Germanistik in Ostasien

Über Japan, China und Südkorea

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Germanistik in Ostasien" bildet das Schwerpunktthema im Septemberheft 2002 der "Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik" - als hoffentlich ergiebige Anregung auch für jene nicht seltenen Inlandsvertreter der Disziplin, die schon Aufsätzen aus angelsächsischen oder französischen Fachzeitschriften nur widerwillig Platz in ihren Fußnoten einräumen. Die Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft in China und Südkorea, für Japan durch einen dritten Aufsatz zur Mediävistik erweitert, sind von kompetenten Germanisten und Germanistinnen aus den genannten Ländern verfasst. Sie verdeutlichen in ihren historischen Teilen, dass trotz des sprachlichen Abstands wertvolle wissenschaftliche Beiträge geleistet wurden, weit über den Deutschunterricht und über die interkulturell bedeutsame Übersetzung deutschsprachiger Werke hinaus.

Dies gegeben, bleibt freilich die Existenz eines einheitlichen ostasiatischen Raumes zu relativieren; bereits der Mitherausgeber Ralf Schnell verweist darauf in seiner Einleitung. Geschichte und Perspektiven der, so muss man pluralisieren, Germanistiken sind höchst unterschiedlich. Der im Ganzen des Fachs jüngste Teil, der chinesische, befindet sich noch im Stadium des Wachstums. In der "Kulturrevolution" reduziert und verfolgt, vermögen chinesische Germanisten nun, durch gezielten Unterricht von Sprache und Fachsprachen das auch ökonomisch bedingte, Interesse der jüngeren Generation zu bedienen und gleichzeitig etwas so wirtschaftlich Unnützes wie Literatur in immer größerem Maße zu verbreiten und auch zu erforschen; Zhu Jianhua (Linguistik) und Zhang Yushu (Literaturwissenschaft) zeigen dies eindrücklich. Hier mögen Aspekte eine Rolle spielen, die nirgends im Heft thematisiert sind: dass China noch die hohen ökonomischen Wachstumsziffern einer der seltenen erfolgreichen nachholenden Industrialisierungen genießt, dass mit jedem Jahr immer noch zahlenmäßig stärkere Kohorten in die Universitäten drängen. Auch für Randbereiche, die sich nicht rentieren, fällt in solchen Lagen etwas ab.

Davon profitierten die Germanistiken Japans und Koreas vor Jahren; der Jammer kommt, wenn die Einheit von Wirtschaftsboom und Kindersegen endet. In beiden Ländern lässt sich beobachten, was die Auslandsgermanistik mit wenigen Ausnahmen überhaupt plagt: ein von der sogenannten Globalisierung scheinbar erzwungenes, ökonomisches Nützlichkeitsdenken; ein Interesse am Englischen als der einen internationalen Sprache, das fast alle anderen Philologien beutelt.

In den auf Japan bezogenen Beiträgen von Iwasaki Eijiro (Linguistik), Hirao Kôzô (Mediävistik) und Tsunekawa Takao (Neuere deutsche Literatur) dominiert die Geschichte, beherrschen Erfolge der Forschung das Feld. Dass nun die Studierenden fehlen, ist am Ende zugestanden, doch nicht mehr eingehend diskutiert.

Die Krise der Germanistik, als Teil der Krise der Geisteswissenschaften überhaupt, ist dagegen paradigmatisch in den Aufsätzen aus Korea geschildert. Nach langsamem Wachstum über etwa 30 Jahre hinweg wurden 44 neue germanistische Abteilungen im kurzen Zeitraum von 1980 bis 1985 eingerichtet. Damit waren Überkapazitäten vorprogrammiert, die nach Universitätsreformen um die Mitte der neunziger Jahre zu Tage traten: Als Studierende im Rahmen der Fakultät, für die sie zugelassen waren, ihr Hauptfach frei wählen durften und zudem die Pflichtstundenzahl für dieses Hauptfach zugunsten des Wahlbereichs minimiert wurde, waren die Seminare und Vorlesungen leer. Krisenhafte wirtschaftliche Entwicklungen bei mangelnder sozialer Absicherung verstärkten die Neigung, etwas Einträgliches zu studieren. Sehr schön ist exemplarisch zu beobachten, wie im Zugriff des Weltmarkts eine traditionale Hochwertung von Bildung zersetzt wird, die in einer ersten Phase durchaus Eltern unter hohen Opfern ihre Kinder studieren ließ und damals einen Modernisierungsvorteil bedeutete.

