Verlegerkultur

Zwei Individualverleger, die Literaturgeschichte geschrieben haben: Daniel Keel und Siegfried Unseld

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Welchem wollen wir den Vorzug geben? Der eine wählte sich den Spötter Diogenes zum Namenspatron, als er seinen Verlag gründete. Mit Gespür für Unterhaltung entwickelte er sein Programm zum bedeutendsten, rein belletristischen in Europa. Der andere war Herr über zwei Häuser, die sich in die Publikumsgunst teilen müssen: Der Suhrkamp Verlag wird respektiert, der Insel Verlag geliebt.

Siegfried Unseld starb am 26. Oktober 2002 im Alter von 78 Jahren. Vielen galt er als der Schöpfer der Suhrkamp-Kultur, die in den 70er Jahren getragen wurde von "den wichtigsten und anspruchsvollsten philosophischen Stimmen unserer Zeit" (George Steiner). Daniel Keel schuf ein Unternehmen, "dessen Programm gekennzeichnet ist von pessimistischer Philosophie, Verbrechen und perverser Lust" (Loriot).

Doch Scherz beiseite: Die beiden Unternehmen und ihre Programme, die unterschiedlicher kaum sein könnten, fußen durchaus auf einer gemeinsamen Kultur. Die erste und wichtigste betrifft ihren Umgang mit ihren Autoren: Autoren zu entdecken, sie aufzubauen und nur solche zu verlegen, die zum Haus passen, das ist das Erfolgsrezept des einen wie des anderen. Mit dieser Strategie können sie - noch immer - gegen die großen Konzernverlage bestehen, mit ihr verwirklichen sie Programme, die an Qualität ihresgleichen suchen, und mit ihr erreichen sie ein Stammpublikum und stiften eine Leserbindung, die sie über wirtschaftliche Baissen der Branche erstaunlich stabil hinwegträgt. Die Umsätze des einen wie des anderen sind, glaubt man den Schätzungen der Branchenblätter, in den letzten Jahren auf konstant hohem Niveau geblieben: bei 40 (Suhrkamp) bzw. 34 Millionen Euro.

Zwei Individualverleger, wie sie selbst in der Buchbranche selten geworden sind. Beide absolvierten eine Buchhändlerlehre, bevor sie sich entschlossen, Verleger zu werden. Unseld (1924 bis 2002) konnte es werden, weil der Verlagsgründer ihm ein Darlehen gab und ihn als Gesellschafter aufnahm. Daniel Keel (Jahrgang 1930) konnte sein erstes Buch realisieren, weil sein Vater für ihn bürgte. 1952 war für beide das Jahr, in dem sich alles entschied, und beide hatten einen Lieblingsautor, der ihr Glücksfall werden sollte: Hermann Hesse beim einen, Friedrich Dürrenmatt beim anderen.

Für Unseld war die Begegnung mit Hesses Werk ein Erweckungserlebnis. Mithilfe der Losung "Sei du selbst. Werde, der du bist" konnte er den Wahnwitz und die Absurdität des Krieges hinter sich lassen. Daniel Keel hingegen begeisterte sich für Dürrenmatts Theater: "Dürrenmatt war ein Autor, den ich wirklich liebte, verehrte, verfolgte." Er besuchte die Uraufführungen im Zürcher Schauspielhaus und erwarb noch als Lehrling Dürrenmatts Bücher. Er liebte an seinen Texten vor allem das Abgründige und Absurde - eine intellektuelle Karte, die bald auch sein Verlagsprogramm prägen sollte. Keel interessierte sich für Karikaturen, und sein erstes Buch machte er mit Ronald Searl, einem komischen Zeichner mit abgründigem Humor. Als Keel erfuhr, dass auch Dürrenmatt zeichnete, überredete er ihn zu seiner eigenen Ausstellung. Jahre später, an einem Sonntag, rief Dürrenmatt ihn an und fragte im breitesten Bernerdütsch: "Wotsch du mi?" ("Willst du mich?"), und Keel wollte. Die Ehe war von Dauer.

