DasGeschlecht der Vögel und Aliens

Ein Sammelband über gender-theoretische Subjekt- und Politikbegriffe in Kultur und Medien

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Friedrich Nietzsche hatte bekanntlich ein ganz eigenes Verhältnis zu Vögeln. Insbesondere zu dem einen, der auf der Vignette mit dem entfesselnden Prometheus abgebildet ist, welche die erste Auflage seiner Schrift "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" (1872) ziert. Anders als in der griechischen Mythologie verendet bei Nietzschen nicht ein von Herakles erlegter Adler auf dem Felsen, sondern ein auf dem groben Holzschnitt allerdings kaum als solcher zu erkennender Geier. Wie Nietzsches Briefwechsel belegt, war ihm das "kleine Meisterstück" des "trefflichen Künstlers", das "auf einfache Weise Vieles und Ernstes" sage, außerordentlich wichtig. Das Motiv des Geiers ist für Nietzsche vielfältig aufgeladen und - wie Reinhard Brandt darlegte - nicht zuletzt auch mit Richard Wagner verknüpft, an den sich das Buch auf besondere Weise richtete und dessen Lektüre der Autor in der Vorrede selbstgefällig imaginiert. Nicht von ungefähr verzichtete Nietzsche in der zweiten Auflage, also nach dem Bruch mit Wagner, auf die Vignette. Nicht den Geier, sondern den Adler gesellt Nietzsche hingegen in einem späteren Werk zusammen mit anderem Getier seinem prophetischem Alter ego Zarathustra bei, und Werner Ross sprach von Nietzsche selbst als einem "ängstliche[n] Adler".

"Nietzsches Vogel" - dieses wiederholt aufgegriffene und schier unerschöpfliche Thema ist auch Gegenstand eines Aufsatzes von Konstanze Fliedl. Allerdings spricht sie weder von dem peinigenden Aas- beziehungsweise Leberfresser noch von dem König der Lüfte, sondern behandelt eine Metapher des Weiberfeindes, der zufolge Frauen von den Männern wie Vögel behandelt werden, das man also einsperren müsse, "damit es nicht davonfliegt". Wie Fliedl zeigt, handelt es sich hierbei allerdings um keine genuine Idee Nietzsches. Vielmehr ist "der (weibliche) Vogel im Käfig" in der Literatur und der Sozialphilosophie des 19. Jahrhunderts ein "erstaunlich rekurrentes Zeichen", wie die Autorin mühelos und anhand zahlreicher Beispiele belegt. Dabei ist das Bild des gefangenen Vogels nicht nur bei Schriftstellern - und auch Schriftstellerinnen - mit Weiblichkeit assoziiert, sondern auf "reziproke" Weise auch in Werken popularisierender Ornithologen, wie etwa demjenigen von Alfred Edmund Brehm. Wird das Weibchen als Stubenvogel literarisiert, so tritt umgekehrt der Stubenvogel in der Ornithologie als Weibchen auf. Allerdings erweist sich die "Pictura 'Stubenvogel'" im sexuellen Kontext als ein "Vexierbild", das, sieht man nur scharf genug hin, in die "konträre Besetzung" springt. Wie die Autorin wiederum an etlichen Beispielen zeigt, metaphorisiert der "Vogel im Käfig" nun plötzlich den "durch Liebe und/oder Ehe domestizierte[n] Mann".

Fliedl referierte ihre Analyse der geschlechterdifferenten Metaphorisierung des Vogels im 19. Jahrhundert im Rahmen der zweisemestrigen Ringvorlesung "Des Feminismus neue Kleider - Fragezeichen", die 2000/2001 an der Universität Hamburg stattfand. Nun ist ihr Text zusammen mit den anderen Vorträgen in dem von Katharina Baisch, Ines Kappert, Marianne Schuller, Elisabeth Strowick und Ortrud Gutjahr herausgegebenen Sammelband "Gender Revisited" nachzulesen. Ein Jahrzehnt nach dem "Paradigmenwechsel von der Frauenforschung zu den Gender Studies" erörtern die Beitragenden verschiedene Aspekte aktueller Themen und Methoden feministischer Ansätze in der Literatur- sowie in den Kultur- und den Medienwissenschaften, um gegenwärtige "Konstellation verschiedener Subjekt- und Politikbegriffe" zu präsentieren. So untersucht Martina Wagner-Egelhaaf die Figur der Helena als "Übungsfeld und Schauplatz der Rhetorik" und gelangt zu der These, in ihr spiegele sich zu allen Zeiten jeweils das, "was und wie (von Männern) über Frauen gesagt und geredet wird", während die Cyberfeministin Claudia Reiche ein etwas undurchsichtiges Spiel mit unsichtbaren Kleidern inszeniert.

