gar nichts gut."

Das verspielte, romantisch-coole, aufrichtige Wesen der Charaktere ist die Stärke des Romans: "Das ist eine unverrückbare Tatsache." - "Wie die Moldau?" - "Wie die Moldau." - "Danke." - "Keine Ursache." - "Du bist manchmal unheimlich süß. Wie Weihnachten, Sommerferien und ein neugeborenes Hündchen in einem."

Dass sich die Handlung zusehends selbst auflöst, ist die Enttäuschung. Vielleicht aber auch die Herausforderung des Buches: Einer Meditation über unsere Existenz, die - frei nach Heidegger - ins Nichts hineinsteht.

Titelbild

Haruki Murakami: Sputnik Sweetheart.
Übersetzt aus dem Japanischen von Ursula Gräfe.
DuMont Buchverlag, Köln 2002.
234 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3832156968

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