Auch Siegfried Unseld hatte ein solches Kriterium: Was in seinem Verlag erscheint, muss "Suhrkamp-like" sein. Komik und Karikatur hingegen, zwei Karten, auf die Daniel Keel setzte und setzt, waren seine Sache nicht. Die Avantgarde im Sinne experimenteller Literatur blieb in seinem Hause ebenso die Ausnahme wie Unterhaltungsware oder Manifestationen literarischer Hochkomik. Sein Programm zielte auf Dauer, so, wie es das Suhrkamp-Motto des Verlagsgründers zum Ausdruck bringt: "Die Literatur darf nicht aufhören." Für Peter Suhrkamp war er noch der "junge Hund" gewesen, später emanzipierte er sich, baute sein Verlagsprogramm konsequent aus und setzte seit Mitte der sechziger Jahre auf Theorie, vor allem auf Gesellschaftstheorie. Ganz anders Daniel Keel. Er blieb bei der Belletristik und setzte auf das Lustprinzip: "Ich habe kein Kriterium, außer: Es gefällt mir. Wenn mir ein Buch gefällt, gefällt es tausend anderen auch - bei Süskinds 'Parfum' waren es ein paar Millionen." Sein Verlags-Motto stammt von Voltaire: "Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur die langweilige nicht."

Beide starteten ihre Taschenbuch-Reihe vergleichsweise spät: "detebe", das Herzstück des Diogenes Verlages, wurde 1971 begründet, ebenso wie das "suhrkamp taschenbuch". Diese Reihen wollten bestückt sein, und aus einer gewissen Not heraus, einfach weil er nicht genug lebende Autoren fand, die ihm wirklich gefielen, begann Keel auch Klassiker zu verlegen, nicht systematisch, dafür von Herzen. Die Lesefrüchte der Sommerferien wurden dann ins Programm genommen - Balzac beispielsweise, oder Schopenhauer. Und Anton Cechov gilt als Hausheiliger. Übersetzt und ediert von Peter Urban, der in den 60er Jahren bei Suhrkamp für das 'Ostlektorat' zuständig gewesen war. Mit den Theaterstücken, Romanen, Novellen, Humoresken, Satiren und Briefen ist Daniel Keel der bedeutendste deutsche Cechov-Verleger geworden, und wie vieles bei ihm war auch das eine intuitive Entscheidung.

Ein typisches Merkmal des Individualverlegers ist es, dass er sich um alle Belange seiner Autoren kümmert: An erster Stelle steht die Betreuung von Autor und Werk. Der Verleger hat für seine Autoren da zu sein, bei jeder Tages- und Nachtzeit, in finanziellen wie in persönlichen Dingen. Man durchleidet gemeinsam Durststrecken und man feiert gemeinsam ausgelassene Feste. Oft ist die ganze Familie involviert, wenn "diese wüsten Abende" (Keel) in die privaten Räumlichkeiten verlegt werden. Das ist dann in Zürich nicht anders als in Frankfurt. Aber auch im Geschäft sind die Verleger allgegenwärtig: Sie kümmern sich persönlich um die Bilanzen und um die Buchumschläge, sie treffen Kritiker und besuchen Sortimenter, sie sind bei den Vertreterkonferenzen zugegen und besprechen mit den Herstellern die Ausstattung der Bücher. Beide Unternehmen verdanken einen Großteil ihres Erfolges einem intelligenten Marketing: Daniel Keel beispielsweise verkaufte seine Balzac-Ausgabe in Bordeaux-Kisten. Und Unseld galt als der bedeutendste Verpackungskünstler nach Christo: Mit seinen Buchreihen, vor allem mit den Regenbogenfarben der 'edition suhrkamp' und dem schönen 'insel taschenbuch', hat er Buchgeschichte geschrieben.

In der Öffentlichkeit gilt der eine als scheu und verletztlich, während der andere tatsächlich als Siegfried auftrat, als ein Hühne der Bücherwelt, der Autoren im Sturm eroberte und dann nicht mehr aus seinem "Verleger-Würgegriff" (Peter Huchel) entließ. Doch malen die meisten Autoren ein differenzierteres Bild, so wie Peter Handke, der seinen unermüdlichen Förderer Unseld schon früh in seiner Erzählung "Die linkshändige Frau" (1976) porträtierte, oder wie Urs Widmer, der in seiner Erzählung "Das Paradies des Vergessens" (1990) diskret eine Skizze seines Freundes und Verlegers Daniel Keel versteckte. Es sind Autoren solchen Ranges, die an ihrem Verleger zweierlei schätzen: Zum einen, dass er ihnen das Schreiben ermöglicht und sie wirtschaftlich absichert, und zum anderen, dass er sie unermüdlich ermuntert. Doris Dörrie hat diese beständige Ermutigung als die eigentliche Qualität Daniel Keels dargestellt. Und in einer seiner "Eisenbahnfahrten" beschreibt Peter Bichsel, wie der Schaffner ihm einen Zettel zugesteckt habe: "Weiterschreiben - Ihr Unseld".