Silvia Henke begibt sich in das Kampfgetümmel zwischen Feminismus und Pornographie und gelangt zu der Auffassung, "eine aus weiblicher Sicht produktive Beschäftigung mit Pornographie" setze die Einsicht voraus, dass sich Sexualität zwischen den Geschlechtern ereignet und nicht etwas ist, das, sobald es dargestellt wird, Frauen von Männern angetan werde. Zwar sei es möglich, Gleichberechtigung politisch zu fordern, nicht jedoch eine "einfach[e] Harmonie und Demokratie" im "Bereich der Sexualität und ihrer Zeichen". Bestenfalls sei eine "Vervielfältigung sexueller Wünsche" und die "Konfrontation mit den oszillierenden Polen unserer Geschlechtsidentität" erreichbar. Die Entwicklung von einer feministischen Perspektive zu den Gender Studies rücke daher Aspekte ins Blickfeld, "die den Gegenstand überhaupt erst entfalten" und die Geschlechtsidentität in Frage stellen.

Ebenso innovativ, aber für Feministinnen weniger provokativ dürfte Elisabeth Strowicks "lesetheoretische Rezeption des Performativen" sein. Wenn der performative Akt die strukturelle Verschränkung von Körper und Sprache artikuliere, erläutert die Autorin, dann durchkreuze das nicht nur das "Postulat einer Vorsprachlichkeit geschlechtlicher Körper", sondern auch die Möglichkeit, Sprache "jenseits des Körpers" zu denken. Mit ihrer Lesart von Judith Butlers Konzept der Performativität geschlechtlicher Körper als performativ-politische Praxis des Lesens, fasst Strowick eine methodische Reflexion der Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft ins Auge, "die Körper und Geschlecht sowohl als "diskursanalytische Lektürekategorien", insbesondere aber als "performative Lektürepraxis/Performanz des Lesens" versteht.

Während sich die Warschauer Germanistin Bozena Cholu eher allgemein der Relevanz von Women's und Gender Studies für die und in der Literaturwissenschaft zuwendet, konzentriert sich Annette Runte mit Elfriede Jelinek ganz auf eine Autorin und deren "satirische Prosa". Nachdem Jelinek in früheren Texten die "Sackgassen egalitäts- und alteritätstheoretischer Positionen des Neofeminismus" im satirischen Spiel mit Genres und Diskursen kritisch ausgereizt habe, zitiere sie in "Die Kinder der Toten" und insbesondere in "Gier" die "politische Aporie" des Postfeminismus, der mit den geschlechtlichen Identitäten zugleich seine "Möglichkeitsbedingung" dekonstruiere.

Einem anderen Medium, dem Film, wendet sich hingegen Ulrike Bergermann zu. Doch fokussiert auch sie ihren Blick, zwar nicht auf eine Person, sondern auf die Quadriga der Alien-Filme, deren digitale Bilder und Geschlechterinszenierungen sie analysiert. Die Autorin liest den Kampf zwischen den Menschen und den Aliens, insbesondere denjenigen zwischen Ripley und der Alien-Königin, als "Kampf um die bessere Form der Reproduktion". Eine interessante aber natürlich nur eine der vielen möglichen Lesarten. In "Aliens", dem zweiten Teil der Quadriga, so die Autorin, treffen zwei Konzepte von Mutterschaft aufeinander: Die soziale Wahlmutterschaft, wie sie von Ripley mit ihrem Quasie-Adoptivkind Newt verkörpert wird, und das "maschinelle Eier-am-Fließband-Prinzip" der Alien-Königin. Zwar löse sich Ripley hier vom Weiblichkeitskonzept "instinkthafte[r], automatische[r] Fortpflanzung", doch weist die Autorin mit Constance Penley darauf hin, dass die beibehaltene "Bindung von Fortpflanzung an sichtbar weibliche Figuren" reaktionär sei. Diese Einschätzung lässt allerdings außer acht, dass Aliens auch von Männern 'geboren' werden, so etwa bereits im ersten Film, in dem das Alien bei der Geburt den Brustkorb eines männlichen Besatzungsmitgliedes der Nostromo durchstößt.