Die Reaktionen der Germanisten bewegen sich zwischen den Polen Anpassung und Beharren. Der Linguist Son Seongho, wenngleich auch er für den philologischen Kernbestand des Faches plädiert, neigt dem ersten Pol zu. Die von ihm vorgestellten Reformcurricula geben einer verbesserten sprachpraktischen Ausbildung, vor allem aber einer der Landeskunde angenäherten Version der Kulturwissenschaft breiten Raum. Wenn, bei gleichbleibend niedriger Pflichtstundenzahl, der kommunikativ gewandte Kulturraumspezialist das Ausbildungsziel ist, so muss der bisherige Hauptbestandteil des Fachs, die Literaturwissenschaft, bluten. Tatsächlich ist in Sons Beispielen der Anteil literaturwissenschaftlicher Lehrveranstaltungen von etwa 50 % auf um die 20 % reduziert.

Andere Akzente setzen Her Yeong Zae und Jang Hee-Kwon, die sich vehement dagegen wenden, die Hochschulpolitik dem Prinzip der freien Marktwirtschaft unterzuordnen und Globalisierung allein als Nachahmung amerikanischer Muster zu verstehen. Sie halten ein weiterhin breites Spektrum geisteswissenschaftlicher Bildung für notwendig und wehren sich deshalb gegen eine Reduktion der Germanistik auf praxisorientierte Deutschlandkunde und kommunikativ ausgerichteten Sprachunterricht. Nachvollziehbar argumentieren sie, dass ein Fach, das bedenkenlos flexibel der Kundennachfrage folgt, seine wissenschaftliche Kontinuität und Identität aufgibt und dadurch erst recht seine Existenz gefährdet. Hers und Jangs Vorschlag, den Gegenstandsbereich der koreanischen Germanistik maßvoll zu erweitern, ohne den Kernbereich der Forschungen zur deutschen Literatur und Sprache aufzugeben, erscheint deshalb auch als die institutionsstrategisch immer noch erfolgversprechendere Variante.

Die Geschichte der Germanistiken in Ostasien ist seit der Entscheidung der japanischen Führung im 19. Jahrhundert, sich in der nachholenden Modernisierung an Preußen zu orientieren, durch die politischen Umstände geprägt. Bis heute hat sich daran nichts geändert; welche Zukunft ein Fach jenseits von planem Nützlichkeitsdenken besitzt, wird zuletzt nicht durch mehr oder minder sinnvolle Reformvorschläge entschieden. Bedingung ist, dass dem gegenwärtigen Ökonomismus entgegen sinnvolle Betätigungen wieder an Raum gewinnen, ist also ein erfolgreicher politischer Kampf gegen die gegenwärtige Variante der Globalisierung. Im vorliegenden Heft wird dies nicht durchgehend klar; zu sehr dominiert der berechtigte Stolz auf Leistungen der Vergangenheit, dominiert die Notwendigkeit, diese einem europäischen Publikum erst aufzuzählen. Darüber tritt in den Hintergrund, was die ostasiatischen Germanistiken mit der im Mutterland verbindet, mit den Geisteswissenschaften und überhaupt allem, was Reformern heute überflüssig erscheint.

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Germanistik in Ostasien. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, September 2002, Heft 127.
Herausgegeben von Rita Franceschini, Wolfgang Haubrichs, Wolfgang Klein und Ralf Schnell.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2002.
162 Seiten, 19,90 EUR.
ISSN: 00498653

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