Wörterkarussell, Geisterbahn, Liebesäpfel

Saids Gedichtband "Außenhaut Binnenträume"

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

An der Hütte lehnt in weißer Einerleiheit Hans Castorp und träumt von Schönheit, Licht, Zerstückelung, am Ende aber einen Satz, den er so deutlich träumt, der so nachdrücklich gemeint ist, dass er als einziger im "Zauberberg" kursiv gedruckt ist, wie eine Beschwörung und wie ein Motto, das Thomas Mann dem Leser einprägen möchte: "Der Mensch soll um der Güte und Liebe willen dem Tode keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken." Bei Said liest man:

kein wort,

keine silbe

mit dem tod:

auch wenn er deine hand zurück

zu meiner kindheit streichelt.

Traum und Tod und Liebe verbinden Saids neunzig neue Gedichte mit jenem seltsamen Schneekapitel aus dem "Zauberberg", ohne dass eine Hommage oder eine Anspielung beabsichtigt sein muss. Vielmehr kreisen Thomas Mann und Said um gleiche Phänomene, kämpfen mit ihrer so unterschiedlichen Wortkunst gegen die gleichen Gegner, suchen Zuflucht in zuweilen sehr ähnlichen Worten. Es gibt sogar gewisse Verfahrensähnlichkeiten, nämlich die Engführung von Begriffen, ihre stete Wiederholung in leicht gewandelter Bedeutung und Form, die fast an Minimal music erinnert. Das fällt im Roman naturgemäß weniger ins Auge als in der Lyrik, zumal in Saids konzentrierten Versen. Noch nie tendierte er zu überflüssigen Sätzen, doch es sieht so aus, als habe er sich noch stärker zurückgenommen, das absolut Notwendige nur stehen gelassen, vertrauend auf die Kern-Energie der Sprache, die wenige wohlgewählte Worte benötigt, um Poesie auszustrahlen. Wie in den Liebesgedichten am Beginn:

und die stille danach -

die trommeln unter deiner haut

rühren sich nicht mehr.

sie wollen lauschen,

wenn die schweißtropfen flüstern

miteinander.

So rein findet sich das Glück der Liebenden selten, fast immer mischen sich Spuren von Trauer oder Distanz in Saids Lyrik, Sehnsucht oder Vergänglichkeit, Lügen oder Tod. Genauso verhält es sich aber mit den Todesgedichten, die zum Ende hin überhand zu nehmen scheinen, denn auch in ihnen fehlt selten ein Widerwort der Liebe, des Protests, des Galgenhumors sogar, wenn es in einprägsamem, fast liedhaftem Rhythmus heißt: "mein after haßt den tod / und will ihm nicht begegnen".

Etwas wie ernster Jahrmarktszauber liegt über Saids kurzen Gedichten, nicht weil sie lustig wären, laut oder bunt, nein, vielmehr weil sie dem Leser eine eigene Wörterwelt vorgaukeln, die reich ist an Kontrasten und Überraschungen, weil die Assoziation zu Geisterbahn oder Karussell nicht fernliegen. Wie Kinder die Attraktionen als Realität erleben und sich mit Liebesäpfeln wirklich an der Süße der Liebe freuen, mit der Geisterbahn tatsächlich zu Tode erschrecken, mit dem Karussell ängstlich halb und halb freudig Bewegung, Wiederkehr und kreisenden Stillstand erleben, so bereiten Saids Verse als sehr ernste Scherze dem Leser intensive Sensationen, lassen ihn ein wenig Schwindel aufkommen.

Gerade an das Karussell erinnert es, wenn etwa drei Dutzend Wörter - ähnlich dem weißen Elefant - immer wieder neu kombiniert am Leser vorbeiziehen. Es sind einfache Wörter wie: Schweigen, Haut, Licht, Küsse, Mond, flüstern, Liebe, Tod, Augen, Ränder, zwischen, Fleisch, Hüften, Zuflucht, nass, Schatten, Brüste, warten. Ihre tiefste Wirkung entfalten die Gedichte, liest man sie in Ruhe und ohne Unterbrechung eines nach dem anderen. Dann vernimmt man ihre Musik, die harmonische Grundlage des Reigens, die vorausweist und zurückwirkt. Ein beinahe meditativer Trost der Wiederholung im Wechsel breitet sich über die Worte, ohne ihre Bitternis, ihre Süße, ihre Klarheit zu mindern.

Said vertraut auf die Energie der Sprache, also will er nicht vernebeln. Er verwendet drastische Vokabeln und harte Kontraste. Die Körperfreuden feiert er und verzeichnet den Verfall. Die Klangschönheit seiner Assonanzen überdeckt nicht die Schärfe misstönender Einwürfe des Leides und der Trauer. Die Kürze der Gedichte - keines ist länger als zehn Zeilen - unterstützt die Intensität der Bilder und die Leuchtkraft der Worte. Programmatisch beginnt das Buch mit einem Gedicht für Erich Fried. Es endet mit Versen, die in ihrer heiteren Melancholie ausstrahlen auf den ganzen Band:

getrocknete wortfetzen

ohne wiederkehr

wunder mit vergilbten rändern

und der dung einheimischer engel

jede gelungene rüsche

ein sieg gegen den tod

Titelbild

SAID: Außenhaut Binnenträume. Gedichte.
Verlag C.H.Beck, München 2002.
100 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3406493157

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch