Ein literarischer Absturz

Charles Simmons bietet in seinem "Venus-Spiel" eine literarische Tragödie

Von Veronika SchneiderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Veronika Schneider

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich fing alles so gut an: Ein bekannter amerikanischer Schriftsteller, der mit seinen zwei vorigen in Deutschland veröffentlichten Romanen "Salzwasser" und "Lebensfalten" als begabte Neuentdeckung hierzulande gehandelt wurde, sowie die Anpreisung, dass er 1964 für seinen Roman "Powdered Eggs" den "Faulkner Award" erhielt, und ein paar wirklich kreativ-experimentelle Ideen luden zum Lesen seines neuen Romans ein - doch dann kam alles ganz anders.

In "Das Venus-Spiel" erzählt Simmons die Geschichte eines jungen Mannes, der eines Tages von seinem Arzt Winkle gefragt wird, ob er nicht an einer illegalen Versuchsreihe für ein neues Sexmedikament namens "Venus" teilnehmen möchte. Ein fanatischer Chemiker hat sich trotz des Verbots der Kontrollbehörde entschlossen, an "Venus" weiter zu forschen, und so wird Ben, unter dem Mantel größter Geheimhaltung, in das Projekt "Venus" eingeweiht; selbst eine Gewinnbeteiligung stellt Winkle Ben in Aussicht.

Ben willigt in der Hoffnung ein, eine neue Freundin zu finden und Geld zu machen.

Nun ist auch er einer der Spieler, wie man die Probanden in diesem Projekt bezeichnet, ohne auch nur die kleinste Ahnung von den Nebenwirkungen zu haben. Alles, was er weiß, ist, dass es sich um ein potenzsteigerndes Mittel handeln soll.

Bei einer Feier in einem 'Nobelclub' erobert der Protagonist seine Tischnachbarin, die attraktive Cynthia, die Redenschreiberin des Gouverneurs des Bundesstaates, mit wirklich sehr schmalem Small-Talk. Dann wandert sein Penis, "wie ein Marschflugkörper mit Hitzesensor" prompt in ihre Vagina, nachdem er sie auch noch so galant zum Mitmachen aufdefordert hat: "Schieben Sie Ihren Rock hoch!" Mit dieser 'Begegnung' beginnt Bens und Cynthias Beziehung. Es folgen ein paar weniger erotische Sexeinlagen, und Cynthia wird in das Projekt eingeweiht. Während sie sich immer mehr für die Versuchsreihe zu interessieren beginnt, wird Ben gegenüber "Venus" immer misstrauischer und beginnt Nachforschungen anzustellen. Dabei zieht er den Argwohn des Chemikers Ivo und Dr. Winkles auf sich.

Diese beiden wollen auch Cynthia für ihr Projekt gewinnen und werben um sie - es beginnt ein unausgereiftes Hin und Her, das aber nicht annähernd genug verworren ist, um interessant zu sein. Der Protagonist verliebt sich ziemlich schnell in die schöne Cynthia und beginnt wie ein liebender Mensch zu denken, doch da ist das "Spiel" schon in einem zu fortgeschrittenen Stadium, um sich problemlos davon distanzieren zu können. "Jetzt spürte ich jedoch, daß er mehr an Geld als an Hilfe und Wissenschaft interessiert war. Nun ja, zum Teufel, ich war ja auch interessiert."

Das Pärchen verbringt 'romantische' Stunden im Bett, im Restaurant, im Bett und unter anderem auch in einem Museum. Selbst dort begegnen uns weitere Dialoge mit Tiefgang: "Wo sind all die Pimmel abgeblieben?" Schließlich wird Ben in Cynthias Freundeskreis eingeführt, wo er auch die Gouverneursfrau alias Puck und Norma Boncoeur mit ihrer kleinen Gespielin Missy Chee, eine Minderjährige, kennenlernt. Die beiden letztgenannten Bekanntschaften versuchen, ein wenig Erotik in den Roman zu bringen, wahlweise als flotter ,Dreier' oder Lesbenszenario. Auch der Gouverneur beginnt, sich für die Wunderpille zu interessieren, und möchte in dem bevorstehenden Geschäft mitmischen und Geld machen.

Erwartungsgemäß versucht auch Cynthia die Venuspille und schluckt gleich zwei Stück, was zur Folge hat, dass ihre Vagina, beim Liebesspiel mit Ben, ihren Geliebten mit Haut und Haar verschlingt. Beim Sex mit der kleinen Missy erweist sich dies als sehr nützlich, da Bens Penis aus Cynthias Vagina mit Missy auch Sex hat. Ben verweilt ziemlich lange in Cynthia und beobachtet ihr Tun, Cynthia beginnt jetzt selbst, Nachforschungen anzustellen, auch auf Drängen des Gouverneurs hin.

Am Ende angelangt, nach ein paar faden Verfolgungsjagden, Intrigen und Bens ,Wiedergeburt', treffen sich alle Venusbeteiligten im Club und feiern. Hier taucht die personifizierte Venus ein zweites Mal auf und setzt dem Experiment ein Ende, indem sie die "Venus-Formel" in Ivos Kopf löscht und alles als Traum erscheinen lässt.

Charles Simmons scheitert leider kläglich bei seinem Balanceakt zwischen Realität und Fiktion. Manch eine Idee war sicherlich nicht schlecht, wie zum Beispiel die Thematik der Geldgier des Chemikers Ivo und somit der Pharmaindustrie, sowie auch die geheime Testreihe und das Medikament "Venus", wogegen Viagra eher einem Schlafmittel gleicht. Man hätte sogar die 'hungrige Vagina' und die Lesbenszene mit dem aus Cynthias Vagina herausragenden Gliedes verkraften oder als kreativ schönreden können, doch diese gähnende Langatmigkeit, diese Aneinanderreihung von Banalitäten, die geradezu stupiden Dialoge und eine nicht wirklich spannend umgesetzte Geschichte verleiteten einen, das Buch eher wegzulegen, als es zu verschlingen.

Man hätte aus so manchen Einfällen etwas machen können, aber wenn man noch nicht mal als Mann eine Lesbenszene erotisch oder auch pornographisch ansprechend gestalten kann, dann kann das ja nichts werden. Auch die Penisbeschreibungen erinnern den Leser mehr an einen Gartenschlauch als an ein geradezu vor Potenz vibrierendes Glied. Die satirischen Momente sind so banal, dass sich der feine Witz und der schwarz-kritisch-anklagende Humor verliert oder oft gar nicht zu finden sind. Der Text erreicht selten Niveau. Zu den wenigen Lichtblicken einige gut umgesetzte Ideen, die nicht plump wirken, doch die platte Moral von der Geschicht' - wonach Venus alles toleriere, "nur nicht die Einmischung" in ihre "Aktivitäten zu kommerziellen Zwecken"- und dass Liebe die beste chemische Verbindung zwischen Menschen sei, kann einen auch nicht mehr beeindrucken.

Ein paar Shakespeare-Zitate und Parallelen zum "Sommernachtstraum", wie das Auftauchen des Namens Puck, den die Gouverneurin aufgrund ihrer Hinterlistigkeit und Kupplereien trägt, banale Sexeinlagen sowie Fremdgehen rechtfertigen noch lange nicht den Vergleich mit Shakespeares "Sommernachtstraum" - es ist ja schließlich auch nicht jeder, der einen "roten Punkt" malen kann, ein Picasso.

Titelbild

Charles Simmons: Das Venus-Spiel.
Übersetzt aus dem Englischen von Jörg Trobitius.
Verlag C.H.Beck, München 2002.
182 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3406493173

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