Der Schweizer Peter Bichsel ist erst nach vielen Umwegen bei Suhrkamp gelandet, und Unseld hat seinen Verlag beinahe systematisch zum Sammelbecken für Schweizer Autoren ausgebaut. Auch Daniel Keel hat Schweizer Autoren im Programm, doch versteht er sich keineswegs als Schweizer Verleger, im Gegenteil: Sein wichtigster Buchmarkt ist der bundesdeutsche - und sein Programm ist international. Von Anfang an hat er, beraten von Elisabeth Schnack und Mary Hottinger, auf englische und amerikanische Erzähler gesetzt, auf Krimi-Klassiker von Poe bis Chandler. Später kamen Georges Simenon und Patricia Highsmith dazu, und darauf ist er noch heute stolz.

Beide Unternehmen wären nichts ohne ihre engsten Mitarbeiter. Daniel Keel und sein Partner Rudolf C. Bettschart kennen sich aus dem Sandkasten. Ohne Bettschart, den Geschäftsführer, gäbe es Diogenes vielleicht nicht mehr. Unselds wichtigste und langjährigste Begleiterin war vier Jahrzehnte lang Helene Ritzerfeld, die Dame für Rechte und Lizenzen, in der ganzen Welt bekannt, gefürchtet und gerühmt.

In beiden Häusern gab es Kräche und Zerwürfnisse: Als Gerd Haffmans gegen den Willen von Daniel Keel Arno Schmidt ins Programm holen wollte, musste er gehen. Mit Muriel Spark verkrachte sich Keel gleich nach dem ersten Buch: "Irgendwas hatte ich falsch gemacht." Ähnlich Siegfried Unseld: Als seine Lektoren 1968 die Vertrauensfrage stellten und den Verlag sozialisieren wollten, setzte Unseld sich durch. Und nicht wenige seiner Autoren sind im Laufe der Jahre gegangen - darunter Franz Xaver Kroetz und Dieter Kühn und in jüngster Zeit Marcel Beyer und Thomas Kling. Beide bewiesen aber auch Geschick im Umgang mit ihren Autoren: Keel beschreibt Patricia Highsmith als "schwierig, wortkarg, solitär"; er arbeitete 20 Jahre mit ihr, bis ein Gespräch zwischen ihnen möglich war. Ebenso Unseld: Im Umgang mit Thomas Bernhard oder Peter Weiss hat er so manche Kröte schlucken müssen - und er tat es, weil er an seine Autoren und an seine Mission glaubte.

"Es gibt nicht mehr viele Verleger hier auf dieser Welt", sagt Tomi Ungerer in einem Verlagsporträt von Rosemarie Pfluger, "in Amerika gibt es keinen mehr." Eine seltene, eine schützenswerte Gattung also. Hoffen wir, dass welche nachwachsen - denn ohne sie wäre die Literatur ärmer.

Litertur: Siegfried Unseld. 28. September 1924-26. Oktober 2002. Ansprache und Nachrufe. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2002. 143 Seiten. - 50 Jahre Siegfried Unseld im Suhrkamp Verlag 1952-2002. Herausgegeben von Günter Berg, Raimund Fellinger und Rainer Weiss. Mit Beiträgen von Siegfried Unseld, Ernst Bloch und Adolf Muschg. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2002. 125 Seiten.

Titelbild

Daniel Keel / Winfried Stephan / Daniel Kampa (Hg.): Fünfzig Geschichten aus fünfzig Jahren.
Diogenes Verlag, Zürich 2002.
864 Seiten, 5,00 EUR.
ISBN-10: 3257233337

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Titelbild

Tintenfass. 50 Jahre Diogenes. Jubiläumsausgabe.
Diogenes Verlag, Zürich 2002.
575 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3257220502

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