Habe in "Aliens" noch "soziale gegen biologische Mutterschaft" und "Zuneigung und Wahl gegen Automatismus" gestanden, so setze Ripley in der Labor-Szene des zwanzig Jahre später gedrehten vierten Teils "Alien - Die Wiedergeburt" eine "phallische Waffe" gegen das "Alienhafte" des menschlichen Klonens ein. Bergermanns Identifizierung des Klonens mit dem "gesichtslosen Evolutionsprogramm" der Aliens kann allerdings nicht restlos überzeugen. Auch ihre Feststellung, dass die "Zukunft der Menschengattung" nur durch "die moralische Überlegenheit der menschlich/weiblichen Anteile über die der Alien im Inneren der Heldin Ripley" gewährleistet sei, ist nicht ganz überzeugend. Werden die Aliens hier zum einen als implizit männlich gedacht, was mehr als zweifelhaft ist, so kann zudem von einer moralischen Überlegenheit des Menschen kaum die Rede sein. Während das Alien im ersten Film tatsächlich einem bloßen Instinkt zu folgen scheint und demzufolge nicht böse ist, erweisen sich die Menschen in Gestalt der Konzernleitung bereits hier als skrupellos und menschenverachtend. Die moralische Niederträchtigkeit fast aller Angehörigen der menschlichen Spezies setzt sich konsequent durch alle Folgen fort, so im zweiten Teil, in dem ein Androide eine der wenigen 'menschlichen' Figuren ist und ebenso auf dem Gefängnisplaneten in "Alien3", um schließlich im bislang letzten Teil in Ripleys expliziter Feststellung zu kulminieren, dass die Androide Cal viel zu human sei, um für einen Menschen gehalten zu werden.

Zuletzt noch einige Anmerkungen zum ersten Text des vorliegenden Bandes, der Einleitung von Vivian Liska. Die Antwerper Germanistin befasst sich mit den Ursachen, Bekundungen und Konsequenzen der Umwandlung feministischer Literaturwissenschaft in die kulturwissenschaftlichen Gender Studien und erzählt zwei sowohl parallel verlaufende als auch einander widersprechende "Geschichten" der Beziehung von Feminismus und Literatursoziologie. Während die eine Erzählung das "Aussterben" beider schildert, überlebt der Feminismus in der anderen, da er seine "anfänglichen Irrtümer" revidiert und seine "früheren Begrenzungen" überwunden hat.

Ebenso wenig wie der Rezensent verhehlen will, dass er die zweite Geschichte präferiert, kann die Autorin leugnen, dass sie der ersteren den Vorzug gibt. So etwa wenn sie schreibt, dass Judith Butler sich gegen den Feminismus wende und das die gegenwärtigen (Geschlechter-)Theorien "kurz davor" stünden, "sich in Virtualität, Performativität und Trugbilder aufzulösen". Drei spezifische Paradigmenwechsel seien es, welche die Entwicklung seit den 70-er Jahren bestimmten: Der Wechsel von "feministisch" zu "Gender", von "literarisch" zu "kulturell" und schließlich von "Kritik" zu "Wissenschaft". Sie alle seien "Teil eines allgemeinen Verlustes an Glaubwürdigkeit und Attraktivität" des "kritischen Bewusstseins". So sei die "Zeit der Kritik" aus der Perspektive der ersten Geschichte zu Ende. Zweifellos eine fragwürdige Perspektive, die nicht in den Blick bekommt, dass auch die Dekonstruktion ein durchaus kritisches Unterfangen ist. Eine bestimmte, überkommene Form der Kritik hat allerdings tatsächlich ihr Ende gefunden, diejenige der materialistischen Literatursoziologie. Die erste Geschichte und mit ihr die Autorin neigen jedoch dazu, diese spezifische Form von Kritik mit Kritik überhaupt gleichzusetzen.


Titelbild

Katharina Baisch / Ines Kappert / Marianne Schuller / Elisabeth Strowick / Ortrud Gutjahr (Hg.): Gender revisited. Subjekt- und Politikbegriffe in Kultur und Medien.
J. B. Metzler Verlag, Weimar 2002.
331 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-10: 3476452980

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